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BERICHT
Spondyloarthritis
Das Spektrum von Arthritiden und Komorbiditäten ist komplex
Die Spondyloarthritis kann sich peripher oder axial manifestieren und von unterschiedlichsten Komorbiditäten begleitet sein. Dies hat Einfluss auf die leitliniengerechte Therapie, die auf nicht steroidalen Antirheumatika, Biologika und JAK-Inhibitoren beruht. In einigen Fragen bestehen allerdings noch erhebliche Evidenzlücken. Kann mit einer leitliniengerechten Therapie kein ausreichendes Ansprechen erzielt werden, sollte auch an die Möglichkeit einer komorbiden Fibromyalgie gedacht werden.
Spondyloarthritis (SpA) wird heute als ein ausgedehntes Spektrum unterschiedlicher, aber verwandter Arthritiden gesehen, zu denen neben der axialen (axSpA) und der peripheren SpA auch die Psoriasisarthritis (PsA), die Arthritiden in Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen sowie die reaktive Arthritis (Morbus Reiter) gezählt werden. Extraartikuläre Manifestationen sind bei allen diesen Erkrankungen häufig. «Jeder Patient mit Spondyloarthritis ist schwierig zu behandeln, da man alle diese Manifestationen im Auge behalten muss», sagte dazu Prof. Dr. Filip van den Bosch von der Universität Ghent (B). Einen Überblick über das Management der SpA geben die 2022 zuletzt überarbeiteten ASAS(Assessment in Spondyloarthritis International Society)-EULAR(European Alliance of Associations for Rheumatology)-Leitlinien (1). Neben medikamentösen Therapien zählen dazu auch nicht medikamentöse Massnahmen und Lebensstilmodifikationen.
Starke Empfehlung für NSAR
Van den Bosch betonte, dass sich die gewohnte Klassifikation mit ihrer strengen Unterscheidung zwischen axSpA und ankylosierender Spondylitis (AS) aus klinischer Sicht überlebt habe, da es sich um Stadien ein und derselben Erkrankung handle, die auch gleichermassen auf die gleichen Therapien ansprächen. Was nach wie vor gilt, ist eine starke Empfehlung zum Einsatz nicht steroidaler Antirheumatika (NSAR) bei SpA sowie eine ebenso starke Empfehlung gegen systemische Glukokortikoide. Die potenziellen kardiovaskulären Nebenwirkungen der NSAR seien in der Regel akzeptabel, so der Referent, da man es bei der SpA vor allem mit jungen Patienten zu tun habe. Gleichzeitig bestehen wichtige Unterschiede zwischen axialer und peripherer Erkrankung. So werden zur Behandlung der peripheren SpA konventionelle DMARD (disease-modifying antirheumatic drugs) empfohlen, während sich diese bei der axSpA als nicht wirksam erwiesen haben und daher bei NSAR-Versagen sofort ein Biologikum begonnen werden soll. Bereits vor mehr als 10 Jahren wurde für die Tumornekrosefaktor(TNF)-Inhibitoren (in diesem Fall für Infliximab) in Kombination mit NSAR bei früher axSpA eine signifikante
und deutliche Wirkung gezeigt (2). Daher wird der Einsatz eines Biologikums empfohlen, wenn mit NSAR allein kein ausreichendes Ansprechen erreicht wird. Die für Infliximab gezeigte Wirksamkeit sei anschliessend auch für Etanercept, Adalimumab, Golimumab und Certolizumab demonstriert worden, wie van den Bosch ausführte, wobei der Vorteil gegenüber Plazebo nach 24 Wochen immer in der Grössenordnung von 30 Prozent gelegen habe. In weiterer Folge wurden sehr ähnliche Ergebnisse mit den Interleukin (IL)-17-Blockern Secukinumab, Ixekizumab und Bimekizumab gefunden. Direkte Vergleiche zwischen den Substanzen oder zwischen den Substanzklassen wurden nicht gezogen. Die Leitlinienempfehlung lautet daher auf einen TNF- oder