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BERICHT
Update atopische Dermatitis
Eine juckende Herausforderung
Die atopische Dermatitis ist für viele Kinder eine sehr unangenehme Begleiterin. Aber auch Erwachsene können bis ins hohe Alter unter den juckenden Ekzemen leiden. Durch eine konsequente Basispflege und gezielte therapeutische Massnahmen lassen sich die Beschwerden lindern. Am WebUp Experten-Forum Dermatologie gab Dr. Andrea Stillhard vom Stadtspital Zürich Europaallee einen ausführlichen Überblick.
Die atopische Dermatitis ist sehr häufig. Man schätzt, dass gegenwärtig 20% der Kinder und 4–5% der Erwachsenen von dieser chronisch rezidivierenden, juckenden, entzündlichen Hauterkrankung betroffen sind, Tendenz steigend: Weltweit habe sich die Prävalenz in den vergangenen 30 Jahren mindestens verdoppelt, berichtete am WebUp Experten-Forum die Dermatologin Dr. Andrea Stillhard vom Stadtspital Zürich Europaallee. Charakteristisch ist dabei auch eine familiäre Belastung: Leiden beide Eltern unter einer Atopie, das heisst, besitzen beide die genetische Veranlagung, übermässig auf Umweltallergene zu reagieren, liegt das Risiko für das Kind, an einer atopischen Dermatitis zu erkranken, bei 40–60%.
Klare diagnostische Symptome Für die Diagnose atopische Dermatitis sollten neben drei Majorkriterien auch mindestens drei Minorkriterien erfüllt sein (Tabelle) (1). Typische klinische Zeichen sind neben dem Juckreiz beispielsweise trockene Lippen bei Cheilitis, doppelte Lidfalten (Dennie-Morgan-Falten), helle Makulae (Pityriasis alba) vor allem bei Kindern, Hyperlinearität der Hände oder das «Hertoghe-Zeichen», also das Fehlen respektive die Ausdünnung der äusseren Augenbrauen.
Bemerkenswert ist die Verteilung der Läsionen, die sich abhängig vom Alter unterscheidet. Während bei Kleinkindern der ganze Körper, ausser dem Windelbereich, betroffen sein kann, stehen bei älteren Kindern vor allem die Beine und Arme und bei Erwachsenen Hände, Füsse, Ellenbeugen und das Gesicht im Fokus des entzündlichen Geschehens. Die Prognose ist sehr gut, die Ekzeme heilen bei 80% aller betroffenen Kinder bis zum 8. Lebensjahr und bei 95% bis zum 20. Lebensjahr aus (2). Bei wenigen persistieren die Symptome auch im Erwachsenenalter. Als Risikofaktoren dafür gelten eine positive Familienanamnese, ein relativ später Beginn der Erkrankung im Kindesalter sowie schwere und über viele Jahre andauernde Ekzeme. Unter den möglichen Komplikationen gilt vor allem ein Ekzema herpeticatum, eine durch Herpes-simplexViren verursachte flächenhafte, schwere Infektion der Haut, als Notfall. Nicht durch Viren, sondern durch Streptokokken oder Staphylokokken ausgelöst ist hingegen die Impetigo contagiosa, die in einer kleinblasigen und grossblasigen Form auftritt.
Atopische Dermatitis im Alter Weniger gut erforscht ist die atopische Dermatitis im Alter, die bei immerhin 2–3% der älteren Menschen auftreten soll (3). Als typisches Symptom gilt der Juckreiz. Allerdings manifestiert sich Pruritus bei älterer Haut auch ohne atopische Dermatitis häufig, was die Diagnosestellung bisweilen schwierig macht. Betagte Haut unterscheidet sich sowohl pathophysiologisch (Hautschutzbarriere, Immundysregulation, Mikrobiom) von der Haut von Kindern als auch morphologisch (bei Kindern eher exsudativ, bei Erwachsenen eher lichenifiziert) (4). In einer polnischen Studie wurden über 60-jährige Patienten mit atopischer Dermatitis über zehn Jahre begleitet. Interessanterweise wurde bei 88% von ihnen die Diagnose Neurodermitis erst im Erwachsenenalter gestellt, 81% litten unter einer chronischen Prurigo (5). Wichtig bei Diagnosestellung bei älteren Menschen sei es, auch an mögliche Differenzialdiagnosen zu denken, sagte Dr. Stillhard. So sei eine Abgrenzung zu T-Zell-Lymphomen, der Kontaktdermatitis, Medikamentennebenwirkungen oder Erythrodermien zu beachten.
