Transkript
In Diskussion
Sind JAK-Inhibitoren problematische Substanzen?
BERICHT
Die randomisierte, kontrollierte Studie ORAL Surveillance (1) fand unter Therapie mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib im Vergleich zu Anti-TNF-Biologika ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und ein vermehrtes Auftreten von Krebs. Seitdem stehen diese Studie und die resultierenden Sicherheitswarnungen in Diskussion – dies umso mehr, als Real-World-Daten keine entsprechenden Sicherheitssignale erkennen lassen und im klinischen Alltag Alternativen zu JAK-Inhibitoren nicht immer leicht zu finden sind.
Laut aktuellen Empfehlungen der European Medicines Agency (EMA) sollen Januskinaseinhibitoren (JAKi) bei Patienten über 65 Jahre, mit Tabakanamnese oder einer Anamnese von kardiovaskulärer Erkrankung, mit hohem kardiovaskulären Risiko oder hohem Malignomrisiko nur eingesetzt werden, wenn es keine Alternative gibt. Ebenso ist Vorsicht geboten bei erhöhtem Risiko für tiefe Venenthrombosen. Swissmedic spricht eine fast wortgleiche Warnung aus, weist auf ein erhöhtes Risiko für Malignome, schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse («major adverse cardiovascular events» [MACE]), schwerwiegende Infektionen, Thrombosen und Gesamtmortalität hin und hält fest, dass es sich dabei um einen Klasseneffekt handelt (2). Auch die Leitlinie der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) zum Management der rheumatoiden Arthritis (RA) verlangt ein Risikoassessment vor Verschreibung eines JAKi. Dabei soll erhoben werden, ob einer der oben genannten Risikofaktoren vorliegt (3). Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) fordert, dass JAKi nur bei Biologikaversagen eingesetzt werden sollen und die Situation mit den Patienten besprochen werden muss. Das American College of Rheumatology (ACR) begrenzte daraufhin die Indikation für JAKi in der Behandlung von RA, Psoriasisarthritis, juveniler idiopathischer Arthritis und ankylosierender Spondylitis auf Patienten, die nicht auf Anti-TNF-(Tumornekrosefaktor-)Biologika ansprechen oder diese nicht vertragen. Es wird zu «shared decision making» gemeinsam mit dem Patienten geraten. Diese Warnungen seien mittlerweile mit kleinen Variationen weltweit ausgesprochen worden, so Prof. Dr. Janet Pope vom Bone and Joint Institute der University of Western Ontario (CAN), die auch betont, dass die Einschränkungen der Indikationen ähnlich, aber nicht identisch seien.
Erhöhtes Risiko bei Rauchern und älteren Patienten
Hintergrund dieser Warnungen ist die randomisierte, kontrollierte Studie ORAL Surveillance, in der der JAKi Tofacitinib in zwei Dosierungen über rund fünf Jahre mit dem TNF-Blocker Adalimumab verglichen wurde. Einschlusskriterien waren neben einer moderaten bis schweren RA ein
Patientenalter über 50 Jahre und ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Endpunkte waren die Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen oder das Auftreten von Malignomen. Die Studie zeigte eine numerische, nicht jedoch signifikante Erhöhung des kardiovaskulären Risikos sowie ein signifikant häufigeres Auftreten von Malignomen in der JAKi-Gruppe. Das präspezifizierte Kriterium für Nichtunterlegenheit wurde allerdings für beide Endpunkte nicht erreicht. Mit anderen Worten: Tofacitinib war im Hinblick auf die beiden Sicherheitsendpunkte im Vergleich zu den Anti-TNF-Biologika unterlegen. Zwischen den Dosierungen 5 mg und 10 mg Tofacitinib bestand in dieser Hinsicht kein Unterschied. Exploratorische