einen IL-17-Blocker, ohne dass einer Biologikaklasse der Vorzug gegeben würde. Das Gleiche gilt für die in der Guideline erwähnten Januskinase(JAK)-Inhibitoren Tofacitinib und Upadacitinib. Anti-IL-23-Biologika haben sich als nicht wirksam erwiesen. Entsprechendes gilt für den AntiCD20-Antikörper Rituximab und das gegen die T-ZellAktivierung gerichtete Fusionsprotein Abatacept oder die IL-6-Inhibitoren. Van den Bosch wies darauf hin, dass die Vorteile gegenüber Plazebo mit den Anti-TNF-Biologika etwas grösser gewesen seien als mit Anti-IL-17 oder JAK-Inhibitoren, dass man dabei jedoch in Betracht ziehen müsse, dass erstens in den Studien zu den TNF-Inhibitoren nur biologikanaive Patienten untersucht worden seien und zweitens der Therapieerfolg von IL-17-Blockern und JAK-Inhibitoren meist etwa zwei Monate früher evaluiert worden sei, als dies mit den AntiTNF-Biologika der Fall gewesen sei. Für die Fälle, in denen eine Biologikatherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt, legte der Referent den Akzent darauf, dass vor dem Wechsel auf ein anderes Biologikum die Diagnose überprüft werden muss, um sicherzustellen, dass man es tatsächlich mit einem entzündlichen Geschehen zu tun hat. Auch auf Komorbiditäten ist zu achten. Kann die Diagnose bestätigt werden, ist ein Switch auf ein anderes Biologikum angezeigt, wobei durchaus auch innerhalb der Klasse gewechselt werden kann. Die Leitlinie gibt hier keine Strategien oder Präferenzen vor.
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Wenig Evidenz zur Behandlung der peripheren Spondyloarthritis
Im Gegensatz zur axSpA sei über die periphere SpA erstaunlich weniger bekannt, so van den Bosch. Es fehlt an verbindlichen Definitionen, die klinischen Eigenschaften sind wenig spezifisch, Biomarker sind nicht beschrieben. «Ich denke, dass eine rein periphere Spondyloarthritis bei vielen Patienten als Rheumafaktor-negative rheumatoide Arthritis fehldiagnostiziert wird», so der Experte. Dementsprechend fehle es an klinischen Studien, und die Empfehlungen in den Leitlinien würden oft von der PsA abgeleitet (3, 4). Sucht man nach Studien zur Behandlung der peripheren SpA mit DMARD, muss man weit zurückgehen. Die überlegene Wirkung von Sulfasalazin im Vergleich zu Plazebo wurde noch im letzten Jahrtausend gezeigt (5). Inwieweit sich die Ergebnisse der zahlreichen Studien mit Biologika bei PsA auf die periphere SpA umlegen liessen, stehe in Diskussion, so van den Bosch. Für den TNF-Blocker Adalimumab sei in der Studie ABILITY-2 eine Wirksamkeit bei der peripheren SpA nachgewiesen worden (6), für Anti-IL-17 und JAK-Inhibitoren würden die Daten fehlen, so der Experte. In der akademischen CRESPA-Studie wurde Golimumab bei sehr früher peripherer SpA (inklusive PsA) eingesetzt und damit nach 24 Wochen eine Remissionsrate von 75 Prozent erreicht (7). Van den Bosch empfahl, bei der Wahl der Therapie eine Entscheidung nach dem Patientenprofil zu treffen, also nach Risikofaktoren, Komorbiditäten und Präferenzen. Beispielsweise sind bei Vorliegen einer Uveitis Anti-TNF-Biologika die Therapie der Wahl. Ist eine komorbide chronisch entzündliche Darmerkrankung vorhanden, sind IL-17-Blocker kontraindiziert. In diesem Fall sind TNF-Blocker oder JAKInhibitoren gute Optionen. Den wenigen verfügbaren Headto-Head-Studien bringt van den Bosch ein gewisses Misstrauen entgegen, da es sich dabei um Industriestudien mit gezielt, aber nicht unbedingt sinnvoll gewählten Endpunkten handle. In vielen Fällen