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BERICHT
Schutz vor saisonalen Atemwegsinfektionen
«Idealer Impftermin liegt zwischen Mitte Oktober und Mitte Dezember»
Die «Grippesaison» steht vor der Tür. Doch sind für die schweren Atemwegserkrankungen nicht mehr nur Influenzaviren verantwortlich, sondern auch SARS-CoV-2 und Pneumokokken. Impfungen gegen diese Erreger lohnen sich, vor allem für ältere Menschen, um ihr Komplikationsrisiko zu reduzieren, erklärte Dr. Daniel Desgrandchamps, Leiter Spezialimpfsprechstunde Kantonsspital Zug, Baar.
Im Gegensatz zu früher tritt heute nicht mehr nur die Grippe als virale saisonale Atemwegserkrankung auf, sondern auch SARS-CoV-2 und RSV. Der Anteil der viralen Last über das Jahr ist bei SARS-CoV-2 mit 32 Prozent am höchsten, gefolgt von Rhinoviren (24%) und Influenzaviren (20%) (1), wobei Rhinoviren eher harmlose Erkrankungen verursachen und nicht impfbar sind. Die aktive Influenza-Impfung (Fluarix Tetra®, Influvac Tetra®, Flucelvax Tetra®, Vaxigrip Tetra®) ist gegen je zwei Typen der A- und B-Stämme gerichtet und gemäss Schweizer Impfplan empfohlen (2). Ebenfalls empfohlen ist die hochdosierte quadrivalente Grippeimpfung mit 4-fach erhöhter Antigenmenge (Efluelda®) zur Wirkungsverstärkung für Patienten ≥ 75 Jahre beziehungsweise für Patienten ≥ 65 Jahre mit mindestens einem weiteren Risikofaktor. Das sei wichtig, so der Referent, denn mit zunehmendem Alter steigt das Hospitalisationsrisiko: bei > 85-Jährigen um das 6-Fache im Vergleich zu 65- bis 69-Jährigen. Auch das Mortalitätsrisiko steigt mit zunehmendem Alter überdurchschnittlich an. Denn Influenza ist auch ein Trigger für kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt, Hirnschlag und Herzinsuffizienz (3). Das Myokardinfarktrisiko ist innerhalb 1 Woche nach einem Influenzainfekt 6- bis 10-fach erhöht (4, 5), und das Risiko für Hirnschlag ist 3- bis 8-fach höher während längerer Zeit nach der Grippe (6). Auch die Morbidität und Mortalität bei Herzinsuffizienz steigen um bis zu 20 Prozent (7). Eine Grippeimpfung kann aber auch als Herzinfarktprophylaxe dienen. Wie eine Untersuchung zeigte, ist sie zur Myokardinfarktprävention ähnlich wirksam (15–45%) wie andere in diesem Bereich etablierte Interventionen wie Rauchstopp (32–43%), Lipidsenkung mit Statinen (19–30%) oder eine antihypertensive Therapie (17–25%) (8). Auch Diabetespatienten mit einer Influenza haben ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und Mortalität (9). Zu guter Letzt könnte eine regelmässige Grippeimpfung auch das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz senken. In einer Propensity-Score gematchten Phase-IV-Studie wurden 935 887 geimpfte und ungeimpfte Paare während knapp 9 Jahren nachverfolgt. Die Patienten waren zu Studienbeginn ohne Demenz und erhielten entweder 0, 3 oder 6
aufeinanderfolgende Grippeimpfungen. 5,1 Prozent der geimpften und 8,5 Prozent der ungeimpften Patienten hatten nach 4 Jahren eine Alzheimer-Demenz entwickelt, wobei die Rate bei jenen mit 6 Impfungen am tiefsten war. Das relative Risiko betrug 0,6, die absolute Risikoreduktion lag bei 0,034 und die Number Needed to Treat 29,4 (10).
