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Titel
Infektiologie und Impfungen – Viele bakterielle Infektionskrankheiten lassen sich kürzer behandeln
Untertitel
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
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Rückblick 2024 / Ausblick 2025
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81096
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Infektiologie und Impfungen
Prof. Dr. med. Ulrich Heininger Leitender Arzt und Chefarzt Stv. Pädiatrie Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB)
«Viele bakterielle Infektionskrankheiten lassen sich kürzer behandeln»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Besonders spannend finde ich, dass sich immer deutlicher zeigt: Viele Infektionskrankheiten lassen sich kürzer behandeln, als man früher dachte. Ich spreche von bakteriellen Infektionen, die mit Antibiotika behandelt werden, wie etwa viele Pneumonien. Früher nahm man an, dass eine Behandlung mindestens 14 Tage dauern muss, ob intravenös oder oral. Dann reduzierte man auf 10 Tage, später auf 7. Jetzt belegen Daten, dass 5 Tage für unkomplizierte bakterielle Lungenentzündungen in der Regel ausreichen  – unabhängig davon, ob konventionelle Erreger oder Mycoplasma pneumoniae die Ursache sind. Nur bei Komplikationen muss man die Behandlung individuell verlängern, bis der Patient deutlich gebessert ist. Das ist spannend, spart Geld, Ressourcen, Zeit und verringert die unerwünschten Auswirkungen von Antibiotika auf die Darmflora. Diese Entwicklung ist grossartig, und ich hoffe, sie findet auch Eingang in die Hausarztpraxis.
Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Versorgung erheblich verbessern? Ich möchte auf zwei Pneumokokken-Konjugatimpfstoffe hinweisen: den 20-valenten (Prevenar® 20) und den 15-valenten (Vaxneuvance®), den wir in der Pädiatrie neuerdings bevorzugt verwenden. Die Eidgenössische Kommission für Impffragen, EKIF, empfiehlt die Pneumokokken-Impfung für alle Erwachsenen ab 65 Jahren. Mit diesen höhervalenten Impfstoffen decken wir die verbleibenden Pneumokokken, die invasive Infektionen wie Pneumonien und Sepsis verursachen, deutlich besser ab als bisher. So verbessern wir die Prävention erheblich.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Wie stehen Sie dazu? Was versprechen Sie sich davon? Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? Ich halte KI für ein zweischneidiges Schwert, das offensichtliche Vorteile bietet, aber auch Gefahren birgt. Ein Vorteil ist ganz klar, KI ist wesentlich schneller als menschliche Intelligenz. Wenn man eine Frage hat, erhält man sekundenschnell eine Antwort. Das Problem ist, dass die

Antwort manchmal fehlerhaft ist. Das merkt man, wenn man z.B. eine Frage stellt, deren Antwort man bereits kennt. Dabei bin ich schon des Öfteren auf teils eklatante Fehler gestossen. Deshalb muss man die Informationen sorgfältig prüfen und darf sie nicht einfach eins zu eins übernehmen. Ich nutze KI, um z.B. bei ungewöhnlichen Symptomen nach möglichen Ursachen zu fragen. Diese Art der Anwendung eignet sich für die Medizin, solange man keine persönlichen Patientendaten wie Alter oder Wohnort preisgibt.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Besonders gefreut haben mich die Fortschritte bei Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), für die wir bisher keine wirksame Prävention hatten. Seit Ende Oktober gibt es Nirsevimab (Beyfortus®), einen monoklonalen Antikörper gegen RSV. Eine einzige Gabe schützt Neugeborene fünf bis sechs Monate. Wir bieten diesen Schutz direkt nach der Geburt an, und für Säuglinge, die seit dem 1. April 2024 geboren wurden – als «Nachholprävention», da es sich nicht um eine klassische aktive Impfung handelt, sondern um einen passiven Schutz durch Antikörper. Das Angebot wird gut angenommen: In Zusammenarbeit mit dem Frauenspital haben wir am UKBB bislang über 80% der Eltern davon überzeugen können, obwohl es einen Piks für das Kind bedeutet. Ausserdem gibt es zwei aktive Impfstoffe gegen RSV: Arexvy® ist für die Impfung im Seniorenalter gedacht und wird von der EKIF jetzt für alle Personen ab 75 als einmalige Impfung empfohlen und für alle ab 60 Jahren, die zusätzliche Risikofaktoren aufweisen. Das Gleiche gilt für Abrysvo®, das zusätzlich für schwangere Frauen empfohlen wird. Wie bei Impfungen gegen Grippe oder Pertussis kann man damit das Kind nach der Geburt schützen – das kann dann im Herbst als alternative Option angewendet werden. In den vergangenen zwei Jahren haben wir als Folgen der Massnahmen gegen die COVID-19-Pandemie die Rückkehr vieler Infektionskrankheiten erlebt. Besonders in der Pädiatrie sind RSV-Infektionen häufig, während Mykoplasmen und Pertussis alle Altersgruppen betreffen. Gegen Pertussis haben wir bewährte Impfstoffe, gegen RSV neuerdings auch. Und hier komme ich schon zu dem, was mich am meisten ärgert: Die offiziellen Impfempfehlungen der Schweiz empfehlen immer noch keine regelmässigen Auffrischungen des Pertussis-Impfschutzes für Erwachsene. Die Impfung wird nur empfohlen, um schwere Fälle bei Säuglingen zu verhindern. Ein Erwachsener ohne regelmässigen Kontakt zu Säuglingen hat keinen Anspruch auf Auffrischung. Wer aber Keuchhusten bei Erwachsenen erlebt hat, wird bestätigen, dass regelmässige Auffrischungen, wie bei Diphtherie und Tetanus, sinnvoll wären. Es ärgert mich schon länger, dass sich daran nichts ändert.

