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Gastroenterologie
Prof. Dr. med. Stephan Vavricka Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie AG, Zürich
«Die Fallpauschalen im ambulanten Bereich machen mir Sorgen»
Welche neuen Erkenntnisse des abgelaufenen Jahres in Ihrem Fachgebiet fanden Sie besonders spannend? Es ist sehr spannend, dass neue Moleküle im Gebiet der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gefunden worden sind und in den Studien positive Resultate gezeigt haben. Sowohl beim Morbus Crohn als auch bei der Colitis ulcerosa gibt es neue gute Therapien. Dazu gehören die Interleukin(IL)-23-Antikörper Risankizumab und Mirikizumab, sie stehen bereits zur Verfügung. Guselkumab wird hoffentlich bald für diese Indikation zugelassen werden. Bei der Blockierung des IL-23 handelt es sich um einen neuen Wirkmechanismus, mit dem alle drei Vertreter bei Morbus Crohn sehr gut ansprechen, dies sowohl bei biologikanaiven Patienten als auch bei Patienten, die bereits mit Biologika vorbehandelt sind. Damit erweitern sich erfreulicherweise die therapeutischen Möglichkeiten bei dieser Erkrankung. Auch in der Behandlung der Colitis ulcerosa stehen die zwei IL-23-Antikörper Risankizumab und Mirikizumab zur Verfügung, und für Guselkumab sollte das auch bald der Fall sein. Diese ergänzen die bereits länger verfügbare IL-12/23-Therapie mit Ustekinumab. Neue Möglichkeiten bei Colitus ulcerosa bieten auch die Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptormodulatoren. Zu nennen sind hier Ozanimod, das aus der Behandlung der Multiplen Sklerose bekannt ist. Ein weiterer S1P-Rezeptormodulator, Etrasimod, steht ebenfalls bald zur Verfügung. Der Januskinasehemmer Upadacitinib kann bei beiden Erkrankungen eingesetzt werden und zeigt gute Wirksamkeit. Eine spannende Entwicklung betrifft die Studienendpunkte, die in den letzten Jahren immer strenger geworden sind. Zu den klassischen klinischen Endpunkten wie Symptome und Lebensqualität sind die endoskopische, histologische und in der jüngsten Zeit auch die molekulare Remission hinzugekommen, wobei Letztere die Ausheilung der ganzen Erkrankung widerspiegelt. Erfreulicherweise erfüllen immer mehr Studien diese strengen Endpunkte. Nach Jahren des Stillstands steht in der Behandlung der nicht alkoholischen Fettleber (NASH) mit Resmetirom bald auch eine neue Therapie zur Verfügung. Dabei handelt es sich um einen Thyroidrezeptor-Beta-Agonisten, mit dem die Fibrosebildung gebremst und teilweise rückgängig ge-
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macht werden kann. Auch Semaglutid hat in einer PhaseII-Studie eine Verbesserung der NASH gezeigt. Auch bei der Hepatitis D gibt es Neuigkeiten. Diese tritt immer zusammen mit einer Hepatitis-B-Infektion auf. Hier wird das Medikament Bulevirtid neu eingesetzt. Damit sinken die Hepatitis-D-Virus-RNA-Werte deutlich ab und die Transaminasen normalisieren sich.
Die künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde und hat in der Medizin in gewissen Bereichen bereits Einzug gehalten. Viele Projekte sind in Entwicklung. Wie stehen Sie dazu? Was versprechen Sie sich davon? Nutzen Sie KI bereits für Ihre Arbeit? Dank KI wird die Diagnostik in der Gastroenterologie immer präziser. KI-Algorithmen können bereits jetzt Endoskopiebilder analysieren, um Polypen oder frühe Anzeichen von Krebs schneller und genauer zu erkennen. Für 2025 wird erwartet, dass diese Technologie weiter verfeinert wird, insbesondere in der Unterscheidung zwischen harmlosen und bösartigen Gewebeveränderungen. Zudem könnten personalisierte Behandlungspläne auf Basis genetischer und molekularer Daten weiter an Bedeutung gewinnen.
