Transkript
E-HEALTH – DIGITALISIERUNG IM GESUNDHEITSWESEN
Erfolgreiches Onboarding für effektive Betreuung zu Hause
Beispiel: Telemonitoring bei interstitieller Lungenerkrankung
Digitale Gesundheitslösungen werden immer wichtiger, Sensorik und die Betreuung/Behandlung auf Distanz ermöglichen orts- und zeitunabhängige Leistungen. Doch wie gelingt das erfolgreiche An-BordHolen (Onboarding) in ein Telemonitoring-Programm? Ein Blick auf entscheidende Faktoren wie Empathie, Didaktik und effiziente Kommunikation am Beispiel von Patienten mit interstitieller Lungenerkrankung (ILD) unter Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren.
Sascha Beck1,2, Mareike Brockes1,2, Ali Sigaroudi1,2, Christiane Brockes1,2,3
Digitale Gesundheitslösungen und Services spielen im privaten und institutionellen Lebensumfeld eine immer wichtigere Rolle. Mit digitalen Angeboten werden Leistungen zunehmend unabhängig von Ort und Zeit erbracht und angefordert. Der Arzt kann die Sensorik und die virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten nutzen, um Patienten nicht nur physisch vor Ort, sondern auch auf Distanz zu betreuen und zu behandeln. Bereits heute garantiert der Einsatz von Telemonitoring und telemedizinischer Betreuung mehr Sicherheit, Autonomie, Gesundheit und Wohlbefinden für Patienten zu Hause (1). Grundlagen sind das Messen von Vitalparametern in Echtzeit und die direkte Übermittlung der Daten zu telemedizinisch ausgebildeten Fachspezialisten. Das sofortige Erkennen von objektiven Veränderungen und Trends sowie von Krisensituationen im Frühstadium ist in der Sekundärprävention ein zentraler und entscheidender Faktor: Die Therapie kann dann direkt angepasst werden.
Mehr Sicherheit und Lebensqualität für chronisch Kranke
Vom Telemonitoring, verbunden mit einer direkten telemedizinischen Betreuung und Behandlung, profitieren insbesondere chronisch Kranke, die in ihrer häuslichen Umgebung betreut und aktiv eingebunden werden. Die Patienten selbst
KURZ & BÜNDIG
� Telemonitoring auf Distanz gewinnt in der primären und sekundären Prävention immer mehr an Bedeutung.
� Mit dem Einsatz der Sensorik und den virtuellen Kommunikationsmöglichkeiten können Patienten auf Distanz betreut und bei Veränderungen von Vitalparametern sofort behandelt werden.
� Ein entscheidender Faktor für den Erfolg ist das Onboarding in das Telemonitoring-Setting: Empathie und Didaktik sind dabei essenziell.
berichten über eine ausgeprägte Steigerung der Sicherheit und Lebensqualität. Zudem zeigte sich in langfristig angelegten Studien eine Senkung der Sterblichkeit und der Rehospitalisationsrate um ein Drittel (2). In der Pandemie lag der grosse Nutzen darin, dass Sensorik und Telemedizin helfen können, Spitalbetten freizuhalten. Ausserdem führt das Telemonitoring nachweislich zu einer Kosteneffizienz im Gesundheitswesen (3). Für die Bildung von Akzeptanz und Vertrauen sowie für die effektive Wirksamkeit des Telemonitorings ist zu Beginn ein erfolgreiches Onboarding der Patienten entscheidend; dieses stellt die Grundlage für die Compliance und Adhärenz der Patienten im telemedizinischen Setting dar. Das geförderte Selbstvertrauen und die Fähigkeit, die eigene Lebenssituation zu Hause optimaler managen zu können, steigert auch das Patienten-Empowerment.
Telemonitoring für Patienten mit interstitieller Lungenfibrose (ILD)
Seit mehr als einem halben Jahr werden ILD-Patienten, die mit Nintedanib behandelt werden, in ein telemedizinisches Betreuungsprogramm aufgenommen. Die interstitielle Lungenfibrose ist eine progressiv restriktive Lungenerkrankung. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weisen die Patienten häufig bereits eine mittlere bis fortgeschrittene klinische Erkrankung auf. Die geschätzte Prävalenz liegt bei 80/100 000 bei Männern gegenüber 65/100 000 bei Frauen, die Mortalitätsrate nach 5 Jahren bei etwa 50 bis 70 Prozent. Das Telemonitoring sowie die telemedizinische Betreuung werden in enger Kooperation mit den behandelnden Pneumologen vor Ort durchgeführt. Typischerweise melden sie die Patienten zum Telemonitoring an und vermerken in einem Handlungsprotokoll, wie die telemedizinische Behandlung bei Veränderungen der Vitalparameter durchgeführt werden
1 alcare AG, Generalunternehmen für digitale Gesundheitsversorgung, Wilenstr.54, 9500 Wil
2 Schweizerische Gesellschaft für Telemedizin & e-Health (SGTMeH) 3 Universität Zürich, Rämistr. 71, 8006 Zürich
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soll: beispielsweise bei welchen Schwellenwerten eine Anpassung der medikamentösen Therapie oder eine direkte Konsultation der Patienten mit ihnen eingeleitet werden soll. Somit handeln die telemedizinischen Ärzte und Fachberater primär im Auftrag und im Sinne der involvierten Fach- und Hausärzte. Weiter erhalten die Pneumologen vor Ort in regelmässigen Abständen ein Statusprotokoll zu den Trends der erhobenen Messwerte. Dieses Protokoll nutzen sie oftmals als Entscheidungsgrundlage, um die medikamentöse Therapie individuell anzupassen beziehungsweise zu optimieren.
