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Kardiovaskuläres Risiko senken
Lp(a): Risikofaktor oder therapeutisches Ziel? Beides!
Ein erhöhter Lp(a)-Wert steigert das kardiovaskuläre Risiko zusätzlich zu den «klassischen» Risikofaktoren. Eine Risikoabschätzung ohne Lp(a) unterschätzt das Risiko für atherosklerosebedingte kardiovaskuläre Ereignisse daher deutlich. Deshalb sollte der Lp(a)-Wert einmal im Leben gemessen und bei erhöhtem Spiegel das LDL-C aggressiv gesenkt werden, wie Prof. Dr. François Mach, Kardiologie, Hôpitaux Universitaires Genève, am Swiss Prevention Summit in Bern ausführte.
Obwohl seit Langem lipidsenkende Therapien zur Verfügung stehen, sind atherosklerosebedingte kardiovaskuläre Ereignisse (ASCVD) häufig – ca. 10% in der
Sekundärprävention. Dies auch bei Individuen mit kontrollier-
tem LDL-Cholesterin(LDL-C)-Spiegel (1). Das stützt einerseits
die Strategie der aggressiven Senkung des LDL-C auf definier-
te Zielwerte, lenkt aber andererseits auch das Interesse auf
verbleibende Restrisiken. Dazu gehören unter anderem die
systemische Entzündung mit erhöhtem C-reaktivem Protein
(CRP), erhöhte Triglyzeridwerte, erhöhter Blutzucker, erhöh-
tes Thromboserisiko und erhöhte Werte des Lipoprotein(a)
(Lp[a]) (1).
Eine grosse Datenanalyse mit Daten von 112 Kohorten mit
1,5 Millionen Teilnehmern zeigte, dass trotz der Kontrolle von
fünf modifizierbaren Risikofaktoren wie Body-Mass-Index,
Blutdruck, Non-HDL-C, Rauchen und Diabetes das Risiko für
ein kardiovaskuläres Ereignis nur auf etwa die
Hälfte sinkt (2). Damit rückt das Lp(a) als bis-
her nicht anvisierter, unabhängiger kardio-
vaskulärer Risikofaktor in den Fokus, wie
Prof. Mach ausführte. Der Lp(a)-Spiegel
sei weitgehend genetisch determiniert
und korreliere nur marginal mit den an-
deren Lipoproteinen. Es bestehe aber
eine kausale Beziehung zwischen der
Lp(a)-Konzentration und kardiovaskulä-
François Mach
(Foto: zVg)
rem Outcome, so der Referent weiter. Deshalb sei es wichtig, das Lp(a) einmal
KURZ UND BÜNDIG
• Lp(a) ist ein kausaler kardiovaskulärer Risikofaktor. • Lp(a) ist ein häufiger Risikofaktor. • Der Messwert ist hilfreich für die Risikoabschätzung. • Die Messung ist einfach und günstig. • Durch geeignete Massnahmen kann dieses Risiko gesenkt
werden.
im Leben zu messen. Das empfehlen auch die Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) zum Management von Dyslipidämien, um Patienten mit sehr hohen Werten (Lp[a] > 180 mg/dl [> 430 nmol/l]) zu identifizieren. Denn das kardiovaskuläre Risiko wird mit solchen Werten gleich hoch bewertet wie eine familiäre Hypercholesterinämie (3). Die Lp(a)-Messung muss nicht nüchtern erfolgen, sie kann jederzeit durchgeführt werden, so Mach.
Was Lp(a)-Werte beeinflusst Auch nicht genetische Faktoren können den Lp(a)-Spiegel beeinflussen. Zu einem Anstieg kommt es bei nephrotischem Syndrom (3–5-fach), Peritonealdialyse (2-fach), entzündlichen Erkrankungen, Proteasehemmern oder antiretroviralen Therapien. Eine Senkung bewirken beispielsweise eine Therapie mit dem Interleukin-6-Inhibitor Tocilizumab, Leberfunktionsstörungen oder lebensbedrohliche AkutphaseReaktionen wie Sepsis oder schwere Verbrennungen (4). Lifestyle-Massnahmen wie Ernährungsanpassungen und mehr Bewegung haben dagegen marginale bis keine Auswirkungen (4).
