Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Haben Sie nie ein schlechtes Gewissen oder wenigstens etwas «Stress», weil Sie nicht erledigen, was Sie schon immer erledigen sollten? Wollten Sie nicht schon lange … den Keller aufräumen, an Ihren Memoiren schreiben, die Ferienfotos zu einem Fotobuch zusammenstellen, die Tapete flicken, unterm Bett staubsaugen, den Blutdruck regelmässig messen, die Steuererklärung rechtzeitig abliefern, Yogaübungen machen, mit dem Chef reden, häufiger Klavier üben, ein neues Sofa kaufen, Chinesisch lernen, den Rubik-Cube verstehen, Churchills Biografie lesen, das neueste Buch von zum Beispiel Juli Zeh bestellen, aufhören, Ihrer Partnerin/Ihrem Partner dreinzureden und alles besser zu wissen, mit dem Banker sprechen, ein Brot backen, sich für den Tanzkurs anmelden, Taiji erlernen, den Hemdknopf annähen, das neue Betriebssystem laden, die Ferien vorbereiten, mit Krafttraining beginnen, Ständerat G. schreiben, einen DH-Termin vereinbaren, Geburtstagsgeschenke für die Kinder posten, die Todo-Liste nachführen, den Hund impfen lassen, die Medikamente abholen und so weiter und so fort? An wie viele Pflichten und Pflichtchen erinnert Sie Ihr Gewissen täglich? Hundert? Tausende? Dieses elende pflichtversessene Gewissen, das nie aufgibt zu mahnen, zu fordern und zu «stressen», das einen krank macht oder wenigstens unzufrieden, das nervt, weil man es nie schafft, es ihm recht zu machen. Was soll man machen? Onkel Hugo hat da einen Rat: «‹Halt deinen Latz!› sagen (zum Gewissen!) – oder einfach nicht zuhören.» Denn ein «schlechtes Gewissen», meint Hugo, sei schlicht ein «schlechtes» Gewissen. Hugo – wo er Recht hat, hat er … na ja, eben doch nicht immer … Recht.
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Nicht die schlechteste Erkenntnis: Der nächste Bus kommt, sobald man ihn sieht.
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Noch geht’s nicht auf Weihnachten zu. Trotzdem könnten wir schon heute täglich spenden, mehrmals. Bedarf und Bedürftige gibt’s genug: Kinder, Eltern, Tiere, Natur. Im Krieg, auf der Flucht, hungernd, drogenabhängig, alt, behindert, psychisch krank. In der Schweiz, in Afrika, im Dschungel, in der Wüste, auf See. Und auch die Helfer sind zahlreich. Einzelkämpfer, Stiftungen, Vereine, grosse internationale und kleine lokale. Nur: Leider sind unsere Mittel begrenzt, selbst die freien Ressourcen jener von uns, denen es gut geht. Gegen die Milliardenstiftungen von Privaten wie Bill Gates oder Bloomberg, gegen das Rote Kreuz, WWF & Co. sind unsere Spenden ohnehin nur «Peanuts». Und was nun? Klein beigeben? Ja, vielleicht. Vielleicht das «Grosse» einfach den Grossen überlassen und sich dafür auf das genauso wichtige Kleine, Lokale konzentrieren. Warum nicht? Um die Igel, Spatzen und Siebenschläfer in unseren Wäldern kümmern sich Gordon und Betty Moore (ihre Stiftung ist über 9 Milliarden schwer) wohl eher nicht. Wenn Sie – nur so als Beispiel – eine Vogel- und Wildtierstation in Ihrer Nähe retten helfen, die ihrerseits in finanziellen Nöten steckt, aber jährlich Tausende Tiere rettet, dann werden Sie für die verletzte Taube plötzlich so wichtig wie Bill Gates für die Opfer von Minen. Ist das nichts?
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Ein reines Gewissen ist häufig bloss Zeichen einer schlechten Erinnerung.
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Hören Sie sie, die Mahner? «Du kannst deinen Problemen nicht entfliehen! Du glaubst, mit einer Reise in die Südsee deine privaten ‹Püffer› hinter dir lassen zu können? Vergiss es! Auswandern, Reisen – alles vergebliche Fluchten. Du nimmst sie alle mit, alle deine Probleme. Man kann nicht vor sich selber fliehen.» Wirklich? Kann man nicht? Freund Beat lacht: «Selten so viel Un-
sinn gehört! Doch, man kann! Wenn ich weg bin, bin ich weg. Dann sind mir Chef, Streit mit Eltern und Freundin, Behörden, Banken, Politik egal. Dann zählt nur, dass ich die Leute alle nicht sehen und hören muss! Auf meiner Sehnsuchtsinsel Aitutaki komme ich ohne Handy und Zeitung aus und vermisse nichts. Und es ist mir total egal, was zwischen Bern, Sigriswil und Wladiwostok passiert. Solange das Geld reicht jedenfalls. Geografische Distanz wird massiv unterschätzt – von den Daheimbleibenden (übrigens: auch vom neidischen Nachbarn).» Beatus, «der Glückliche».
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Von einem schelmischen Freund gehört: «Schummeln ist nicht fair, aber diebisch befriedigend, wenn man gewinnt, ohne dass es jemand entdeckt. Ärgerlich hingegen ist’s, des Schummelns verdächtigt zu werden, ohne geschummelt zu haben. Und richtig schlimm ist es, beim Schummeln erwischt zu werden; das ist sowas von peinlich. Ziemlich dumm ist’s, zu schummeln und dennoch zu verlieren. Noch doofer allerdings, nicht zu schummeln und zu verlieren, weil ein anderer erfolgreich schummelt. Richtig super ist eigentlich nur, nicht zu schummeln und trotzdem zu gewinnen. Passiert mir aber selten.»
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Und das meint Walti: Harte Arbeit zahlt sich in der Zukunft aus, Faulheit lohnt sich hier und jetzt.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 22 | 2024