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Innere Medizin / Pneumologie
Prof. Dr. med. Daniel Franzen, MHBA Departementsvorsteher und Chefarzt Innere Medizin, Co-Chefarzt Pneumologie Spital Uster AG
«Exazerbationen werden unterschätzt»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Es gibt Erkenntnisse respektive Entwicklungen, die ich im Jahr 2024 sehr spannend fand und die auch die Zukunft der Pneumologie meines Erachtens massgeblich beeinflussen werden. Dabei ist die sich verdichtende Evidenz zu erwähnen, dass Exazerbationen der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) nicht nur zu einem verkürzten Überleben, schlechteren Allgemeinzustand sowie erhöhten Gesundheitskosten führen, sondern auch sehr stark mit kardiovaskulären Ereignissen (Schlaganfall und Herzinfarkt) assoziiert sind. Es ist daher naheliegend anzunehmen, dass das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen durch die Verhinderung von COPD-Exazerbationen gesenkt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es folgerichtig, dass COPD-Exazerbationen der Forschungsschwerpunkt vieler klinischer und pharmakologischer Studien ist. Ich stelle allerdings fest, dass COPD-Exazerbationen im klinischen Alltag wahrscheinlich noch nicht den Stellenwert haben, den sie verdient hätten. Sensibilisierungskampagnen sind dringend notwendig.
Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern? Die Auswahl und die Indikationen für den Einsatz von Biologika nehmen nicht nur in der Onkologie (insbesondere auch bei Lungenkrebs) stetig zu, sondern auch in der Pneumologie. Hier sind vor allem die Entwicklungen bei Asthma bronchiale und COPD zu erwähnen. Es ist als erfreulicher und vielversprechender Höhepunkt des Jahres 2024 hervorzuheben, dass eine signifikante Reduktion des Exazerbationsrisikos bei COPD durch den Einsatz des Biologikums Dupilumab (Anti-Interleukin-4- und Anti-Interleukin-13Antikörper), das bis dato nur bei Asthma bronchiale zugelassen ist, nachgewiesen werden konnte. Das Medikament steht nun in der Schweiz für die Indikation COPD kurz vor der Zulassung. Damit wird neben der inhalativen Tripeltherapie (langwirksamer Beta-2-Agonist [LABA], langwirksamer Muskarin-Rezeptorantagonist [LAMA], inhalatives Kortikosteroid [ICS]) ein weiteres Medikament zur Verhinderung zukünftiger COPD-Exazerbationen zur Verfügung stehen. Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht unerwähnt lassen, dass seit 2024 eine Impfung gegen das respiratori-
sche Synzytial-Virus (RSV) bei Erwachsenen zugelassen ist und ab 2025 kassenzulässig sein wird. Auch dies wird unseren lungen- und herzkranken Menschen helfen, sich vor Exazerbationen ihrer Grunderkrankung zu schützen.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Viele Projekte sind in Entwicklung. Wie stehen Sie dazu? Was versprechen Sie sich davon? Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? KI eröffnet in der Medizin riesige Chancen, sowohl in der Forschung als auch in der direkten Patientenbetreuung. Ich denke, hier stehen wir erst ganz am Anfang einer neuen Ära. Erste Studien sind bereits publiziert worden für den Einsatz der KI bei der radiologischen Befundung, zum Beispiel beim Computertomografie(CT)-basierten Lungenkarzinomscreening, das hoffentlich auch in der Schweiz demnächst einmal flächendeckend angeboten werden kann.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Es hat mich sehr gefreut zu hören, dass das CT-basierte Lungenkarzinomscreening in Deutschland offiziell von der Bundesregierung akzeptiert wurde. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Deutschland wurde nun mit der detaillierten Ausarbeitung des Screeningprogramms beauftragt. Gleichzeitig ärgert es mich, dass wir in der Schweiz hier noch nicht weitergekommen sind, obschon dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) schon seit Jahren ein entsprechender Antrag des Swiss Cancer Screening Committee vorliegt. Durch das CT-Screening könnte die lungenkrebsbezogene Sterblichkeit bei Risikopatienten um durchschnittlich 20% reduziert werden. Das ist besser als jede Systemtherapie!
Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten / geplant und was versprechen Sie sich davon? Was erhoffen Sie sich von 2025? Ich hoffe natürlich, dass sich das BAG 2025 zur Einführung eines CT-Screenings äussern wird – wohl wissend, dass der neoadjuvante Einsatz der Immuntherapie bei lokalisierten (frühen) Stadien eines Lungenkarzinoms zu einer weiteren Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit führt. Möglicherweise wird damit das Screening noch viel effizienter als bisher angenommen, da dadurch ja genau die frühen Stadien herausgefischt werden. Im Bereich der COPD erwarte ich mit Hochspannung weitere Studien zum Einsatz von Biologika zur Verhinderung von Exazerbationen. Auch hier stehen wir erst am Anfang.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Exazerbationen werden gemeinhin unterschätzt. Sie müssen verhindert, erkannt und frühzeitig behandelt werden. Es ist wichtig zu realisieren, dass eine vermeintlich banale Erkältung bei einem COPD-Patienten bereits eine Exazer-
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bation bedeuten kann. Die Patienten müssen entsprechend geschult werden. Bereits die erste Exazerbation in der Karriere eines COPD-Patienten hat einen Einfluss auf seine Prognose. Daher sind auch Impfungen gegen respiratorische Erreger, wie Pneumokokken (seit Kurzem ist eine 20-valente Impfung erhältlich!), Influenza, COVID und neustens auch RSV, von grosser Bedeutung. Diese Basismassnahmen sind das Fundament jeder COPD-Behandlung.
Ohne Fundament, und dazu zählt auch der rigorose Rauchstopp, bringt auch eine noch so ausgeklügelte Therapie nur bedingt etwas. Dabei kann man den Patienten heute viel mehr bieten, als dies noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Hier denke ich nicht nur an die bereits erwähnte Tripeltherapie und Biologika, sondern auch an die Lungenvolumenreduktion oder gar Lungentransplantation.
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