Was hat Sie 2024 am meisten gefreut und was am meisten geärgert? Die Diskussion über Fallpauschalen im ambulanten Bereich nach Einführung des TARDOC macht mir Sorgen. Es wird leider dazu führen, dass die Behandlungsqualität sinkt und nur noch das gemacht wird, was mit der Pauschale bezahlt ist. Das könnte zum Beispiel dazu führen, dass Polypen zwar abgetragen, aber nicht mehr histologisch untersucht würden, weil die Untersuchung in der Pauschale nicht enthalten ist. Das läuft auf eine seltsame Medizin hinaus, bei der die Patienten nicht mehr richtig betreut werden. Es freut mich dagegen, dass man wieder vermehrt an Kongresse gehen und sich ungehindert persönlich austauschen kann. Ich finde das Treffen von Fachkolleginnen und Fachkollegen an solchen Anlässen sehr wichtig. In diesem Bereich hat sich glücklicherweise wieder die Normalität eingestellt.
Ist 2025 in Ihrem Fachbereich etwas Besonderes zu erwarten / geplant und was versprechen Sie sich davon? Was erhoffen Sie sich von 2025? Die Gastroenterologie entwickelt sich stetig weiter, und das Jahr 2025 verspricht spannende Innovationen und Fortschritte. Neben der Verbesserung der KI und den neuen Therapien bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten sehe ich folgende wichtigste Entwicklungen, die in diesem Jahr erwartet werden: 1. Endoskopische Innovationen: Minimalinvasive Verfahren könnten weiter revolutioniert werden. Neuartige Technologien wie die robotergestützte Endoskopie, die präzisere Eingriffe ermöglichen, oder Endoskope mit verbesserter Bildgebung (z.B. 4K-Auflösung oder optische Biopsie)
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könnten 2025 breiter verfügbar sein. Diese Innovationen versprechen kürzere Eingriffszeiten und eine schnellere Genesung der Patienten. 2. Mikrobiomanalysen und personalisierte Ernährung: Das Verständnis des Darmmikrobioms wird immer besser, und 2025 könnte ein Jahr sein, in dem Mikrobiomtests zur Standarddiagnostik werden. Dadurch liessen sich personalisierte Ernährungspläne oder Probiotika entwickeln, um gastrointestinale Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom oder Fettlebererkrankungen gezielt zu behandeln. 3. Digitalisierung und Telemedizin: Die Integration digitaler Technologien wird die Patientenversorgung in der Gastroenterologie weiter verbessern. Telemedizinische Plattformen könnten Routinekontrollen oder Nachsorge einfacher machen, insbesondere in ländlichen Regionen. Auch smarte Geräte wie tragbare Sensoren zur Langzeitüberwachung von Darmgesundheit könnten verstärkt eingesetzt werden. 4. Neue Ansätze in der Krebsfrüherkennung: Die Früherkennung von Magen-Darm-Krebs wird durch neue, nicht invasive Tests wie Flüssigbiopsien weiterentwickelt. Diese Tests analysieren Biomarker im Blut, um frühzeitig auf Krebs hinweisen zu können, was die Prognose für Patienten deutlich verbessert. Mein Fazit: Das Jahr 2025 könnte ein Wendepunkt in der Gastroenterologie werden, da technologische Innovationen, personalisierte Medizin und neue therapeutische Ansätze die Patientenversorgung revolutionieren. Diese Entwicklungen versprechen nicht nur eine bessere Diagnose
und Behandlung, sondern auch eine gesteigerte Lebensqualität für Patienten mit gastroenterologischen Erkrankungen.
Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis? Ich habe drei persönliche Wünsche an die Hausärzte. Der erste Wunsch ist, dass es nach einer Helicobacter-pyloriEradikation nicht untergeht, dass nach acht Wochen nachkontrolliert werden soll, ob die Eradikation tatsächlich erfolgreich war. Denn die Resistenzlage von Helicobacter pylori in der Schweiz führt dazu, dass die Antibiose nicht bei jedem Patienten gleich gut anspricht. Die Nachkontrolle kann entweder mit einem C13-Harnstoff-Atemtest oder mit einem Stuhl-Antigentest erfolgen. Mein zweiter Wunsch betrifft die Anwendung von Protonenpumpenhemmern (PPI). Diese sollen gemäss «choosing wisely» der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) bei Patienten, die die PPI nicht mehr benötigen, nach Möglichkeit abgesetzt werden. Sollte bei bestimmten Erkrankungen eine Langzeitbehandlung notwendig sein, soll die tiefstmögliche Dosierung gewählt werden. Mein dritter Wunsch betrifft das Management der Zöliakie. Erstgradige Verwandte von Zöliakiepatienten sollten mit einem Antitransglutaminase-Antikörpertest ebenfalls auf Zöliakie getestet werden. Zudem sollten Patienten mit Zöliakie gegen Pneumokokkeninfekte geimpft werden.
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