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Diabetische Nephropathie
ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Antagonisten sind erste Wahl
POSTGRADUATE MEDICINE
In den letzten Jahren ist Be-
wegung in die Empfehlungen
zur Behandlung von Patien-
ten mit diabetischer Nephro-
pathie gekommen. George L.
Bakris skizziert die wichtigs-
ten Entwicklungen in «Post-
graduate Medicine».
Der Diabetes mellitus ist eine der Hauptursachen für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz; 44 Prozent der Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz sind Diabetiker. Sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes steigt die kardiovaskuläre Mortalität in Abhängigkeit von der Nierenbeteiligung. Selbst geringfügige Albuminausscheidung korreliert mit einem Anstieg des kardiovaskulären Risikos. Statistisch betrachtet werden ungefähr 40 Prozent der Typ-2-Diabetiker im Lauf ihrer Erkrankung eine Nephropathie entwickeln. Ein wichtiger Frühmarker ist die Bestimmung der Mikroalbuminurie. Dabei handelt es sich bekanntlich nicht um Albumine geringer Grösse, sondern um eine Albuminausscheidung in geringen Mengen. Normalerweise werden im 24-StundenUrin weniger als 30 mg Albumin ausgeschieden. Von einer Mikroalbuminurie spricht man, wenn 30 bis 300 mg ausge-
schieden werden, bei Werten über 300 mg liegt eine Albuminurie vor. Eine Mikroalbuminurie zeigt an, dass die Durchlässigkeit des Endothels erhöht und eine abnorme vaskuläre Ansprechbarkeit in den Nierengefässen vorhanden ist. Wird diese Entwicklung nicht aufgehalten, droht eine manifeste diabetische Nephropathie. Allerdings haben Patienten, die unter einer Mikroalbuminurie leiden, bereits ein zweifach erhöhtes kardiovaskuläres Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Von grosser Bedeutung ist, dass die Niere ganz besonders empfindlich auf Bluthochdruck reagiert. Wenn der glomeruläre Blutdruck steigt, sinkt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), und womöglich bildet sich eine Glomerulosklerose aus. Ein solches Fortschreiten ist gekennzeichnet durch den allmählichen Übergang von Mikro- in Makroalbuminurie beziehungsweise Proteinurie. Übrigens setzt sich die Proteinurie zu etwa 40 Prozent aus Albumin und zu 60 Prozent aus anderen Proteinen zusammen. Proteinurie bedeutet für den Betroffenen ein 50- bis 70-prozentiges Risiko, in den kommenden zehn Lebensjahren in eine terminale Niereninsuffizienz zu geraten und dialysepflichtig zu werden. Hat sich erst einmal eine diabetische Nephropathie etabliert, verschlechtert fortdauernder Bluthochdruck die Nierenfunktion weiter. Umgekehrt kann die Normalisierung des Blutdrucks die Albuminausscheidung stabilisieren oder zumindest das Fortschreiten der Nierenerkrankung verlangsamen. Wenn es gelingt, die Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg zu drücken, verbessert sich nachweislich die Prognose. Das hat nicht zuletzt die viel beachtete und häufig zitierte UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) ergeben, an der
Merk-
sätze
q Eine gute Blutdruckkontrolle kann die Niereninsuffizienz verlangsamen und das kardiovaskuläre Risiko senken.
q Eine Blutdrucksenkung auf Zielwerte von unter 130/80 mmHg ist noch wirksamer als die konsequente Blutzuckereinstellung.
q Bei diabetischer Nephropathie sind jetzt A-II-Antagonisten neben ACE-Hemmern erste Wahl.
q Eine Kombinationstherapie (z.B. mit Diuretika) ist sehr oft erforderlich. Nicht selten sind drei oder mehr Medikamente nötig.
über 1000 Typ-2-Diabetiker mit einem Anfangsblutdruck von über 160/94 mmHg teilnahmen. Die Untersuchung zeigte nach sechs Jahren eindrucksvoll, dass die Blutdrucksenkung noch viel bedeutsamer ist als eine intensivierte Blutzuckerkontrolle (Abbildung). Diese Erkenntnis hat sich seither auch in diversen Richtlinien niedergeschlagen, die nun eine immer stärkere Blutdrucksenkung propagieren. Allerdings, so merkt der Autor an, beruhten diese Zielwerte auf kleinen Studien und Extrapolationen, wohingegen keine grossen randomisierten Studien existierten, die den Nutzen von Blutdruck-Zielwerten unter 140/90 mmHg unter Beweis gestellt hätten. Dennoch wurde bereits 1997 im sechsten Bericht des Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and
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Diabetische Nephropathie
Abszisse: Risikoreduktion (%)
Schlaganfall Diabetische Endpunkte
0
-10
DM Mortalität
Mikrovaskuläre Komplikationen
-20 -30
-40
-50
Engmaschige Blutglukosekontrolle
Engmaschige Blutdruckkontrolle
Adaptiert nach Bakris et al.