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RÜCKBLICK | AUSBLICK

Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten / geplant und was versprechen Sie sich davon? Was erhoffen Sie sich von 2025? Ich glaube, dass die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Lyme-Borreliose allmählich in greifbare Nähe rückt. Vor über 20 Jahren gab es in den USA bereits einen Impfstoff, der kurzzeitig auf dem Markt war, jedoch nie in der Schweiz. Aus verschiedenen Gründen zögerten die Hersteller lange, sich dem Thema erneut zu widmen, betrieben aber weiterhin Grundlagen- und Entwicklungsforschung. Zwar können wir diese Erkrankung antibiotisch gut behandeln, aber es gibt hartnäckige und langwierige Verläufe. Ich hoffe, dass diese Infektionskrankheit, die erhebliche Morbidität verursacht, künftig durch Impfung vermeidbar wird. Das ist ja das Eleganteste in der Medizin: Krankheiten zu verhindern, bevor sie entstehen. Ich wünsche mir, dass die Schweiz auch künftig die Präventivmedizin im Gesundheitswesen angemessen berücksichtigt. Trotz aller Sparmassnahmen sollten wir hier nicht kürzen. Besonders wichtig ist die Impfprävention, die ihren hohen Stellenwert behalten muss. Zudem hoffe ich, dass der Trend der letzten 20 Jahre anhält: Medikamente und Impfstoffe sollen auch Menschen in weniger privilegierten Regionen, den sogenannten Low- und Middle-Income-Län-

dern, zeitnah zugutekommen. Dank der Melinda Gates Foundation, Gavi, der WHO und vielen privaten Initiativen hat sich die Lage bereits verbessert. Ich wünsche mir, dass dieser Fortschritt anhält.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? In der Hausarztpraxis kann man viel Gutes tun, wenn die bestehenden Impfempfehlungen noch konsequenter umgesetzt werden – zum Beispiel die Impfungen gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder die Impfungen im Seniorenalter, das heisst gegen Influenza, Herpes zoster, COVID-19, Pneumokokken und RSV. Ausserdem könnte man eine regelmässige «Impfaufmerksamkeitswoche» einführen, zum Beispiel einmal im Quartal. In dieser Woche sollten Patienten bei jedem Terminwunsch daran erinnert werden, den Impfausweis mitzubringen, um ihn zu überprüfen. Das könnte angepasst an die Jahreszeit erfolgen, im Frühling sind andere Impfungen relevant als im Herbst. Das schult auch das Praxispersonal – und wir wissen, dass gut geschultes Praxispersonal vieles selbstständig erledigen kann. Und vergessen Sie nicht, bei Impffragen dürfen Sie Experten auf www.infovac.ch konsultieren.

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