Das Home-Monitoring-System bei den ILD-Patienten besteht aus 3 Komponenten: 1. kontinuierliche Erfassung und Analyse von Vitalparame-
tern mittels Spirometrie, Pulsoxymetrie und Aktivität 2. proaktive Kontaktaufnahme bei ungewöhnlichen und kri-
tischen Veränderungen der Messwerte sowie 1-mal monatlich, auch wenn keine Veränderungen vorliegen 3. telefonische Erreichbarkeit des telemedizinischen Teams von 07:00-21:00 Uhr an 365 Tagen.
Onboarding – zu Beginn der zentrale Faktor
Der Onboarding-Prozess in das telemedizinische Setting besteht aus den folgenden Schritten: 1. Anmeldung der Patienten 2. erste Kontaktaufnahme mit den Patienten per Telefon und
Erklärung des Prozedere 3. Zustellung von Dokumenten an die Patienten 4. Zusendung der zu verwendenden Geräte nach Hause 5. gemeinsame telefonische Geräteinstallation 6. 14-tägige Testphase.
Empathie und Sympathie als Vertrauensbasis
Das Schaffen von Empathie/Sympathie ist der zentrale Aspekt im Onboarding-Prozess. Es ist wichtig, dass der Patient einfühlsam an das Telemonitoring herangeführt und auf Bedürfnisse und Befürchtungen eingegangen wird. Für viele Patienten sind die Sensorik und das Telemonitoring zu Hause Neuland. Ein empathischer Ansatz kann Akzeptanz und Vertrauen in die Geräte und in das telemonitorische Setting schaffen sowie allfällige Ängste und Zweifel abbauen.
Didaktik zur Förderung der Gesundheitskompetenz und des Patienten-Empowerment
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die didaktische Fähigkeit, die Gesundheitskompetenz der Patienten zu fördern. Dies beinhaltet die Vermittlung von Informationen über das Telemonitoring-System, die genaue Dienstleistung, die Schulung in der korrekten Bedienung der Geräte sowie die Bedeutung und den Umgang mit den Messwerten. Durch eine klare und verständliche Aufklärung können die Patienten befähigt werden, sich aktiver an ihrem eigenen Gesundheitsmanagement zu beteiligen.
Effizienter Kommunikationsstil zur Stärkung der Akzeptanz
Ein klar verständlicher und zugänglicher Kommunikationsstil, der auf die Patienten zugeschnitten ist, ist ebenfalls zent-
ral. Dies beinhaltet zum einen die Verwendung einfacher und leicht verständlicher Sprache, die Vermeidung von Fachjargon und die Bereitstellung von klaren Handlungsempfehlungen. Zum anderen ist es wichtig, auf die individuellen Präferenzen der Patienten in Bezug auf die Kommunikationsmethoden einzugehen, sei es telefonisch, per Video oder über eine geschützte E-Mail beziehungsweise Onlineplattform. Auch die Verwendung von Gesprächsleitfäden unterstützt eine standardisierte, strukturierte und professionelle Vorgehensweise.
Integration von Technologie und menschlicher Interaktion
Während Technologie eine zentrale Rolle im Telemonitoring auf Distanz spielt, darf die Bedeutung menschlicher Interaktion nicht unterschätzt werden. Das Onboarding sollte daher eine ausgewogene Kombination aus technischer Schulung und persönlicher Betreuung bieten. Die Möglichkeit, Fragen zu stellen und ein direktes Feedback zu erhalten, hat sich bewährt.
Langfristige Unterstützung und Follow-up
Das Onboarding sollte nicht als 1-maliger Prozess betrachtet werden, sondern als kontinuierlicher Unterstützungsprozess. Nach der anfänglichen Schulung wird in regelmässigen Follow-up-Konsultationen Unterstützung, insbesondere in der Handhabung der Technologie, angeboten, um sicherzustellen, dass die Patienten die Geräte und das Telemonitoring-Setting weiterhin auf die richtige Art und Weise nutzen.
Fazit
Bei der Aufnahme von ILD-Patienten in ein Telemonitoring
mithilfe Sensorik und einer telemedizinischen Betreuung zu
Hause ist zu Beginn ein strukturiertes Onboarding, das auf
Empathie, Sympathie, Didaktik und einen adäquaten Kom-
munikationsstil fokussiert, entscheidend. Das Schaffen von
Akzeptanz und Vertrauen sowie die Steigerung der Gesund-
heitskompetenz sind für den erfolgreichen Beginn und die
längerfristige Durchführung vom Telemonitoring auf Distanz
von zentraler Bedeutung.
s
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Christiane Brockes alcare AG, 9500 Wil, Schweizerische Gesellschaft für Telemedizin & e-Health (SGTMeH), Universität Zürich, Rämistr. 71, 8006 Zürich E-Mail: sekretariat@sgtmeh.ch
Interessenlage: Diese Dienstleistung ist von Boehringer Ingelheim gesponsert.
Referenzen: 1. Schmidt-Weitmann S et al.: Akzeptanz und Machbarkeit von medizini-
schem Telemonitoring plus individueller Teleberatung – 2 Jähriges Forschungs- und Entwicklungsprojekt am Universitätsspital Zürich. Ther Umsch. 2015;72(9):541-544, gefördert durch Innosuisse 2. Koehler F et al.: Efficacy of telemedical interventional management in patients with heart failure (TIM-HF2): a randomised, controlled, parallel-group, unmasked trial. Lancet. 2018;392:1047-1057. 3. Brockes C et al.: Steigerung der Kosteneffizienz durch Telemonitoring-Beratung zu Hause. asp. 2021;5:26-29.
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