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Auch Spätfolgen vermeidbar?
RSV-Impfungen zum Schutz von Alt und Jung
Das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist nicht nur für Frühgeborene in den ersten Lebensmonaten gefährlich. Bei alten und multimorbiden Personen birgt es ein ähnliches Mortalitätsrisiko wie die Influenza, führt aber häufiger zum Verlust der Selbstständigkeit. Mit in der Schweiz mittlerweile zwei zugelassenen Vakzinen stehen gute präventive Optionen zur Verfügung. Prävention ist auch bei Kindern wichtig, da RSVInfektionen mit erhöhtem Asthmarisiko und lebenslang eingeschränkter Lungenfunktion assoziiert sein dürften.
In den industrialisierten Ländern kommt es pro Jahr schätzungsweise zu 1,5 Millionen RSV-Erkrankungen von Erwachsenen. Zu Ländern mit schlecht ausgestatteten Gesundheitssystemen sind Zahlen rar. Jedenfalls werden weltweit jährlich mehr als 300 000 Hospitalisierungen und 14 000 Todesfälle in Spitälern registriert (1). In den industrialisierten Ländern erkranken pro Jahr 3–7% der Bevölkerung im Alter von mehr als 60 Jahren an einer symptomatischen RSVInfektion (2). Rund ein Viertel (17–28%) der Betroffenen wird so krank, dass ein Arzt kontaktiert werden muss. Pro Jahr werden bis zu 36/10 000 ältere Erwachsene wegen RSV hospitalisiert, aus dieser Gruppe müssen bis zu 15% auf die Intensivstation verlegt werden. Von einer erheblichen Dunkelziffer sei auszugehen, so Prof. Dr. Joanne G. Wildenbeest, Universität Utrecht (NL), am letzten Kongress der European Respiratoy Society (ERS), da nicht standardmässig auf RSV getestet werde. Überdies beginnen die Symptome einer RSVInfektion zu dem Zeitpunkt, an dem die Viruslast am höchsten ist. Zum Zeitpunkt einer Spitalaufnahme ist das Virus oft nicht mehr nachweisbar.
Neben dem höheren Alter ist auch eine Reihe von Komorbiditäten für ein erhöhtes RSV-Risiko verantwortlich, wobei insbesondere chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Herzinsuffizienz zu nennen sind, wie Prof. Wildenbeest darlegt. Die akute RSV-Infektion führt zu Exazerbationen dieser Erkrankungen, häufig gefolgt von Spätkomplikationen wie dem Verlust der Unabhängigkeit, chronischer Fatigue, Verschlechterung der Lungenfunktion. Nicht zuletzt droht die Gefahr bakterieller Superinfektionen. Eine weitere Personengruppe mit hohem RSV-Risiko stellen immunkompromittierte Patienten dar, wobei insbesondere Lungentransplantierte und Patienten nach Stammzelltransplantationen gefährdet sind. In solchen Fällen bestehe insbesondere die Gefahr einer Hyperoxie, einer bakteriellen Superinfektion sowie einer Bronchiolitis obliterans. Langfristig droht Allograftdysfunktion. Da das Virus unter Immunsuppression länger im Körper persistiert, können die Betroffenen längerfristig infektiös bleiben und es kann zur Selektion neuer Virusvarianten kommen (2).
Prof. Wildenbeest: «Im Vergleich zu Influenza-Patienten sind hospitalisierte RSV-Patienten älter und weisen mehr
Komorbiditäten auf. Sie haben weniger Fieber, jedoch ein höheres kardiovaskuläres Risiko sowie ein höheres Risiko neuerlicher Spitalaufenthalte. Die Inanspruchnahme von Ressourcen des Gesundheitssystems ist bei Influenza und RSV vergleichbar.» Laut Daten aus den USA müssen hospitalisierte RSV-Infizierte länger im Spital bleiben als hospitalisierte Influenza-Kranke, benötigen öfter Antibiotika und sind nach der Entlassung häufiger auf Heimhilfe angewiesen. Die Mortalität im Spital ist vergleichbar, die Mortalität im Jahr nach der RSV-Erkrankung ist höher als nach Influenza (3).