Der Link zu Nahrungsmitteln Nahrungsmittelallergien werden hinsichtlich Ekzemgenese bei Säuglingen und kleinen Kindern häufig überschätzt. Allerdings seien Eltern von Kindern mit Neurodermitis oft davon überzeugt, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel die Ursache für die Hauterkrankung sei. Liegen Sofort-Typ-Symptome vor, leiden die Kinder trotz guter Therapie unter einem schweren, refraktären Ekzem oder geht eine wiederholte Verschlechterung mit der Einnahme bestimmter Nahrungsmittel einher, sollte man sich tatsächlich auf die Suche nach einer möglichen Nahrungsmittelallergie begeben. Um einer Toleranzentwicklung über den Magen-Darm-Trakt vorzubeugen, sei eine frühe und breite Einführung von Nahrungsmitteln zusätzlich zur Muttermilch ab dem 5. Lebensmonat zu empfehlen, so die Dermatologin (6).
Basispflege und Therapieoptionen Die Behandlung der atopischen Dermatitis richtet sich, gemäss den europäischen Richtlinien, nach der klassischen «Therapiepyramide» (7). So sollten Provokationsfaktoren vermieden und durch eine regelmässige Basistherapie sollte die notwendige Rückfettung gewährleistet werden. Bei milder
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atopischer Dermatitis kommen zudem topische Steroide (z.B. Mometason) respektive topische Calcineurininhibitoren (Tacrolimus [Protopic®], Pimecrolimus [Elidel® bzw. Douglan®]) zum Einsatz. Bei moderater atopischer Dermatitis wird auf der nächsten Stufe eine Lichttherapie (UVBnb oder UVA1) empfohlen. Schliesslich stehen bei schwerer atopischer Dermatitis systemisch Cyclosporin A, Azathioprin, Methotrexat sowie Biologika und Januskinase(JAK)-Inhibitoren zur Verfügung, erklärte Dr. Stillhard.
Verschiedene Ansätze zur Basispflege Die für die Basispflege in Frage kommenden Cremes oder Salben beinhalten verschiedene Substanzen, darunter juckreizstillende (mit Polidocanol), harnstoff- (2–40%), milchsäure- oder glycerolhaltige sowie keratolytische Substanzen. Letztere führen zum Ablösen der Hornzellen, so Dr. Stillhard. Eine Auswahl möglicher Basispflegeprodukte der Spezialitätenliste sind Antidry® Lotion (sensitive), Antidry® Calm Lotion, Excipial® ULL/Hydrolotio, Pruri Med Lipolotion® oder Dexeryl® Creme. Zwar ersetzen pflanzliche Öle keine rückfettende Basistherapie, trotzdem bestehe häufig bei Eltern mit betroffenen Kindern oder bei Erwachsenen mit Neurodermitis der Wunsch, solche Öle einzusetzen (8,9). Während natives Kokosnussöl, Sonnenblumenöl, Mandelöl oder Traubenkernöl vorteilhafte Eigenschaften besitzen können, wird Olivenöl ausdrücklich nicht empfohlen, da es die Tendenz zur Austrocknung fördere und bei Säuglingen sogar gefährlich sein könne, sagte die Spezialistin.
Ein von Dr. Stillhard vorgestelltes typisches Therapieschema für Kinder lautet: Über zwei Wochen fünf Tage Behandlung, dann zwei Tage Pause, danach die Behandlung reduzieren auf zwei Tage und fünf Tage Pause bis zur Verlaufskontrolle. Zum (okklusiven) Einsatz kann verdünntes Kortison in einer Pflegecreme (Elocom® Salbe 1:1 oder 1:3 in Dexeryl® Creme) kommen. Bei erwachsenen Patienten, beispielsweise mit Ekzemen in den Beugen, würde eher mit einem Klasse-IIISteroid (Elocom® Salbe) über 10–14 Tage abends einmal täglich behandelt werden, danach über 10–14 Tage zweimal in der Woche als Erhaltungstherapie und gegebenenfalls zusätzlich an den anderen Tagen oder anschliessend Protopic® Salbe. Zwar gebe es häufig Bedenken gegen den Einsatz von Kortison («Kortisonphobie»), man könne jedoch sagen, dass die längerfristige Anwendung einer potenten Kortisoncreme (Klasse III) an maximal drei bis vier Tagen pro Woche sicher und nebenwirkungsarm sei, sagte die Dermatologin.