COVID-19-Impfung empfohlen
Die ebenfalls aktive SARS-CoV-2-Impfung ist gegen die aktuell kursierende Virusvariante JN1 (Spikevax JN1®) gerichtet. Die Krankheitslast von COVID-19 sei zwar nicht vergleichbar mit dem Höhepunkt der Pandemie, doch erfolgten nach wie vor doppelt so viele Hospitalisationen aufgrund von COVID-19 als mit Grippe, und die Mortalität ist 3,5fach höher, wie Desgrandchamps die Situation von 2023/2024 ausführte. Die COVID-19-Impfung ist aktuell für Patienten mit Risikofaktoren empfohlen. Dazu gehören laut Desgrandchamps ein Alter zwischen 65 und 80 Jahren, Hypertonie, Diabetes, Übergewicht, Immunsuppression, hämatologische Malignome mit Therapie und Dialyse. Der ideale Impfzeitpunkt in dieser Saison liegt gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) Mitte Oktober bis Mitte Dezember, aber mindestens 6 Monate nach der letzten Impfung oder Infektion. Andere Impfungen mit inaktivierten Impfstoffen können gleichzeitig erfolgen (11). In der vergangenen Saison 2023/24 erreichten Impfstoffe gegen die XBB.1.5-Variante gemäss amerikanischen RealWorld-Daten eine Wirksamkeit gegen Hospitalisation von 53 Prozent und eine Wirksamkeit gegen eine symptomatische Infektion von 58 Prozent bei immunkompetenten Erwachsenen (12). Es sei davon auszugehen, dass die Übereinstimmung des zirkulierenden Virusstamms mit der aktuellen Impfung ähnlich gute Ergebnisse erzielen könne, so der Experte. Wichtig sei dabei nicht, mit welchem Impfstoff geimpft werde, sondern dass überhaupt eine Impfung erfolge. Mit der Zeit nehme der Impfschutz jedoch ab, vor allem gegen neue Varianten (13). Daher würden variantenangepasste Impfstoffe für einen zusätzlichen Schutz benötigt (14).
ARS MEDICI 23 | 2024
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BERICHT
Pneumokokkenimpfung ebenfalls empfohlen
Bei Personen ab 65 Jahren ist die Pneumokokkenimpfung generell als ergänzende Impfung empfohlen, um invasive Pneumokokkenerkrankungen und Pneumokokkenpneumonien vorzubeugen. Die Inzidenz dieser Erkrankungen steigt mit zunehmendem Alter als unabhängigem Risikofaktor und mit Komorbiditäten an, vor allem bei Immunsuppression, chronischer Niereninsuffizienz, Krebserkrankungen und Cochlea-Implantaten (15). Die Durchimpfung mit Pneumokokkenimpfstoff beträgt in der Schweiz bei 65- bis 85-Jährigen nur gerade 10 Prozent (16). Bei Immunsupprimierten und Personen mit mehreren Risikofaktoren liegt die Durchimpfung etwa bei einem Viertel (16). Damit bestehe ein deutlicher Verbesserungsbedarf, wie der Referent betonte. Als Impfungen sind Konjugatimpfstoffe (PCV-13 [Prevenar 13®], PCV-20 [Prevenar 20®]) empfohlen. Der 20-valente PCV-Impfstoff wird nun neu von den Krankenkassen zurückerstattet, so Desgrandchamps.
RSV macht zunehmend Probleme
RSV (Respiratory Syncytial Virus) sei vor allem ein Problem
für ganz junge Kinder, doch spiele es auch bei älteren Patien-
ten eine zunehmend erkannte Rolle, vor allem im höheren
Alter, wie der Experte hervorhob. Gemäss einer europäischen
Schätzung ist das Hospitalisationsrisiko von 75- bis 74-Jäh-
rigen mit RSV-Infekt doppelt so hoch wie bei Jüngeren und
bei ≥ 85-Jährigen bis zu 3-fach höher (17). In Deutschland
besteht für ≥ 75-Jährige eine Impfempfehlung, wie der Refe-
rent berichtet. Vermutlich werde das im nächsten Jahr auch
für die Schweiz der Fall sein. Daten aus zwei Schweizer Spi-
tälern zeigen, dass RSV-Infekte häufig zu Komplikationen
führen und die Verläufe mindestens so schwerwiegend sind
wie bei einem Influenzainfekt (18). Mittlerweile gibt es
gemäss Desgrandchamps zwei gut wirksame Impfstoffe
(Abrysvo®, Arexvy®), die in der Schweiz zugelassen, aber von
der Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) noch
nicht empfohlen sind.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Schutz vor saisonalen Atemwegserkrankungen», FOMF-WebUp 2. Oktober 2024.
