Transkript
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Infektiologie
PD Dr. med. Markus Schneemann Stv. Chefarzt Klinik für Innere Medizin Kantonsspital Schaffhausen
«Ich freue mich darüber, dass es wieder ein paar neue Antibiotika gibt»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Qualitätskommission unserer Fachgesellschaft in der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin SGAIM. Wir haben Erkenntnisse zu Qualitätsverbesserungsmassnahmen im stationären wie auch im ambulanten Bereich zusammengetragen, und die Publikation ist für dieses Jahr geplant. Zur Vorbereitung dieses Buchs haben sich über zehn Mit-
glieder dieser Kommission unter der Leitung von Prof. Maria Wertli, Chefärztin Allgemeine Innere Medizin, Kantonsspital Baden, regelmässig getroffen und alles noch einmal durchgesprochen und redigiert. Ein Beispiel betrifft den Informationsaustausch, wenn der Patient verschiedene Institutionen in der Medizin durchläuft, beispielsweise von der Praxis ins Spital und wieder zurück in die Praxis oder in eine Rehabilitationsklinik oder eine andere Gesundheitsinstitution wie ein Alters- und Pflegeheim. Da ist es wichtig, dass die Informationen auch mit in die richtige Richtung übermittelt werden. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei, dass der Informationsfluss von elektronischen Hilfsmitteln übernommen werden kann. Beispielsweise durch die digitale Plattform E-Mediplan oder andere Software-Produkte für die Angaben zu den verschiedenen Medikamenten, die die Patienten einnehmen. Wenn ein solches System von verschiedenen Spitälern und Praxen, die häufig zusammenarbeiten, angewendet wird, könnte die Medikamentenliste immer aktuell gehalten werden. Apotheken spielen dabei auch eine wichtige Rolle, sie müssten ebenfalls eingebunden sein. Ein nächster Schritt wäre dann das elektronische Patientendossier, bei dem der Patient steuern kann, wer Zugriff auf die Daten erhalten kann.
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Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern? In meinem Fachgebiet der Infektiologie musste man lange Zeit zuschauen, wie die Resistenzraten steigen, ohne dass neue Antiinfektiva verfügbar wurden. Das hat sich jetzt glücklicherweise geändert. Es wurden von verschiedenen Firmen neue Medikamente entwickelt oder sind in Zulassung. Zurzeit sind das über 20 Präparate, zum Beispiel
«Fast die Hälfte der Ärzte-
schaft hat ein ausländisches
Diplom.»
Kombinationen von bereits Bekanntem wie Carbapenemen, Chinolonen oder Cephalosporinen mit Betalactamasehemmern. Ein Beispiel ist die Kombination von Meropenem mit einem Betalactamasehemmer. Für Spitäler sind das gute Nachrichten, denn sie sind zunehmend mit Carbapenemasen konfrontiert. Es gibt erfreulicherweise auch neue Chinolone und Glykopeptide, die jetzt auf den Markt kommen, sie sind vorerst als Reserve gedacht. Denn es braucht sicher infektiologische Fachexpertise oder vertiefte Kenntnisse über die Krankheitsbilder dieser Erreger, um die richtige Indikation für den Einsatz dieser Mittel zu stellen.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Viele Projekte sind in Entwicklung. Wie stehen Sie dazu? Was versprechen Sie sich davon? Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? Ich selbst arbeite noch nicht damit, aber man sieht schon, es wird sicher unseren Alltag verändern. Ich bin jetzt noch vorsichtig, ich denke aber, dass es sicher viele Bereiche geben wird, in denen es durch die KI Entlastung oder Verbesserung geben wird. Ich denke zum Beispiel an das Schreiben von Arztberichten. Auf der anderen Seite habe ich auch eine gewisse Sorge darüber, wie viel Arbeitskräfte dadurch ihre Stelle verlieren werden. KI kann auch bei der Erstellung von Dienstplänen eine Unterstützung sein, beispielsweise bei der Berücksichtigung von Teilzeitarbeit, Arbeitsgesetz und Abwesenheiten. In medizinischer Hinsicht wird KI bereits in der Gastroenterologie bei der Tumordiagnostik mittels Endoskopie und Koloskopie unterstützend eingesetzt.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Per Anfang Januar gab es einen Führungswechsel in unserer Klinik. Yvonne Nussbaumer, Pneumologin und Internistin an unserem Kantonsspital in Schaffhausen, ist seit Anfang Jahr Chefärztin der Klinik für Innere Medizin und ich ihre Stellvertretung. Im 2024 war dies noch umgekehrt. Es hat mich sehr gefreut, dass der Generationenwechsel so geklappt hat, und zwar noch vor Beginn des Neubaus des Kantonsspitals Schaffhausen. Denn ich werde bei Fertigstellung des Neubaus bereits in Pension sein, sodass die neue Chefärztin die Phase des Neubaus sowie dessen Bezug selber begleiten kann. Ich finde es wichtig, dass eine Person die Klinik führt und mitverantwortlich ist in der Spitalleitung, die dann selber auch im Neubau aktiv tätig ist. Der Zeitpunkt für diesen Wechsel ist im Dienst der Stabilität der Klinik gut gewählt, sodass die Risiken nicht so gross sind, wenn ich dann aufhöre. Worüber ich mich so geärgert habe, kann ich gar nicht sagen. Worüber soll man sich in der Schweiz eigentlich ärgern? Wir beschweren uns ja über Dinge, von denen andere Länder sagen, wenn man sich über solche Dinge beschweren könne, habe man keine richtigen Probleme. Odo Marquard, ein deutscher Philosoph, nannte dieses Phänomen das «Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom», oder das «Gesetz der Penetranz der negativen Reste». Ich finde, das trifft ganz gut auf die Schweiz zu. Auf der anderen Seite merken wir schon, dass es sich mit der angespannten Finanzierung der Spitäler nicht mehr so entspannt arbeiten lässt. Und dass der inländische Ärztenachwuchs immer noch viel zu knapp ist. Fast die Hälfte der Ärzteschaft hat ein ausländisches Diplom. Eine Qualitätseinbusse sehe ich aber nur dort, wo es an Sprachkenntnissen fehlt. Im Gespräch mit den Patienten ist das halt sehr wichtig.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Ich freue mich darüber, dass das Bild des Arztberufs in letzter Zeit von den Ärzten selbst wieder positiver dargestellt wird. Das motiviert junge Leute, diesen Beruf ebenfalls zu ergreifen. Denn er ist interessant, vielfältig und hat mit Menschen zu tun. Ich finde es wichtig, bei diesem Beruf ein positives Gefühl zu vermitteln. Nur über finanzielle Einschränkungen und Nachwuchsprobleme zu lamentieren wirkt unsympathisch. Denn das sind Dinge, die man ändern kann. Das braucht aber Zeit.
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