Eine Therapie der RSV-Infektion wäre theoretisch mit drei Gruppen von Medikamenten möglich, wie Prof. Wildenbeest ausführt. Einmal mit therapeutischen Antikörpern, dann mit Fusionsinhibitoren und drittens mit Nukleotid/NukleosidAnaloga, die die Virusreplikation in der Zelle unterbinden. Tatsächlich ist nur das Nukleosid-Analogon Ribavirin bei RSV zugelassen (in den USA) und wird bei massiv immunsupprimierten Patienten eingesetzt. Allerdings bestehen Zweifel an der Wirksamkeit, wie Prof. Wildenbeest berichtet. Generell bestehe in der Behandlung von RSV-Infektionen das Problem, dass antivirale Therapien früh im Krankheitsverlauf eingesetzt werden müssen. Wenn Patienten wegen schwerer Symptome medizinische Hilfe suchen, ist jedoch allenfalls noch mit eingeschränkter Wirksamkeit der Therapien zu rechnen (4). Antworten darauf können verbesserte Awareness sowie das Testen von Hochrisikogruppen sein. Diese Massnahmen müssen etabliert werden, wenn RSV-Therapien auf den Markt kommen sollen.
Vier Impfstoffkandidaten haben Phase III erfolgreich durchlaufen Sehr viel effektiver als die Entwicklung antiviraler Medikamente gegen RSV verlief die Impfstoffentwicklung. Den Durchbruch brachten dabei Vakzine, die sich gegen das Präfusionsprotein F des Virus richten. Drei Vakzine wurden mittlerweile in unterschiedlichen Märkten zur Zulassung gebracht. Abrysvo® ist ein bivalenter Impfstoff, der zu gleichen Teilen rekombinantes RSV-Präfusions-F-Protein der beiden Untergruppen A und B enthält und in der Zulassungsstudie eine Schutzwirkung von 66,7% zeigte (5). Unter Real-World-
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Bedingungen lag der Schutz vor Hospitalisierungen wegen RSV bei Personen über 60 Jahre zwischen 73 und 79%. Die Impfung schützt über mindestens zwei Saisons. Eine Zulassung besteht unter anderem in der EU, der Schweiz und den USA. Abrysvo® bietet auch die Option der maternalen Impfung. Das heisst, durch einmalige Impfung der Mutter zwischen der 24. und der 36. Schwangerschaftswoche1 werden Antikörper an das ungeborene Kind weitergegeben, die dieses nach der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten schützen (6). Die Zulassung in dieser Indikation beruht auf der Studie MATISSE, die eine Wirksamkeit von 81,8% zeigte.
Arexvy® enthält das rekombinante Fusionsprotein (F) des RSV in einer präfusionsstabilisierten Form und ist mit einem Extrakt aus dem Seifenrindenbaum adjuvantiert. Eine Zulassung besteht unter anderem in der Schweiz, der EU und den USA für Erwachsene im Alter von 60 und mehr Jahren; in den USA und der EU zusätzlich auch bei 50- bis 59-Jährigen mit erhöhtem Risiko für eine RSV-Erkrankung. In der Zulassungsstudie wurde im Vergleich zu Plazebo eine Schutzwirkung von 82,6% beobachtet (7). Gegenüber schweren RSV-Infektionen der unteren Atemwege (Vakzingruppe: n = 1; Plazebogruppe: n = 17) wurde eine Schutzwirkung von 94,1% erreicht.
Darüber hinaus besteht in der EU und den USA auch eine Zulassung für den mRNA-Impfstoff mResvia® (in der Schweiz im Zulassungsverfahren), der in einer Phase-III-Studie mit Teilnehmenden ab 60 Jahren eine Schutzwirkung vor einer RSV-bedingten Erkrankung der unteren Atemwege mit zwei oder mehr Symptomen von 83,7% sowie von 82,4% für einen RSV-Infekt mit drei oder mehr Symptomen zeigte (8). Die Dauer der Schutzwirkung ist noch nicht bekannt, Real-World-Erfahrungen liegen bislang nicht vor, wie Prof. Wildenbeest ausführt.
Eine Phase-III-Studie mit einem vektorbasierten Impfstoff verlief ebenfalls positiv, es bestehen bislang jedoch keine Zulassungen (9).