wird auch der Preis beziehungsweise die Erstattbarkeit eines Medikaments eine Rolle spielen. In Zukunft könnte es gelingen, Biologika anhand des individuellen immunologischen Profils eines Patienten auszuwählen. Eine Neudefinition rheumatologischer Erkrankungen anhand von «signature cytokine hubs» wurde bereits vorgeschlagen (8). Insgesamt soll sich das Management der SpA an einer Treatto-Target-Strategie orientieren. Eine im Rahmen des EULAR 2024 vorgestellte Studie zeigt, dass bei frühem Behandlungsbeginn bei mehr als 60 Prozent der (in dieser Studie durchweg jungen) Patienten mit axSpA eine klinische Remission erreichbar ist. Nach Absetzen des Biologikums setzte jedoch bei mehr als 80 Prozent der Probanden die Krankheitsaktivität erneut ein (9). Die EULAR-Leitlinie empfiehlt bei anhaltender Remission eine versuchsweise Deeskalation der Therapie. Wie dieses «tapering» aussehen soll, wird nicht näher ausgeführt. Van den Bosch wies auf mehrere Studien hin, die zeigen, dass das Absetzen eines Biologikums in dieser Situation in aller Regel zu einem Flare führt, dass eine Reduktion der Dosis des Biologikums jedoch keine Nachteile zu bringen scheint. Dies wurde mittlerweile für mehrere Biologika gezeigt und
trifft sowohl bei der nicht radiografischen SpA als auch bei der AS zu. Erfreulicherweise kommt es bei neuerlichem Therapiebeginn schnell wieder zum vollen Ansprechen (10, 11).
Bei unzureichendem Ansprechen auch an
Fibromyalgie denken
Wird eine Remission nicht erreicht, ist häufig Schmerz der
Grund, warum der Ankylosing Spondylitis Disease Activity
Score (ASDAS) nicht in den gewünschten niedrigen Bereich
kommt, wie Prof. Dr. Martin Rudwaleit von der Universität
Bielefeld (D) ausführte. Gelinge dies nicht, so müsse das nicht
zwingend an der Inflammation liegen. Tatsächlich hat sich
eine ausgeprägte Entzündung in den Biologikastudien als
Prädiktor für ein gutes Ansprechen auf Anti-TNF-Therapien
erwiesen (12). Umgekehrt wurden Arbeitslosigkeit, niedriges
Bildungsniveau, schlechte psychische Gesundheit und Ko-
morbiditäten als Risikofaktoren für schlechtes Ansprechen
identifiziert (13). Hintergrund ist eine häufige, aber auch
häufig übersehene Komorbidität der SpA, nämlich die Fibro-
myalgie.
Dies sollte man im Auge behalten, wenn SpA-Patienten unter
Therapie symptomatisch bleiben – insbesondere wenn die
Schwellungen der Gelenke verschwinden, die Schmerzen je-
doch persistieren. Häufig geben diese Patienten Gelenk-
schwellungen an, die sich jedoch objektiv nicht bestätigen
lassen. Zusätzliche Symptome wie Fatigue, Schlafstörungen
oder Erschöpfung weisen ebenfalls auf eine komorbide
Fibromyalgie hin. Typisch für die Fibromyalgie bei AS ist eine
höhere Krankheitsaktivität, gemessen mit dem Bath Ankylo-
sing Spondylitis Disease Activity Index (BASDAI) oder dem
Bath Ankylosing Spondylitis Functional Index (BASFI), bei
der das C-reaktive Protein (CRP) dennoch niedrig bleibt.
Studien hätten unterschiedliche Zahlen zur Häufigkeit der
Fibromyalgie bei SpA-Patienten ermittelt, was unter ande-
rem an den uneinheitlichen Diagnosekriterien für die Fibro-
myalgie liege, so Rudwaleit. In einem Review mit Metaana-
lyse wird die Prävalenz von Fibromyalgie in der axSpA-
Population mit 16,4 Prozent angegeben. Rudwaleit vermutet
jedoch, dass eine Anwendung der aktuellen Diagnosekrite-
rien auf die untersuchten Populationen zu höheren Zahlen
führen würde (14). Studiendaten zeigen, dass der Fibromyal-
giestatus von SpA-Patienten keineswegs unveränderlich ist.
