Transkript
STUDIEq ÉTUDE
Lipidsenkung und Hirnschlagprävention
Eine Metaanalyse vergleicht Statine und andere Therapien
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Nicht alle lipidsenkenden
Therapien führen zu einer kla-
ren Senkung des Hirnschlag-
risikos. Eine Metaanalyse hat
38 Studien mit verschiedenen
Behandlungsansätzen (z.B.
Diät, Fibrate, Harze, Statine)
zur Lipidsenkung unter die
Lupe genommen.
Frühere Übersichten hatten zur Annahme geführt, dass Statine, aber keine anderen lipidsenkenden Therapien bei Koronarpatienten zu einer Verringerung der Hirnschlaginzidenz führen. Diese Metaanalyse wollte Ausmass und Heterogenität der Effekte auf die Hirnschlagprävention bei verschiedenen lipidsenkenden Interventionen näher untersuchen.
Methodik Die französischen Autoren durchsuchten die Literatur zwischen 1966 und 2001 und führten eine Metaanalyse der randomisierten Studien zur Primär- und Sekundärprävention bei koronarer Herzkrankheit (KHK) durch. In den Studien waren Statine, andere Lipidsenker, Diät, multifaktorielle Intervention und Ileus-Bypass untersucht worden.
Resultate
38 unabhängige Lipidsenkungsstudien entsprachen den Kriterien der Autoren. Davon waren 8 Primärpräventionsstudien (z.B. Helsinki, ACAPS, WOSCOP), die restlichen untersuchten die Sekundärprävention (z.B. REGRESS, CARE, LIPID, SCAT, MIRACL). Die Interventionen zur Lipidsenkung klassifizieren sich wie folgt: q Statine: 15 Studien mit Pravastatin
(Mevalotin®, Selipran®), Lovastatin, Simvastatin (Zocor®) und Atorvastatin (Sortis®) q Nicht-Statine: 13 Studien mit Clofibrat, Colestyramin (Ipocol®, Quantalan®), Gemfibrozil (Gevilon®), Bezafibrat (Cedur®), Colestipol (Colestid®) sowie Kombinationen von Clofibrat mit Niacinsäure q Diät: 7 Studien q Andere: 3 Studien mit verschiedenen medikamentösen Therapiearmen, multifaktorieller Intervention beziehungsweise Ileum-Bypass. Insgesamt lagen die Daten für 83 161 Patienten vor. In der Behandlungsgruppe traten 672 tödliche und nichttödliche Schlaganfälle auf, in der Plazebogruppe 939. Der durchschnittliche Ausgangswert des Gesamtcholesterins lag bei 240 mg/dl (6,2 mmol/l), die mittlere Cholesterinsenkung betrug 14,6 Prozent und war damit dramatisch höher als in einer früheren Metaanalyse aus der Ära vor dem Einsatz der Statine (7,3%). Die mittlere Beobachtungszeit lag bei 4,7 Jahren. Die Metaanalyse aller Studien zusammen zeigt, dass die lipidsenkenden Therapien die Schlaganfallhäufigkeit signifikant um 17 Prozent senkten (p < 0,001). Dabei besteht zwischen den Studien oder den Therapieuntergruppen keine signifikante Heterogenität.
Merk-
sätze
q Eine lipidsenkende Therapie reduziert die Hirnschlaginzidenz bei Koronarpatienten.
q Dazu ist eine Senkung des Cholesterins unter 232 mg/dl (6,0 mmol/l) nötig.
q Diese Notwendigkeit einer durchgreifenden Lipidsenkung erklärt, warum mit Statinen konsistent die besten Resultate erzielt werden.
Die beste Wirksamkeit zeigen jedoch die Statine mit einer relativen Risikoreduktion (RRR) von 24 Prozent (RR = 0,76, 95%-KI: 0,66–0,87). Eindeutig fällt die Risikoreduktion in der Sekundärprävention aus (RRR 26%; RR = 0,74, 95%-KI: 0,64–0,86), nicht jedoch in der Primärprävention (RR = 0,95, nicht signifikant). Die untersuchten lipidsenkenden Therapien vermochten jedoch die Inzidenz tödlicher Schlaganfälle (denen ja meistens Hämorrhagien zugrunde liegen) nicht zu beeinflussen (RR = 1,09, 95%-KI: 0,86–1,38). Nur für 10 Studien mit 30 766 Patienten lagen Informationen zur Häufigkeit hämorrhagischer Schlaganfälle vor. Solche Ereignisse kamen bei 31 Patienten in der Plazebo- und bei 45 in der Behandlungsgruppe vor. Eine lipidsenkende Behandlung hatte auf die Inzidenz keinen signifikanten Einfluss (RR = 1,16, 95%-KI: 0,86–1,38). Die relative Risikoreduktion tödlicher und nichttödlicher Myokardinfarkte lag bei
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STUDIEq ÉTUDE
Lipidsenkung und Hirnschlagprävention
22 Prozent. Die jährliche Inzidenz von Schlaganfällen betrug 0,8 Prozent, von Myokardinfarkten hingegen 4,8 Prozent. Dies bedeutet: um einen Schlaganfall zu verhindern, müssen während eines Jahres 735 Patienten behandelt werden. Die entsprechende «Number Needed to Treat» (NNT) für die Verhinderung eines Herzinfarkts liegt mit 95 wesentlich tiefer. Eine Effekt-Modell-Analyse deutet darauf hin, dass die relative Risikoreduktion für Schlaganfall von der Inzidenzrate in der Plazebogruppe unabhängig war. Dies erlaubt die Vorhersage, dass der Effekt der Lipidsenkung auch in Populationen mit hohem Schlaganfallrisiko derselbe sein dürfte. Die relative Risikoreduktion korreliert mit dem Ausmass der Cholesterinsenkung sowie mit dem Ausgangs- und dem unter Therapie erreichten Cholesterinspiegel. Nur der unter Therapie erzielte Cholesterinwert erlaubt jedoch statistisch eine klare Trennung zwischen vorhandener und fehlender Schlaganfallreduktion. Der kritische Spiegel (Cut-off Value) lässt sich mit ungefähr 232 mg/dl (6,0 mmol/l) berechnen. Hinsichtlich der Verhütung von Myokardinfarkten liess sich ein solcher Grenzwert nicht finden. Hier liefert das Ausmass der Cholesterinsenkung die aussagekräftigste Korrelation.
