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Geriatrie
PD Dr. med. Andreas M. Fischer Leitender Arzt / Leiter NutriCare Clinic Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER, Basel
«Epigenetische Uhr könnte Behandlungsansätze neu definieren»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Aktuell befinden wir uns in einem spannenden Wandel in der Altersmedizin: Der Fokus liegt nicht mehr ausschliesslich auf der Akutmedizin und Rehabilitation, sondern zunehmend auch auf der Präventivmedizin. In unserem klinischen Alltag sind wir immer mehr mit der Vision konfrontiert, nicht nur Krankheiten zu behandeln, sondern auch aktiv das gesunde Altern zu fördern. Ältere Menschen in der Schweiz wünschen sich eine aktivere Rolle in ihrer Gesundheitsgestaltung, während der personalisierten Medizin mit individuellen Ansätzen weiter Vorschub geleistet wird.
Wurden 2024 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern? Auch im Jahr 2024 sind Verbesserungen durch Medikamente in der Altersmedizin oft nicht kurzfristig, sondern eher im mittel- und langfristigen Zeitraum zu bewerten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Polypharmazie, wo Wechselwirkungen zwischen Medikamenten ein kritisches Problem darstellen. Beeindruckende Vertreter sind beispielsweise Metformin und GLP-1-Rezeptoragonisten. Metformin, ursprünglich isoliert aus der Geissraute (Galega officinalis) und seit den 1950er-Jahren zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen, zeigt nun Potenzial als «Anti-Aging-Mittel» durch die Hemmung des mTORSignalwegs, was unterstützende Effekte auf das gesunde Altern ermöglichen könnte. GLP-1-Rezeptoragonisten hingegen bieten nicht nur Vorteile bei der Blutzuckerregulation, sondern scheinen auch die Herz- und Muskelgesundheit zu beeinflussen, was besonders in der Altersmedizin von Bedeutung ist.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? Die Integration von KI in die Medizin ist ein aufregendes und dynamisches Thema. In der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER in Basel wird beispielsweise intensiv an der KI-basierten, schnittbildgestützten computertomografischen Merkmalsanalyse gemeinsam mit klinischen Informationen geforscht. Ziel dieser Forschung ist es, die
Muskelmasse und Muskelqualität älterer Personen hochpräzise, nachhaltig und personalisiert zu analysieren. Diese Entwicklungen werden künftig äusserst wertvoll für das Verständnis von Krankheitsbildern wie Sarkopenie und Malnutrition sein. KI-basierte Analysen haben daher das enorme Potenzial, im Spitalalltag unterstützende Helfer zu werden und neue Ansätze zur Verbesserung der Phänotypisierung von Krankheiten zu bieten. Vielversprechende Ergebnisse hierzu wurden vor Kurzem ausgewertet und werden der wissenschaftlichen Welt im Jahr 2025 zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus ist der Food-Scanner, ein KI-Algorithmus zur Rückmeldung der Essensmenge, bereits seit Jahren fester Begleiter unseres Spitalalltags. Dadurch soll die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit der Nahrungsaufnahme unserer Patientinnen und Patienten Rechnung getragen werden – ähnlich wie es bei der Aufzeichnung und Kontrolle der Vitalzeichen der Fall ist.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Im Jahr 2024 hat uns erneut das positive Feedback erkrankter Personen und die Wertschätzung ihrer Angehörigen berührt, was den gemeinsamen interdisziplinären und interprofessionellen Erfolg unserer Behandlungsansätze unterstreicht. Gleichzeitig ärgert uns die zunehmende Bürokratisierung im Gesundheitswesen, die nicht nur die Behandlung erschwert und verteuert, sondern auch wertvolle Ressourcen bindet.
Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten / geplant und was versprechen Sie sich davon? Was erhoffen Sie sich von 2025? Für 2025 erwarten wir einige sehr spannende Fortschritte. Einer ist beispielsweise der Ansatz der epigenetischen Uhr, wie sie von Tony Wyss-Coray entwickelt wurde. Dieser innovative Ansatz quantifiziert das individuelle biologische Alter von Muskulatur, Knochen, Gehirn und anderen Organen und ermöglicht evidenzbasierte Analysen von Interventionen in der Ernährungs- und integrativen Medizin sowie körperlicher Aktivität. Wir versprechen uns von diesem Ansatz personalisierte Behandlungsstrategien, die besonders wertvoll für die Gesundheit älterer Menschen sein dürften. Zudem entwickelt sich das zunehmende Interesse an Eigenverantwortung und Prävention in der alternden Bevölkerung der Schweiz zum besten Partner für neue Therapiekonzepte.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Wir schätzen vor allem die essenzielle Rolle, die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis unermüdlich bei der frühzeitigen Erkennung von Gesundheitsproblemen übernehmen. Regelmässige Screenings ermöglichen es, Erkrankungen wie Sarkopenie und Malnutrition frühzeitig zu identifizieren und entsprechend zu behandeln. Darüber hinaus sollten wir präventive Massnahmen aktiv mit unse-
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ren Patienten besprechen, um ihre Gesundheit zu fördern. Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit unterstützt uns dabei, ganzheitliche Behandlungsansätze zu entwickeln und personalisierte Lösungen zu finden. Indem wir
unseren Patienten Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen, schaffen wir eine vertrauensvolle Atmosphäre, die für den Behandlungserfolg von grundlegender Bedeutung ist.
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