Von 115 Fibromyalgie-positiven Patienten im britischen Bio-
logikaregister erfüllten 77 nach einem Jahr nicht mehr die
Diagnosekriterien für eine Fibromyalgie. Gleichzeitig wurde
nach einem Behandlungsjahr in 45 Fällen eine Fibromyalgie
neu diagnostiziert (15). Leider sind die therapeutischen Op-
tionen bei Fibromyalgie begrenzt. Am besten bewähren sich
multimodale Konzepte, die in die Hände erfahrener Schmerz-
therapeuten gehören.
s
Reno Barth
Quelle: European Congress of Rheumatology (EULAR), Sessions «Challenges in Clinical Practice: Difficult to Manage: axSpA and PsA» am 12. Juni und «How to Treat: Spondyloarthritis» am 13. Juni 2024 in Wien.
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Referenzen: 1. Ramiro S et al.: ASAS-EULAR recommendations for the management of
axial spondyloarthritis: 2022 update. Ann Rheum Dis. 2023;82(1):19-34. 2. Sieper J et al.: Efficacy and safety of infliximab plus naproxen versus na-
proxen alone in patients with early, active axial spondyloarthritis: results from the double-blind, placebo-controlled INFAST study, Part 1. Ann Rheum Dis. 2014;73(1):101-107. 3. Carron P et al.: Peripheral spondyloarthritis: a neglected entity-state of the art. RMD Open. 2020;6(1):e001136. 4. Puche-Larrubia MÁ et al.: Peripheral spondyloarthritis: What have we learned? Best Pract Res Clin Rheumatol. 2023;37(3):101862. 5. Clegg DO et al.: Comparison of sulfasalazine and placebo for the treatment of axial and peripheral articular manifestations of the seronegative spondylarthropathies: a Department of Veterans Affairs cooperative study. Arthritis Rheum. 1999;42(11):2325-2329. 6. Mease P et al.: Randomized controlled trial of adalimumab in patients with nonpsoriatic peripheral spondyloarthritis. Arthritis Rheumatol. 2015;67(4):914-923. 7. Carron P et al.: Anti-TNF-induced remission in very early peripheral spondyloarthritis: the CRESPA study. Ann Rheum Dis. 2017;76(8):1389-1395. 8. Schett G et al.: Reframing Immune-Mediated Inflammatory Diseases through Signature Cytokine Hubs. N Engl J Med. 2021;385(7):628-639. 9. Łukasik Z et al.: OP0132: Treat-to-target approach allows to induce sustained clinical remission in over 60% of patients with early axial spondyloarthritis. Ann Rheum Dis. 2024;83:149. 10. Landewé RB et al.: Maintenance of clinical remission in early axial spondyloarthritis following certolizumab pegol dose reduction. Ann Rheum Dis. 2020;79(7):920-928. 11. Coates LC et al.: Withdrawing Ixekizumab in Patients With Psoriatic Arthritis Who Achieved Minimal Disease Activity: Results From a Randomized, Double-Blind Withdrawal Study. Arthritis Rheumatol. 2021;73(9):1663-1672. 12. Sieper J et al.: Efficacy and safety of adalimumab in patients with non-radiographic axial spondyloarthritis: results of a randomised placebo-controlled trial (ABILITY-1). Ann Rheum Dis. 2013;72(6):815-822. 13. Macfarlane G et al.: Predicting response to anti-TNF? therapy among patients with axial spondyloarthritis (axSpA): results from BSRBR-AS. Rheumatology (Oxford). 2020;59(9):2481-2490. 14. Jones GT et al.: The prevalence of fibromyalgia in axial spondyloarthritis. Rheumatol Int. 2020;40(10):1581-1591. 15. Provan SA et al.: The changing states of fibromyalgia in patients with axial spondyloarthritis: results from the British Society of Rheumatology Biologics Register for Ankylosing Spondylitis. Rheumatology (Oxford). 2021;60(9):4121-4129.
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