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Metaanalyse liefern eine deutliche Evidenz für den Nutzen lipidsenkender Therapien in der Schlaganfallprävention. Abhängig ist dieser Effekt von der Wirksamkeit der Therapie, den Cholesterinspiegel deutlich zu senken. Dies erklärt, warum die Ergebnisse mit Statinen am überzeugendsten ausfallen. Eine optimale Prävention dürfte sich ergeben, wenn es gelingt, den Cholesterinspiegel auf mindestens 232 mg/dl (6,0 mmol/l) zu senken. Diese Resultate bestätigen diejenigen grosser Studien, auch der in dieser Analyse noch nicht berücksichtigten Heart Protection Study, stützen sich jedoch ausschliesslich auf Untersuchungen, in denen
Tabelle: Metaanalyse von 38 Studien in der primären und sekundären KHK-Prävention: Auswir-
kungen der Methode der Lipidsenkung auf das Hirnschlagrisiko
Therapie Statine Nicht-Statine Diät Andere * Alle lipidsenkenden Therapien
Relatives Risiko (RR) 0,756 0,926 0,603 0,998 0,828
Relative Risikoreduktion (RRR) 24% 7,7% 40% 0% 17%
p-Wert < 0,001 0,32 0,11 0,995 < 0,001
* Studie mit verschiedenen Lipidsenkern und Plazebo; Studie mit multifaktorieller Intervention (Rauchverzicht, Diät); Studie mit Ileum-Bypass
die Schlaganfallinzidenz kein primärer, sondern nur ein sekundärer Studienendpunkt war. Studien mit Schlaganfallprävention als primärem Endpunkt, insbesondere auch bei älteren, mit höherem Insultrisiko belasteten Populationen, laufen derzeit. In der vorliegenden Metaanalyse war die Schlaganfallhäufigkeit sehr gering. Entsprechend war die Risikoreduktion nur in der kardiovaskulären Sekundärprävention (-19%), nicht aber in der Primärprävention (-5%) signifikant. Signifikant war die Schlaganfallreduktion auch nur mit Statinen, nicht jedoch mit Nicht-Statinen, Diät und anderen Interventionen. Eine 26-prozentige Risikoreduktion darf nach den Ergebnissen dieser Analyse auch bei Patienten erwartet werden, die schon einen Insult durchgemacht haben und damit eine wesentlich höhere jährliche Inzidenzrate von 8 Prozent für ein Rezidiv haben. In diesem Fall könnten Statine bei 1000 Patienten jedes Jahr 20 Hirnschläge verhüten. Der Nutzen entspricht etwa demjenigen der Antithrombotika in der Sekundärprävention des Hirnschlags und würde die Statine, so sich dies in weiteren Studien bestätigt, als First-line-Medikamente in der Hirnschlagprävention etablieren, schreiben die Autoren. Weshalb sind Statine besser? Diese Frage erhält zwei hypothetische Antworten: 1. Statine haben zusätzlich zu den cholesterinsenkenden Eigenschaften noch
weitere Eigenschaften, welche helfen, das Risiko für einen Schlaganfall zu verringern. 2. Der präventive Effekt ist abhängig vom Ausmass der Cholesterinsenkung, und diese fällt unter Statinen deutlich stärker aus als unter den anderen lipidsenkenden Therapien. Die Resultate dieser Metaanalyse stützen die zweite Hypothese. Indirekt bestätigt dies auch eine A-posteriori-Metaanalyse von 9 Nicht-Statin-Studien, in denen Cholesterinspiegel unterhalb der Schwelle von 232mg/dl (6,0mmol/l) erreicht wurden: Hier ergab sich ein relatives Risiko von 0,82 (p = 0,045), entsprechend einer relativen Risikoreduktion von 18 Prozent. Die unterschiedlich starken Auswirkungen der lipidsenkenden Therapie auf Myokardinfarkt und Hirnschlag beruhen in erster Linie auf der Tatsache, dass der Lipidspiegel für KHK ein wesentlich wichtigerer Risikofaktor ist als für Hirnschlag. q
Jean-Christophe Corvol et al. (Service de Pharmacologie, Centre Hospitalo-Universitaire Pitié-Salpêtriere, Paris/F): Differential effects of lipid-lowering therapies on stroke prevention. Arch. Intern. Med. 2003; 163: 669–676.
Halid Bas
Interessenkonflikte werden in der Originalpublikation nicht deklariert.
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