QR-Link Factsheet «Empfohlene Impfungen für Risikopatienten 2024»
Referenzen: 1. Bundesamt für Gesundheit BAG: Infoportal übertragbare Krankheiten.
www.idd.bag.admin.ch. Letzter Abruf: 7.10.24. 2. Schweizer Impfplan 2024 und Factsheet Risikopatienten 2023. https://
www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/broschueren/publikationen-uebertragbare-krankheiten/risikopatienten.html. Letzter Zugriff: 6.10.24. 3. Thompson WW et al.: Epidemiology of seasonal influenza: use of surveillance data and statistical models to estimate the burden of disease. J Infect Dis. 2006;194 Suppl 2:S82-S91. doi:10.1086/507558. 4. Kwong JC et al.: Acute myocardial infarction after laboratory-confirmed influenza infection. N Engl J Med. 2018;378(4):345-353. doi:10.1056/NEJMoa1702090. 5. Warren-Gash C et al.: Influenza as a trigger for acute myocardial infarction or death from cardiovascular disease: a systematic review. Lancet Infect Dis. 2009;9(10):601-610. doi:10.1016/S1473-3099(09)70233-6. 6. Boehme AK et al.: Influenza-like illness as a trigger for ischemic stroke. Ann Clin Transl Neurol. 2018;5(4):456-463. doi:10.1002/acn3.545. 7. Kytömaa S et al.: Association of influenza-like illness activity with hospitalizations for heart failure: the atherosclerosis risk in communities study. JAMA Cardiol. 2019;4(4):363-369. doi:10.1001/jamacardio.2019.0549. 8. Macintyre CR et al.: Influenza vaccine as a coronary intervention for prevention of myocardial infarction. Heart. 2016;15;102(24):1953-1956. 9. Meier CR et al.: Population-based study on incidence, risk factors, clinical complications and drug utilisation associated with influenza in the United Kingdom. Eur J Clin Microbiol Infect Dis. 2000;19(11):834-842. doi:10.1007/s100960000376. 10. Bukhbinder AS et al.: Risk of alzheimer̕s disease following influenza vaccination: a claims-based cohort study using propensity score matching. J Alzheimers Dis. 2022;88(3):1061-1074. doi:10.3233/JAD-220361. 11. Bundesamt für Gesundheit BAG: Covid-19-Impfung. https://www.bag. admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/ coronavirus/covid-19/impfen.html Letzter Abruf: 8.10.24. 12. DeCuir J et al.: Interim effectiveness of updated 2023-2024 (Monovalent XBB.1.5) COVID-19 vaccines against COVID-19-associated emergency department and urgent care encounters and hospitalization among immunocompetent adults aged ≥18 Years - VISION and IVY Networks, September 2023-January 2024. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2024;73(8):180188. Published 2024 Feb 29. doi:10.15585/mmwr.mm7308a5. 13. Link-Gelles R: Estimates of bivalent mRNA Vaccine durability in preventing COVID-19-associated hospitalization and critical illness among adults. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2023;72(21):579-588. Published 2023 May 26. doi:10.15585/mmwr.mm7221a3 14. WHO Statement on the antigen composition of COviD-9 vaccines, May 2023. https://www.who.int/news/item/18-05-2023-statement-on-theantigen-composition-of-covid-19-vaccines. Letzter Abruf: 6.10.24. 15. Kyaw MH et al.: The influence of chronic illnesses on the incidence of invasive pneumococcal disease in adults. J Infect Dis. 2005;192(3):377-386. doi:10.1086/431521. 16. Zens KD et al.: Pneumococcalvaccination coverage and uptake among adults in switzerland: a nationwide cross-sectional study of vaccination records. Front Public Health. 2022;9:759602. doi:10.3389/fpubh.2021.759602. 17. Osei-Yeboah et al.: Estimation of the number of respiratory syncytial virus-associated hospitalizations in adults in the european union. J Infect Dis. 2023;228:1539-1548. doi:10.1093/infdis/jiad189 18. Chorazka M et al.: Clinical outcomes of adults hospitalized for laboratory confirmed respiratory syncytial virus or influenza virus infection. PLoS One. 2021;16(7):e0253161. doi:10.1371/journal.pone.0253161
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