Moderne Systemtherapien Bei mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis sind zur systemischen Therapie seit ein paar Jahren auch Biologika und JAK-Inhibitoren unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Zum Einsatz kommen dabei vor allem der Interleukin(IL)-4/13-Inhibitor Dupilumab (Dupixent®) und der IL-13Inhibitor Tralokinumab (Adtralza®) sowie die JAK-Inhibitoren Baricitinib (Olumiant®), Upadacitinib (Rinvoq®) und Abrocitinib (Cibinqo®), erklärte Dr. Stillhard (10). Dupilumab wird bei Erwachsenen nach einer initialen Dosis (600 mg) dann alle
Tabelle: Diagnosekriterien für die atopische Dermatitis
Mindestens 3 Majorkriterien … • Juckreiz • typische Morphologie und Verteilung • chronisch oder chronisch rezidivierend • persönliche oder Familienanamnese
positiv für Atopie (Asthma, allergische Rhinitis, atopisches Ekzem)
… plus 3 oder mehr Minorkriterien • trockene Haut • palmare Hyperlinearität • erhöhtes Gesamt-IgE • Cheilitis • Dennie-Morgan-Falte • Pityriasis alba • Juckreiz beim Schwitzen • Unverträglichkeiten gegen Wolle • weisser Dermografismus
Quelle: nach Stillhard
zwei Wochen (300 mg) injiziert (11). Als Nebenwirkungen können bisweilen Konjunktivitiden, Hautinfektionen oder Lokalreaktionen an der Injektionsstelle auftreten, das Medikament sei insgesamt jedoch gut verträglich. Auch die JAKInhibitoren Baricitinib und Upadacitinib würden zunehmend eingesetzt, als Nebenwirkungen wurden unter anderem recht häufig Infektionen der oberen Atemwege beschrieben. Bei der Behandlung mit solchen JAK-Inhibitoren sollte vor Beginn der Therapie eine Herpes-zoster-Impfung (Shingrix®) nicht vergessen werden, ebenso sollten bestimmte Blutwerte regelmässig untersucht werden. Relativ neu ist der IL-13Inhibitor Lebrikizumab (Ebglyss®), der in der Schweiz für die Behandlung von mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis bei Erwachsenen und Jugendlichen zugelassen ist. Bislang in den USA und der EU, aber noch nicht in der Schweiz zugelassen zur Ekzemtherapie ist zudem der topische Phosphodiesterase(PDE)-4-Hemmer Crisaborol (Staquis®).
Klaus Duffner
Quelle: «Atopische Dermatitis über alle Altersgruppen». WebUp ExpertenForum «Update Dermatologie», 3.10.2024
Referenzen: 1. Hanifin JM et al.: Diagnostic Features of Atopic Dermatitis. Acta
Dermato-Venereologica. 1980;60(92):44-47. 2. Kim JP et al.: Persistence of atopic dermatitis (AD): A systematic review
and meta-analysis. J Am Acad Dermatol. 2016;75(4):681-687. 3. Williamson S et al.: Atopic dermatitis in the elderly: a review of clinical
and pathophysiological hallmarks. Br J Dermatol. 2020;182(1):47-54. 4. Ramírez-Marín HA et al.: Differences between pediatric and adult atopic
dermatitis. Pediatr Dermatol. 2022;39(3):345-353. 5. Jaworek AK et al.: Clinical characteristics of elderly patients with atopic
dermatitis - a retrospective observational study. Folia Med Cracov. 2023;63(2):29-40. 6. Kopp MV et al.: S3 guideline Allergy Prevention. Allergol Select. 2022; 6:61-97. 7. Wollenberg A et al.: European guideline (EuroGuiDerm) on atopic eczema: part I - systemic therapy. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022;36(9):1409-1431. 8. Lin TK et al.: Anti-Inflammatory and Skin Barrier Repair Effects of Topical Application of Some Plant Oils. Int J Mol Sci. 2017;19(1):70. 9. Vaughn AR et al.: Natural Oils for Skin-Barrier Repair: Ancient Compounds Now Backed by Modern Science. Am J Clin Dermatol. 2018;19(1):103-117. 10. Wollenberg A et al.: Atopic dermatitis in children and adults—diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2023;120:224–34. 11. www.compendium.ch
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