In einigen Ländern, in denen die Impfstoffe verfügbar sind, wird Personen ab 75 Jahren eine einzelne Impfung empfohlen. In der Altersgruppe von 60 bis 74 bestehen Empfehlungen für Risikogruppen. In der Schweiz wurden im November 2024 Impfempfehlungen publiziert (10). Der Schutz Neugeborener, sei es durch maternale Impfung oder durch Antikörperprophylaxe, wird mittlerweile in den meisten europäischen Ländern empfohlen.
Infektionen der tiefen Atemwege hinterlassen bleibenden Schaden Auch RSV-Infektionen in der Kindheit sollten nicht nur als vorübergehendes Problem betrachtet werden. Vielmehr gehe von RSV eine langfristige Gesundheitsgefahr aus, so Prof. Dr. Heather Zar, Universität Kapstadt (ZAF). Britische Daten zeigen, dass eine Infektion der unteren Atemwege (LRTI) in der frühen Kindheit das Risiko verdoppelt, vor dem Alter von 73 Jahren an einer respiratorischen Todesursache zu versterben. Kindliche Atemwegsinfektionen waren neben dem Rau-
chen der einzige Faktor, der zu einer signifikanten Risikoerhöhung führte. Handelt es sich um eine schwere Infektion, die eine Hospitalisierung erforderlich macht, so ist das spätere Risiko vierfach erhöht (11). Daten aus Südafrika zeigen, dass LRTI infolge von RSV-Infektionen einen erheblichen Risikofaktor für das Auftreten weiterer LRTI darstellen (12). Diese Ergebnisse wurden in einer amerikanischen Kohorte bestätigt (13). Studien und Metaanalysen zeigen eine ausgeprägte Assoziation von RSV-Infektionen im frühen Leben und dem späteren Asthmarisiko. Diese Assoziation bleibt auch erhalten, wenn in Bezug auf genetische Faktoren adjustiert wird (14). Alleine eine RSV-Infektion, auch wenn sie nicht zu einer symptomatischen Erkrankung führte, erwies sich als assoziiert mit erhöhtem Asthmarisiko im Alter von fünf Jahren (15). Prof. Zar unterstreicht, dass davon nur das nicht atopische Asthma betroffen gewesen sei.
Lungenfunktion als Marker für allgemeine Gesundheit Unabhängig von einer möglichen Entwicklung eines Asthmas beeinflusst RSV die Lungenfunktion ungünstig. Prof. Zar weist auf Daten hin, die bei Kindern nach Infektionen des unteren Respirationstraktes auf eine reduzierte Compliance der Lunge bei gleichzeitig erhöhtem Lungenwiderstand hinweisen. Dies ist insofern problematisch, als sich eine eingeschränkte Einsekundenkapazität in der PURE-Studie bei Erwachsenen als starker Prädiktor von Mortalität, kardialen Erkrankungen und respiratorisch bedingter Hospitalisierung erwiesen hat. Und zwar in höherem Ausmass als andere Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck oder kardiovaskuläre Erkrankung in der Anamnese (16). Prof. Zar: «Lungenfunktion ist ein Marker für allgemeine Gesundheit.»
Werden die heute zur Verfügung stehenden prophylaktischen Massnahmen (maternale Impfung und langwirksame Antikörper) die Spätfolgen von RSV-Infektionen reduzieren? Das könne man noch nicht mit Sicherheit sagen, erläutert Prof. Zar, zumal diese Optionen erst seit rund einem Jahr zur Verfügung stünden und es folglich keine Langzeitdaten gebe. Ergebnisse älterer Studien machen jedoch Hoffnung. So entwickelten Kinder von Müttern, die eine später nicht zur Zulassung gelangte maternale Impfung erhalten hatten, in den ersten Lebensmonaten signifikant seltener LTRI aller Ursachen (17). Es sei also durchaus wahrscheinlich, dass sich diese Prävention von Infektionen des unteren Respirationstrakts auch in der Vermeidung von Schäden äussert, die im späteren Leben relevant werden.
Reno Barth
Quelle: European Respiratoy Society (ERS) Congress 2024, Session «Respiratory syncytial virus-related acute respiratory infection – The Lancet and The Lancet Respiratory Medicine on understanding and addressing a substantial global health problem», 9. September 2024, Wien
1 gemäss Zulassung durch Swissmedic zwischen der 32. und 36. SSW
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