Abbildung: UKPD-Studie. Risikoreduktion verschiedener Parameter durch engmaschige Blutdruckkontrolle oder intensivierte Blutzuckereinstellung bei Typ-2-Diabetes. Die Ergebnisse zeigen vor allem den hohen Stellenwert der Blutdrucksenkung.
Treatment of High Blood Pressure (JNC 6) ein Blutdruck-Zielwert von 130/85 mmHg bei Diabetikern gefordert. Seither haben weitere Studien die Experten dazu veranlasst, den Zielwert noch weiter auf 130/80 mmHg zu reduzieren, etwa im soeben erschienene JNC 7 (vergleiche Beitrag auf Seite 847). Die National Kidney Foundation hat letztes Jahr sogar Blutdruckwerte von unter 125/75 mmHg gefordert, und zwar bei nierenkranken Diabetikern, welche eine Proteinausscheidung von über 1 Gramm pro Tag aufweisen.
A-II-Antagonisten sind jetzt auch erste Wahl
Auch die Empfehlungen zur Hypertoniebehandlung von nierenkranken Diabetikern haben in den letzten Jahren eine Neuerung erfahren. Noch im JNC 6 waren ACE-Hemmer die alleinigen Mittel der ersten Wahl, inzwischen haben die American Diabetes Association und andere Gesellschaften Angiotensin-II-Antagonisten (kurz: A-II-Antagonisten) gleichrangig daneben gestellt. Vertreter der A-II-Antagonisten sind Losartan (Cosaar®), Valsartan (Diovan®), Irbesartan (Aprovel®), Candesartan
(Atacand®, Blopress®), Telmisartan (Kinzal®, Micardis®) und Eprosartan (Teventen®). Der aktuelle JNC 7 spricht sich ebenfalls für A-II-Antagonisten aus. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass bis zu einem Kreatinin von über 35 Prozent über dem Normalwert kein Grund besteht, die Therapie mit ACE-Hemmern und A-II-Antagonisten nicht anzufangen – sofern sich nicht eine Hyperkaliämie ausgebildet hat. Bei fortgeschrittener Nierensinsuffizienz, das heisst bei einer glomerulären Filtrationsrate unter 30 ml/min pro 1,73 m2, entsprechend einem Serumkreatinin von 2,5 bis 3,0 mg/dl, werden zudem (steigende) Dosen eines Schleifendiuretikums dringend empfohlen. Ziel ist laut JNC 7 ein Blutdruck von unter 130/80 mmHg, wobei oft drei oder mehr Präparate erforderlich seien, um die Vorgabe zu erreichen.
Warum das Renin-AngiotensinSystem blockieren?