Subanalysen der Studie zeigen, dass bei Personen über 65 und/oder (Ex-)Rauchern die Ereignisse sehr früh anzusteigen beginnen (1). Bei den weniger gefährdeten Studienteilnehmern (unter 65, niemals Raucher) zeigte die Analyse über die gesamte Beobachtungszeit keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Allerdings wies Pope darauf hin, dass sich im letzten Jahr der Studie sehr wohl eine Differenz zwischen den Gruppen abzuzeichnen beginnt. Auch hinsichtlich des Neuauftretens von Malignomen sind Raucher und Ex-Raucher sowie Personen über 65 – wenig überraschend – stärker gefährdet. Pope unterstrich, dass bereits vor Jahren anhand britischer (4) und deutscher Registerdaten (5) demonstriert werden konnte, dass eine Behandlung mit TNF-Blockern im Vergleich zu konventionellen DMARD («disease-modifying anti-rheumatic drugs») das Risiko von Rezidiven stattgehabter Krebserkrankungen nicht erhöht. Für die JAKi zeigt eine Metaanalyse von 13 klinischen Studien ebenfalls kein erhöhtes Krebsrisiko (6). «Allerdings muss man bedenken, dass es hier um Patienten mit niedrigem Risiko geht, weil Hochrisikopatienten aus den klinischen Studien ausgeschlossen waren. Auch war das durchschnittliche Alter um einige Jahre niedriger als in ORAL Surveillance. Und selbst unter diesen Voraussetzungen traten unter den JAKi numerisch mehr Krebserkrankungen auf», berichtete Pope. Es sei allerdings die Frage, ob die beobachteten Effekte Klasseneffekte seien oder ob sich die verschiedenen JAKi hinsichtlich ihrer Risiken unterschieden. Die Referentin hält einen Klasseneffekt für wahrscheinlicher, da die verschiedenen zugelassenen Vertreter der Klasse einander im Hinblick auf andere unerwünschte
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Wirkungen wie zum Beispiel das Infektionsrisiko sehr ähnlich sind. Alles in allem gibt es auch eine Reihe weiterer Gründe, bei der Verschreibung von JAKi in Risikopopulationen vorsichtig zu sein. Beispielsweise zeigt ORAL Surveillance unter Tofacitinib im Vergleich zu TNF-Inhibitoren auch ein numerisch erhöhtes Risiko von tiefen Beinvenenthrombosen und Pulmonalembolien. Für Tofacitinib 10 mg wurde die Differenz signifikant, weshalb die Studie mit dieser Dosierung nicht weitergeführt wurde.
Klinische Konsequenzen aus den Sicherheitswarnungen
Dr. David Liew, Austin Health, Melbourne (AUS), stellte die Frage, was genau gemeint sei, wenn JAKi in den genannten Risikogruppen nur mehr verwendet werden dürften, wenn «keine geeignete Alternative» verfügbar sei. Bezieht sich das auf Anti-TNF-Biologika? Auf Biologika mit anderen Wirkmechanismen? Auf nicht steroidale Antirheumatika? Oder auf höher dosierte Glukokortikoide? Für letztere zeigen Studiendaten jedenfalls robuste Erhöhungen des kardiovaskulären Risikos (7). Man frage sich, warum es keine entsprechenden Warnungen für Glukokortikoide gebe, so Liew. Insgesamt sind die Warnungen der regulatorischen Behörden und der Fachgesellschaften herausfordernd. Liew verwies auf Studiendaten, die nahelegen, dass die grosse Mehrzahl der vor 2021 mit JAKi behandelten Patienten in eine der Risikogruppen fiel (8). Liew hielt des Weiteren fest, dass es bei der Formulierung der EMA-Warnung innerhalb des Pharmacovigilance Risk Assessement Committee (PRAC) der EMA Dissens gebe, der von einigen PRAC-Mitgliedern auch öffentlich gemacht worden sei. Konkret wurde gefordert, die Warnung so zu formulieren, dass JAKi immer dann eingesetzt werden können, wenn TNF-Blocker ungeeignet für einen Patienten sind (9). Dessen ungeachtet hat