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BERICHT
Gelenkschmerzen
Den Ursachen auf die Spur kommen
Am Forum für medizinische Fortbildung (FOMF) Allgemeine Innere Medizin in Basel zeigte Dr. Erik Deman, Rheumatologische Klinik, Universitätsspital Basel, anhand eines Patientenfalls auf, woran bei der Abklärung von Gelenkschmerzen gedacht werden sollte, um eine passende Therapie anbieten zu können.
Bei einem jungen Mann (24 Jahre) entwickelten sich Schmerzen im rechten Knie mit Schwellung, die zunächst wieder abklangen. Einige Monate später traten die Schmerzen mit Schwellung jedoch an beiden Knien, vor allem bei der Beugung des Knies und bei längerem Stehen, auf und persistierten. Klinisch zeigte sich an beiden Knien ein ausgeprägter Erguss mit entsprechender Beugehemmung. Später kam zusätzlich eine Tendosynovitis am rechten Fuss hinzu. Im Labor fanden sich leicht erhöhte Entzündungswerte (BSR: 34 mm/h, CRP: 13 mg/l), die Rheumafaktoren waren negativ. Die Gelenkergusspunktion ergab ein trübes Punktat mit 12 300 Leukozyten/µl und zeigte damit eine Entzündung an, die Flüssigkeit enthielt aber keine Kristalle oder Bakterien. Damit konnte die Diagnose einer Gonarthritis beidseits bei vermutlich peripherer Spondylarthritis gestellt werden. Als Therapie erhielt der Patient zunächst eine Kortikosteroidinfiltration in beide Knie, was jedoch nur einen kurzen Effekt zeigte. Daraufhin wurde eine Therapie mit Salazopyrin begonnen, die aber auch keine befriedigende Wirkung ergab. In der Folge wurde auf eine Therapie mit dem TNF-alphaHemmer Adalimumab umgestellt, was zu einer rasch eintretenden und anhaltenden Remission führte.
Entzündlich oder mechanisch?
Bei Gelenkschmerzen stellt sich die Frage, ob ein mechanisches oder ein entzündliches Problem die Schmerzen verursacht. Ein entzündliches Geschehen äussert sich durch Schmerzen in Ruhe, die sich mit Bewegung bessern, durch Morgensteifigkeit (> 30 min) sowie durch Allgemeinsymptome wie Fieber, Nachtschweiss oder Gewichtsverlust. Mechanisch degenerativ verursachte Schmerzen dagegen nehmen bei Bewegung oder Belastung zu und bessern sich in Ruhe, führen zu Anlaufbeschwerden morgens (< 30 min) und zeigen keine Allgemeinsymptome. Mischformen seien jedoch möglich, so Deman. Im Weiteren ist es für die Diagnose wichtig zu wissen, wie viele Gelenke betroffen sind und welche Verteilung die betroffenen Gelenke zeigen. Wenn 2 bis 4 Gelenke betroffen sind, handelt es sich um eine Oligoarthritis, bei > 5 Gelenken um eine Polyarthritis. Zur weiteren Mustererkennung ist die Angabe zur symmetrischen beziehungsweise asymmetrischen Verteilung der betroffenen Gelenke wichtig, ebenso wie die Frage, ob grosse oder eher kleine Gelenke beteiligt sind. Ursachen für Gelenkschmerzen entzündlicher Art gibt es viele. Dazu gehörten beispielsweise rheumatoide Arthritis
(RA), Infekte, Sarkoidosen oder Kristallarthritiden wie zum Beispiel Gicht, so Deman. Zu Erkrankungen nicht entzündlicher Natur, die Gelenkbeschwerden verursachen, gehören beispielsweise Fibromyalgie, Arthrose, Osteomalazie, Schilddrüsendysfunktion, Überbeweglichkeit oder Malignome. Bei Patienten mit RA sind häufig grosse und kleine Gelenke betroffen; sie zeigen aber mit Ausnahme der Halswirbelgelenke normalerweise keine Wirbelsäulenbeteiligung. Die distalen Interphalangealgelenke sind ebenfalls nicht tangiert. Bei Arthrosepatienten sind dagegen die distalen und die proximalen Interphalangealgelenke angegriffen, wie auch Schulter-, Hüft-, Knie- sowie Wirbelsäulengelenke. Bei den Kristallarthropathien wie Gicht sind hauptsächlich die Gelenke der unteren Extremitäten betroffen, prinzipiell können aber alle Gelenke davon erfasst sein. Je nach Muster der betroffenen Gelenke können die Beschwerden bestimmten Erkrankungen wie beispielsweise RA, Psoriasisarthritis, Spondylarthritis oder Polyarthrose zugeordnet werden.