Angiotensin II, das Endprodukt des ReninAngiotensin-Stoffwechsels, ist der stärkste Vasokonstriktor überhaupt. Indem es die efferenten Nierengefässe verengt, erhöht sich der intraglomeruläre Druck und
damit der Druck in den glomerulären Kapillaren. Besteht diese Situation lange Zeit, dringt Albumin durch die Gefässwände. Auch soll A-II zur Zerstörung anderer Zellen in den Nierenglomeruli beitragen. Ein Absenken des A-II-Levels verspricht somit mehrfachen Nutzen für die Patienten: Es verbessert die systemische und glomeruläre Hypertension, verringert die Proteinurie sowie die Produktion von glomerulären und interstitiellen Matrixproteinen. Sowohl A-II-Antagonisten als auch ACEHemmer senken A II, jedoch auf unterschiedlichen Wegen. Während ACE-Hemmer die Synthese von Angiotensin II durch Hemmung des Schlüsselenzyms blockieren, greifen A-II-Antagonisten auf der Rezeptorebene an, indem sie die Bindung von A-II an AT-1-Rezeptoren unterbinden, welche die Vasokonstriktion vermitteln. Sowohl ACE-Hemmern als auch A-II-Antagonisten sagt man nach, dass sie einen nephroprotektiven Effekt haben, der sich nicht allein aus der Blutdrucksenkung ergibt. Unter anderem wird hierfür die «Microalbuminuria, Cardiovascular, and Renal Outcomes HOPE»-Substudie (MICROHOPE) angeführt. In ihr wurde der ACEHemmer Ramipril (Triatec®, Vesdil®) mit Plazebo bei etwa 3500 vornehmlich Typ-2Diabetikern verglichen. Nach 4,5 Jahren konnte das relative Risiko eines kombinierten Endpunkts aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod um 25 Prozent gesenkt werden. Ein kombinierter mikrovaskulärer Endpunkt (offene Nephropathie oder Dialysebedürftigkeit oder Retinopathie) wurde um 16 Prozent reduziert. «Die Autoren fanden keine Hinweise, dass die Blutdrucksenkung für die Resultate ausschlaggebend war», schreibt Bakris. Die nephroprotektiven Eigenschaften des ältesten A-II-Antagonisten Losartan wurden unter anderem in der RENAAL-Studie untersucht. An der Studie nahmen Typ-2Diabetiker mit einer Nephropathie teil, die sich durch Proteinurie und ein Basiskreatinin von 1,9 mg/dl zu erkennen gab. Nach einer Behandlungszeit von durchschnittlich 3,4 Jahren zeigte sich, dass Losartan verglichen mit Plazebo das Risiko einer
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Diabetische Nephropathie
terminalen Niereninsuffizienz um 28 Prozent verringerte. Das Risiko einer Verdoppelung der Serumkreatininwerte sank um 25 Prozent. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass mit der Therapie die Dialyse oder Nierentransplantation um etwa zwei Jahre hinausgezögert werden könne. Ein anderes Beispiel ist Irbesartan. Auch mit diesem A-II-Antagonisten liess sich das Fortschreiten der diabetischen Nephropathie verzögern. Das bestätigt, nach Auffassung von Bakris, die «Irbesartan Microalbuminuria Type 2 Diabetes Mellitus in Hypertensive Patients»-Studie (IRMA II). An der Untersuchung nahmen 590 Diabetiker mit Mikroalbuminurie teil. Zwei Jahre lang nahmen sie zusätzlich zu anderen Antihypertensiva täglich 150 mg oder 300 mg Irbesartan ein. Es zeigte sich, dass unter der hohen Dosierung unter anderem die Eiweissausscheidung im Vergleich mit Plazebo um 24 beziehungsweise 38 Prozent zurückging. Der
durchschnittliche Blutdruck zwischen den drei Therapiegruppen unterschied sich um nicht mehr als 3 mmHg. Trotz der guten Wirksamkeit der einzelnen Anthypertensiva muss man konstatieren, dass eine Monotherapie kaum zum Ziel führt, wenn sich bereits eine Albuminurie eingestellt hat. Selbst unter den günstigsten Umständen – ohne Nierenfunktionsstörung und ohne Albuminurie – gelingt es nur bei etwa 50 bis 60 Prozent der Behandelten, den Blutdruck auf unter 140/90 mmHg einzustellen. Angesichts der vielen Faktoren, die eine Hypertonie bedingen, erscheint es als plausible Strategie, an mehreren physiologischen Mechanismen anzugreifen. Doch auch dann ist der Erfolg begrenzt. Das zeigt die UKPDS deutlich. 29 Prozent der Patienten in der Gruppe mit engmaschig kontrolliertem Blutdruck benötigten drei oder mehr Medikamente, um am Ende einen durchschnittlichen Blutdruck von gerade einmal
144/82 mmHg zu erreichen. Im Allgemei-
nen gilt deshalb, dass eine Blutdrucksen-
kung um 15/10 mmHg mindestens zwei
Antihypertensiva erforderlich macht. In al-
len bisher veröffentlichten Outcome-Stu-
dien oder Analysen zum Fortschreiten der
Niereninsuffizienz wurde dabei ein Diure-
tikum mit einem ACE-Hemmer oder ei-
nem A-II-Antagonisten eingesetzt. Die
American Diabetes Association Guidelines
2003 unterstützen dementsprechend eine
solche Kombination.
q
George L. Bakris: The evolution of treatment guidelines for diabetic nephropathy. Strategies integrate JNC 6, more recent protocols. Postgraduate Medicine 2003: 113: 35–50.
Uwe Beise
Interessenlage: L. Bakris gibt an, keine finanziellen Interessenkonflikte zu haben.
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