die EMA ihre Warnung auf praktisch alle Patientenpopulationen und Indikationen, in denen JAKi zum Einsatz kommen können, ausgeweitet. «Mit dieser Formulierung wäre es leichter, Patienten, die diese Behandlung brauchen, mit JAK-Inhibitoren zu behandeln», so Liew. Alles in allem stelle sich die Frage, wie es möglich sei, dass man von leicht erhöhten Fallzahlen insgesamt seltener Ereignisse in einer einzelnen Studie zu einer generalisierten regulatorischen Sicherheitswarnung komme, die keinen Spielraum für klinische Bewertung mehr lasse. Darüber hinaus stelle sich die Frage, inwieweit Daten, die mit einem bestimmten JAKi in einer RA-Population generiert worden seien, auf andere JAKi und andere Indikationen umgelegt werden könnten. So zeigen Analysen von ORAL Surveillance, dass die unter JAKi beobachteten Erhöhungen des Krebsrisikos ausschliesslich in den USA bemerkbar waren, während in anderen Ländern, die sich an der globalen Studie beteiligten, die Risiken insgesamt niedriger waren und sich zwischen den JAKi- und Anti-TNF-Gruppen nicht unterschieden (10). Die Hintergründe seien völlig unklar, liessen allerdings Zweifel an der Validität der gesamten Studie aufkommen, so Liew. Es sei auch bemerkenswert, dass auf Basis einer einzigen Studie eine so starke Warnung ausgesprochen worden sei. Beispielsweise die EMA habe das bislang nur getan, wenn das Signal von mindestens drei Quellen gestützt worden sei und eine biologische Erklärung für den Effekt habe gegeben wer-
den können (11). Letzteres sei bislang noch nicht einmal in Ansätzen gelungen, und man könne nicht ausschliessen, dass die Resultate von ORAL Surveillance ein Zufallsprodukt seien. Liew weist in diesem Zusammenhang auf das «two trial requirement paradigm» der FDA hin, die für Zulassungen prinzipiell die Ergebnisse von zwei Studien verlangt und damit verhindern will, dass Therapien aufgrund von Zufallsbefunden auf den Markt gelangen können.
Registerstudien zeigen keine Risikoerhöhungen
unter JAK-Hemmern
Klarheit liesse sich gewinnen, so Liew, wenn es gelänge, die
Ergebnisse von ORAL Surveillance in irgendeiner Form in
anderen Datensätzen zu replizieren. Dies war allerdings bis-
lang nicht möglich – obwohl beispielsweise versucht wurde,
Langzeitdaten aus den Verlängerungen der kontrollierten
Studien so anzureichern, dass die Populationen ungefähr
jenen von ORAL Surveillance entsprachen. Auf diesem Weg
ist zwar kein Vergleich mit TNF-Blockern möglich, es kön-
nen jedoch die Inzidenzraten aus den Verlängerungsstudien
mit jenen aus ORAL Surveillance verglichen werden. Dabei
zeigt sich, dass diese selbst in einer entsprechend angereicher-
ten Studienpopulation nicht an die in ORAL Surveillance
beobachteten Raten heranreichen (12). «Warum können
diese Daten nicht die Grösse der in ORAL Surveillance be-
obachteten Effekte replizieren?», fragte Liew.
In der Studie STAR-RA wurden auf Basis von Versicherungs-
daten zwei Kohorten von RA-Patienten geschaffen, die eine
Therapie mit einem TNF-Blocker oder einem JAKi began-
nen. In einem Fall handelte es sich um Routinepatienten, im
anderen um eine kardiovaskuläre Risikopopulation. Das Ri-
siko für kardiovaskuläre Ereignisse war in der kardiovasku-
lär unauffälligen Kohorte mit beiden Therapien genau gleich,
in der Hochrisikokohorte unter JAKi zwar numerisch, je-
doch nicht signifikant erhöht (13). In anderen Kohorten war
das kardiovaskuläre Risiko unter JAKi-Therapie sogar nu-
merisch niedriger als unter TNF-Inhibitoren, wie eine Meta-
analyse aus dem Jahr 2023 zeigt (14).
