Transkript
FORUM
Frage an einen Experten
Prevenar® 20 nach Pneumovax®?
FRAGE: Herr A., Jahrgang 1950, wurde 2012 wegen einer radiologisch diagnostizierten, aber nicht weiter abgeklärten Pneumonie ambulant erfolgreich antibiotisch (offenbar mit Ampicillin) behandelt. Im Folgejahr wurde er von seinem Hausarzt mit Pneumovax® (soweit er sich erinnert) geimpft. Herr A. leidet an «üblichen», gut eingestellten Krankheiten: Hypertonie, Hypercholesterinämie, Übergewicht, diverse Arthrosen, Reizdarm. Pneumologisch gibt es keine positive Anamnese, der Patient ist seit Jahrzehnten Nichtraucher. In den vergangenen Jahren war er pneumologisch unauffällig. Seit Kurzem gibt es einen neuen Impfstoff: Prevenar® 20. Der Patient fragt nun, ob er seinen Schutz gegen eine (Pneumokokken-)Pneumonie jetzt mit dem offensichtlich besseren Impfstoff auffrischen solle. Und er möchte gerne wissen, mit welchen Vorteilen (Schutzwirkung) oder Nachteilen (Nebenwirkungen) er rechnen müsse. Was sage ich ihm?
Besten Dank, Ihr Kollege Markus M.
Zur Person
Ulrich Heininger Prof. Dr. Ulrich Heininger ist Leitender Arzt und Stv. Chefarzt Pädiatrie sowie Abteilungsleiter Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB). Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ARS MEDICI. Prof. Heininger gehörte von 2001 bis 2024 der Stän-
digen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut Berlin an und war
von 2004 bis 2019 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF). Seit 2000 ist er zudem als Berater für INFOVAC, die Impfberatung für Ärztinnen und Ärzte
in der Schweiz, tätig.
Prof. Dr. Ulrich Heininger: Ja, Ihr Patient qualifiziert für die Impfung mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff (PCV), z.B. dem 20-valenten (Prevenar®20). Alternativ steht auch ein 15-valenter PCV zur Verfügung (Vaxneuvance®). Die Impfung wird seit Oktober 2023 für alle Personen ab dem Alter von 65 Jahren als ergänzende Impfung empfohlen (eine Impfdosis). Das heisst, unabhängig von der Vorgeschichte Ihres Patienten qualifiziert er allein wegen seines Alters für diese Impfung.
Neu (1) wird dazu aufgrund der höheren Serotypenabdeckung allen Personen ab 65 Jahren und Risikopersonen ab 5 Jahren ein höher valenter PCV als PCV13 empfohlen (ab 18 Jahren bevorzugt PCV20; bei 5–17-Jährigen sind PCV15 und PCV20 gleichwertig). Aus demselben Grund wird neu auch bei bereits mit PCV13 geimpften Personen ab 65 Jahren und Risikopersonen ab 5 Jahren eine einmalige ergänzende Impfdosis mit einem der höher valenten PCV empfohlen. Dabei ist ein Abstand von 1 Jahr zur letzten PCV13Impfdosis empfohlen, für spezielle klinische Situationen (z.B. bevorstehender Beginn einer neuen Immunsuppression, auf Transplantations-Warteliste) ist jedoch auch ein Mindestabstand von 6 Monaten möglich.
Dies ist eine am 11.04.2025 aktualisierte Version der am 20.03.2025 publizierten Druckfassung (s. Korrigendum in Ars Medici 5).
Ihr Patient ist zwar vorgeimpft, aber mit einem Polysaccharidimpfstoff, womit er in die Gruppe der nicht PCV-Geimpften fällt und für ihn ebenfalls die Empfehlungen für Personen ab 65 Jahren gelten.
Die Kostenübernahme für eine PCV15oder PCV20-Impfung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) ist aktuell auf ≥ 65-Jährige beschränkt, bei Risikopersonen von 5–64 Jahren werden die Kosten trotz Impfempfehlung (ausserhalb der Zulassung) nicht übernommen. Zu beachten ist, dass bei bei Personen ab 65 Jahren die Kostenübernahme für eine PCV-Impfung derzeit nur einmal gewährleistet ist. Eine einmalige Ergänzungs-Impfdosis bei bereits PCV13-geimpften ≥ 65-Jährigen wird nicht übernommen, wenn die vormalige PCVImpfung im Alter von ≥ 65 Jahren erfolgt ist und von der OKP vergütet wurde (z.B. bei Personen, die ≥ 65-jährig seit dem 1.1.2023 mit PCV13 geimpft wurden).