Die Korrelation zwischen Lp(a)-Spiegel und kardiovaskulären Ereignissen ist vorhanden, dies ungeachtet der Ethnie. Bei weissen Individuen ist sie linear, bei schwarzen Individuen auch, doch das Risiko beginnt bei letzteren bereits bei niedrigeren Werten anzusteigen. Unterhalb von 50 nmol/l besteht jedoch bei beiden kein Risiko (4).
Verglichen mit LDL-C ist Lp(a) stärker atherogen, denn es enthält den höchsten Anteil an proinflammatorischen oxidierten Phospholipiden, die häufig in Koronarplaques zu finden sind. Allerdings enthält der Körper mehr LDL-C als Lp(a) (5,6).
Ab wann ist es gefährlich? Bei 70% der Bevölkerung sind die Lp(a)-Werte im grünen Bereich (0–30 mg/dl bzw. 0–75 nmol/l). Bei 10% der Bevölkerung besteht ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko mit Lp(a)-Werten von 30–50 mg/dl bzw. 75–125 nmol/l, und 20% der Bevölkerung haben ein sehr hohes Risiko (> 50 mg/dl bzw. > 125 nmol/l) (7). Die erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und
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LINKTIPP
Risikorechner mit Lp(a)-Zusatz http://www.lpaclinicalguidance.com/
Mortalität stehen in kausalem Zusammenhang mit sehr hohen Lp(a)-Werten (> 90 mg/dl bzw. > 190 nmol/l). Das gilt vor allem für Myokardinfarkte, Aortenklappenstenosen, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Herzinsuffizienz, Hirnschlag und kardiovaskulären Tod (8). «Je höher die Lp(a)-Konzentration, desto höher das Risiko», fasste Prof. Mach zusammen.
Lp(a) bzw. eine erhöhte Lp(a)-Konzentration ist ein zusätzlicher kardiovaskulärer Risikofaktor, der das Risiko von bereits vorhandenen (Alter, Hypertonie, Rauchen, Diabetes, Dyslipidämie) noch einmal weiter in die Höhe treibt (9): bei wenigen «klassischen» Risikofaktoren um bis zu 10%, im mittleren Bereich um bis zu 26%, bei vielen Risikofaktoren um bis zu 40% (9). Das bedeute, dass das Risiko für ein atherosklerotisch bedingtes kardiovaskuläres Ereignis bei Nichtbeachten des Lp(a)-Werts möglicherweise substanziell unterschätzt werde, so Prof. Mach.
Das gesteigerte Risiko lässt sich mit einem Risikorechner sehr einfach berechnen (10) (siehe QR-Link): Bei Eingabe von Alter, Gewicht, Grösse, Geschlecht, LDL-C, HDL-C, Blutdruck plus Angaben über Diabetes, Rauchen, Antihypertonika und familiäre kardiovaskuläre Ereignisse wird das «normale» kardiovaskuläre Langzeitrisiko ermittelt. Mit der separaten Eingabe des Lp(a)-Werts erscheint das veränderte Risiko. Und weiter kann ermittelt werden, um wie viel das LDL-C und/oder der Blutdruck gesenkt werden müsste, um die zusätzliche Steigerung wieder wettzumachen.
Ab wann besteht Handlungsbedarf? Gemäss dem Konsensus der European Society of Atherosclerosis sind in der Primärprävention das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko, ermittelt anhand der SCORE-Charts, und der Lp(a)-Wert ausschlaggebend (4). Je höher dieses Risiko, desto tiefer sinken die Lp(a)-Cut-off-Werte, bei denen eine Intervention nötig wird. Während also bei einem tiefen kardiovaskulären Risiko (< 1%) Lp(a)-Werte von 50–70 mg/dl bzw. 125–188 nmol/l toleriert werden, sind bei einem hohen Risiko (> 10%) nur noch Werte < 10 mg/dl bzw. < 25 nmol/l ohne therapeutische Konsequenzen wie Lebensstilinterventionen und medikamentöse Therapie der Risikofaktoren erlaubt (4). In der Sekundärprävention, das heisst bei einem sehr hohen kardiovaskulären Risiko, machen auch tiefe Lp(a)-Werte (< 10 mg/dl bzw. < 25 nmol/l) bereits eine Intervention erforderlich (4).