Nicht zuletzt warnte Liew vor den möglichen Konsequenzen
der regulatorischen Warnungen. Denn während es bei der RA
Möglichkeiten gebe, nach Anti-TNF-Versagen auf ein Biolo-
gikum mit anderem Wirkmechanismus umzusteigen, bestehe
bei anderen Indikationen diese Option nicht. Insbesondere in
der Dermatologie habe die undifferenzierte Warnung vor
JAKi sowohl bei Patienten als auch bei Verschreibern für
Angst und Verwirrung gesorgt – und das, obwohl sich bei-
spielsweise die Population mit atopischer Dermatitis in kei-
ner Weise mit der RA-Population vergleichen lasse, so der
Referent. Er betonte auch, dass die um sich greifende Angst
vor den JAKi erfreuliche Entwicklungen in der Rheumatolo-
gie bremsen könnte. Beispielsweise werden JAKi bei Riesen-
zellarteriitis und Polymyalgia rheumatica untersucht. Hier
könnte diese Substanzklasse die Chance auf eine substanzielle
Reduktion des Steroidgebrauchs bieten.
s
Reno Barth
Quelle: EULAR 2024, Session «JAK Inhibitor Special Warnings: can observational data debunk an RCT?» am 12. Juni 2024 in Wien.
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Referenzen: 1. Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and Cancer Risk with Tofacitinib in
Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med. 2022;386(4):316-326. 2. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimit-
tel/marktueberwachung/health-professional-communication--hpc-/ dhpc-januskinase-jak-inhibitoren.html 3. Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2022 update. Ann Rheum Dis. 2023;82(1):3-18. 4. Kristensen LE et al.: Identification of two tofacitinib subpopulations with different relative risk versus TNF inhibitors: an analysis of the open label, randomised controlled study ORAL Surveillance. Ann Rheum Dis. 2023;82(7):901-910. 5. Silva-Fernández L et al.: The incidence of cancer in patients with rheumatoid arthritis and a prior malignancy who receive TNF inhibitors or rituximab: results from the British Society for Rheumatology Biologics Register-Rheumatoid Arthritis. Rheumatology (Oxford). 2016;55(11):20332039. 6. Strangfeld A et al.: Risk of incident or recurrent malignancies among patients with rheumatoid arthritis exposed to biologic therapy in the German biologics register RABBIT. Arthritis Res Ther. 2010;12(1):R5. 7. Wallace B et al.: Association Between Ongoing Glucocorticoid Use and Major Adverse Cardiovascular Events among Veterans with Rheumatoid Arthritis. Presented at ACR Convergence 2021, Abstract Number 1428. 8. Tian Z et al.: Potential impact of European Medicines Agency measures to minimise risk of serious side effects on JAKi prescribing and utilisation in the UK. Rheumatology (Oxford). 2024 May 15:keae279. doi: 10.1093/ rheumatology/keae279. Online ahead of print. 9. janus-kinase-inhibitors-jaki-article-20-procedure-assessment-report_ en.pdf (europa.eu) 10. Curtis JR et al.: Malignancy risk with tofacitinib versus TNF inhibitors in rheumatoid arthritis: results from the open-label, randomised controlled ORAL Surveillance trial. Ann Rheum Dis. 2023;82(3):331-343. 11. Insani WN et al.: Characteristics of drugs safety signals that predict safety related product information update. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2018;27(7):789-796. 12. Dougados M et al.: Impact of cardiovascular risk enrichment on incidence of major adverse cardiovascular events in the tofacitinib rheumatoid arthritis clinical programme. Ann Rheum Dis. 2023;82(4):575-577. 13. Khosrow-Khavar F et al.: Tofacitinib and risk of cardiovascular outcomes: results from the Safety of TofAcitinib in Routine care patients with Rheumatoid Arthritis (STAR-RA) study. Ann Rheum Dis. 2022;81(6):798-804. 14. Yang V et al.: Managing Cardiovascular and Cancer Risk Associated with JAK Inhibitors. Drug Saf. 2023;46(11):1049-1071.
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