Die Verträglichkeit der 15- und 20-valenten Impfstoffe ist gut, das Risiko für Lokalreaktionen oder systemische unerwünschte Ereignisse ist nicht höher als bei anderen Impfungen im Erwachsenenalter wie z.B. Influenza oder dTpa (Diphtherie-TetanusPertussis). Zur Wirksamkeit gibt es keine Daten, diese wurden nur mit niedriger valenten Impfstoffen erhoben und für Erwachsene auch nur für ambulant erworbene Pneumonien. Sie dürfte serotypenspezifisch in der
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INFOVAC – www.infovac.ch
Die Informationsplattform für Impffragen wurde 2000 von der Medizinischen Fakultät der Universität Genf in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie und dem Bundesamt für Gesundheit gegründet und steht den Nutzern in deutscher, französischer und italienischer Sprache zur Verfügung. INFOVAC ist ein offiziell anerkannter Beratungsdienst und wird von der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie, der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie, der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie und dem Bundesamt für Gesundheit unterstützt. Eine unabhängige Expertengruppe bestehend aus Kinderärzten mit spezifischen Kenntnissen im Bereich Infektionskrankheiten und Impfungen bietet Laien und Fachpersonen Informationen rund ums Impfen. Im Abonnentenbereich, der ausschliesslich Ärzten, Apothekern und Mitarbeitern des öffentlichen Gesundheitswesens vorbehalten ist, stehen die Experten ausserdem für individuelle schriftliche Anfragen zur Verfügung; diese werden innerhalb von 24–48 Stunden beantwortet. Zudem erhalten Abonnenten ein Monatsbulletin mit aktuellen oder dringlichen Informationen oder auch Antworten auf individuelle Anfragen von übergeordnetem Interesse.
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) Spitalstrasse 33 Postfach CH-4031 Basel E-Mail: ulrich.heininger@ukbb.ch
Interessenlage: Der Autor hat Honorare für produktunabhängige Impfvorträge von Bavarian Nordic, GSK, Moderna, MSD, Infectopharm, Pfizer und Sanofi-Pasteur erhalten.
Referenz: 1. Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF)
und Bundesamt für Gesundheit (BAG). Stellungnahme zur Verfügbarkeit von verschiedenvalenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffen pro Altersgruppe. 07.03.2025. Verfügbar unter: https://www. bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/pneumokokken-erkrankungen. html
Grössenordnung von ca. 70–80% Risikoreduktion liegen, was für eine Atemwegsinfektion recht gut ist.
RSV-Impfung Noch ein anderer wichtiger Hinweis für Ihren Patienten: Seit dem 18. November 2024 empfiehlt die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) auch eine Impfung gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), nämlich: 1. für alle Erwachsenen ab dem Alter von
75 Jahren als ergänzende Impfung sowie 2. bereits ab dem Alter von 60 (!) Jahren als
Risikogruppenimpfung für Personen mit einem «erhöhten Risiko für eine schwere RSV-Erkrankung». Zu letzteren Personen zählen: • Patienten mit chronischen Erkrankungen, wie z.B. – Immunschwäche (aufgrund einer Erkran-
kung oder einer immunsuppressiven Behandlung),
– Lungenerkrankungen (z.B. chronisch obstruktive Lungenerkrankung [COPD], Emphysem, Asthma),
– Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit),
– neurologischen oder neuromuskulären Erkrankungen,
– Nierenerkrankungen, – Lebererkrankungen, – hämatologischen Erkrankungen, – Diabetes mellitus, • gebrechliche Personen sowie • Personen, die in Pflegeheimen oder anderen Langzeit-Pflegeeinrichtungen leben.
Ihr Patient, vermutlich gerade noch nicht 75 Jahre alt (?), mag aber mindestens einer der oben genannten Risikogruppen zugeordnet werden und qualifiziert daher schon jetzt für die einmalige RSV-Impfung mit Abrysvo® oder Arexvy®. Die Kostenübernahme-Verhandlungen laufen allerdings noch (Stand 28.2.2025).
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