Extraartikuläre Symptome
Es reicht aber laut Deman nicht, sich auf die Gelenksymptome zu konzentrieren. Denn gerade die entzündlichen Erkrankungen können zusätzlich extraartikuläre Symptome wie beispielsweise Haarausfall, Haut- und Schleimhautläsionen, kardiorespiratorische und gastrointestinale Beschwerden auslösen. Das kann Hinweise liefern zu Erkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes (SLE), Kollagenosen, RA, Diabetes mellitus, Psoriasisarthritis, Gicht, Kristalloder septischer Arthritis. Ein weiteres Indiz liefert das Alter. Reaktive Arthritiden, SLE, Psoriasisarthritis oder ankylosierende Spondylitis sind beispielsweise häufiger bei jüngeren Patienten zu finden, während Kristallarthropathien eher bei älteren auftreten. Auf die klinische Untersuchung folgen ein Basislabor und je nach Fragestellung zusätzliche spezielle Laboruntersuchungen wie beispielsweise die Bestimmung von Rheumafaktor, Anti-CCP, ANA, Viren (HBV, HCV, HIV, Parvo B19), Eisenstatus und Kalzium. Eine mikrobiologische Untersuchung im Urin auf Chlamydien, Shigellen, Mycoplasma und Ureaplasma lohnt sich bei Verdacht auf eine reaktive Arthritis.
Arthritis oder nicht?
Um vor allem eine septische Arthritis auszuschliessen, muss der Gelenkerguss punktiert werden. Bei einem klaren Punk-
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tat kann, muss aber nicht, ein nicht entzündliches Problem
(Leukozytenzahl < 1000/µl) wie Arthrose, Überlastung oder Trauma vorliegen. Ein trübes Punktat weist auf ein entzünd- liches Geschehen, wie beispielsweise bei RA, Spondyloarthri- tiden und Kristallarthritis, oder auf einen Infekt hin (1). Das Punktat wird weiter bakteriologisch und auf Kristalle unter- sucht. Wenn ein Patient antikoaguliert ist, stellt eine diagnostische Punktion laut Deman bei einem unklar geschwollenen Ge- lenk keine Kontraindikation dar. Eine Analyse von 640 Punktionen bei 514 mit Vitamin-K-Antagonisten antikoagu- lierten Patienten, davon 103 bei INR > 3, ergab 1 Blutungs-
komplikation (2). Ein ähnliches Resultat zeigte eine Unter-
suchung bei Patienten mit direkten oralen Antikoagulanzien
(DOAK): Bei 1050 Punktionen, die meisten davon im Knie,
kam es zu keiner einzigen Blutungskomplikation (3). Von
einer therapeutischen Infiltration (z. B. Hyaluronsäure) in ein
trockenes Knie bei einem antikoagulierten Patienten würde
der Experte jedoch absehen.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Gelenkschmerzen», Forum für medizinische Fortbildung (FOMF) Allgemeine Innere Medizin, 30. Januar bis 3. Februar 2024 in Basel.
Referenzen: 1. Kyburz D: Gelenkschmerzen in der Praxis. Schweiz Med Forum.
2015;15(26):618-622. doi: 10.4414/smf.2015.02335. 2. Ahmed I et al.: Safety of arthrocentesis and joint injection in patients
receiving anticoagulation at therapeutic levels. Am J Med. 2012;125(3):265-269. doi: 10.1016/j.amjmed.2011.08.022. 3. Yui JC et al.: Arthrocentesis and joint injection in patients receiving direct oral anticoagulants. Mayo Clin Proc. 2017;92(8):1223-1226. doi: 10.1016/j. mayocp.2017.04.007.
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