Wie kann behandelt werden? Erhöhte Lp(a)-Werte lassen sich zurzeit nicht korrigieren. Dem dadurch erhöhten kardiovaskulären Risiko wird aber mit einer Intensivierung der LDL-Senkung begegnet. Dies mit LDL-CZielwerten unterhalb der «normalen» (4), in den ESCGuidelines (3) definierten Zielwerte. Bewährte medikamentöse Therapien wie die Statine kombiniert mit Ezetimib können dazu verwendet werden. Seien stärkere Reduktionen notwendig, kämen Bempedoinsäure, PCSK9-Hemmer oder Inclisiran zum Einsatz, so Prof. Mach. Wichtig sei es auch hier, die Gefahr frühzeitig zu erkennen und dagegen anzusteuern. Natürlich seien nach wie vor auch die klassischen Risikofaktoren Ziel der Intervention mittels Blutdruck-, Blutzucker- und Gewichtskontrolle sowie körperlicher Aktivität und gesunder Ernährung.
In naher Zukunft werden direkt wirksame Lp(a)-Senker zur Verfügung stehen, wie Prof. Mach ausführte: In Entwicklung seien einerseits Antisense-Oligonukleotid-Medikamente wie Pelacarsen und Substanzen mit mRNA als Angriffspunkt (Olpasiran, Zerlasiran, Lepodisiran), die das Lp(a) um 80–99% senkten. Sie befinden sich derzeit im Stadium von Phase-IIund Phase-III-Studien. Andererseits werde ein oraler SmallMolecule-Inhibitor (Muvalaplin) entwickelt, der an Apolipoprotein binde und die Lp(a)-Produktion um 65% reduziere. Dieser befinde sich im Phase-I-Stadium.
Valérie Herzog
Quelle: «Lipoprotein(a): Risk factor or therapeutic target?». Prevention Summit, 24. Oktober 2024, Bern
Referenzen: 1. Lawler PR et al.: Targeting cardiovascular inflammation: next steps in
clinical translation. Eur Heart J. 2021;42(1):113-131. doi:10.1093/ eurheartj/ehaa099 2. Magnussen C et al.: Global Effect of Modifiable Risk Factors on Cardiovascular Disease and Mortality. N Engl J Med. 2023;389(14):1273-1285. doi:10.1056/NEJMoa2206916 3. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. doi:10.1093/eurheartj/ehz455 4. Kronenberg F et al.: Lipoprotein(a) in atherosclerotic cardiovascular disease and aortic stenosis: a European Atherosclerosis Society consensus statement. Eur Heart J. 2022;43(39):3925-3946. doi:10.1093/eurheartj/ehac361 5. Tsimikas S et al.: Particle Number and Characteristics of Lipoprotein(a), LDL, and apoB: Perspectives on Contributions to ASCVD. J Am Coll Cardiol. 2024;83(3):396-400. doi:10.1016/j.jacc.2023.11.008 6. Björnson E et al.: Lipoprotein(a) Is Markedly More Atherogenic Than LDL: An Apolipoprotein B-Based Genetic Analysis. J Am Coll Cardiol. 2024;83(3):385-395. doi:10.1016/j.jacc.2023.10.039 7. Kronenberg F et al.: Consensus and guidelines on lipoprotein(a) seeing the forest through the trees. Curr Opin Lipidol. 2022;33(6): 342-352. doi:10.1097/MOL.0000000000000855 8. Nordestgaard BG et al.: Lipoprotein(a) and cardiovascular disease. Lancet. 2024;404(10459):1255-1264. doi:10.1016/S01406736(24)01308-4 9. Kronenberg F: Lipoprotein(a): from Causality to Treatment. Curr Atheroscler Rep. 2024;26(3):75-82. doi:10.1007/s11883-024-01187-6 10. Kronenberg F et al.: Frequent questions and responses on the 2022 lipoprotein(a) consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Atherosclerosis. 2023;374:107-120. doi:10.1016/j.atherosclerosis.2023.04.012
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