Transkript
EDITORIAL
Von der Donau an den Rhein – und weiter …
Ob ein neues Kapitel oder eine neue Ära beginnt oder ob eine neue Seite aufgeschlagen wird, es bedeutet immer, dass ein altes Kapitel abgeschlossen wird oder eine Ära endet oder die letzte Seite eines Abschnitts zugeklappt wird. Im nassen und stürmischen Sommer 2024 ist es wieder einmal Zeit für so eine Seiten- oder gar Zeitenwende. 1911 gründete Dr. med. Isaak Segel in Wien – damals neben Berlin das zweite Zentrum derWissenschaft undWirkort von Kunst- und Geistesgrössen wie Gustav Klimt, Karl Kraus, Arnold Schönberg, Sigmund Freud, Robert Musil, Ludwig Wittgenstein oder Franz Kafka – eine neue Zeitschrift: ARS MEDICI. Segel formulierte im allerersten Editorial die selbstgestellte Aufgabe: « … die Resultate der medizinischen Forschung vollständig und übersichtlich genug zur Kenntnis des Praktikers zu bringen.» Genau dies sollte das zentrale Anliegen von ARS MEDICI bleiben, durch alle Zeiten hindurch, bis heute: die Vermittlung von medizinischem Wissen für die vielen Kolleginnen und Kollegen, die keine Zeit finden, sich ausführlich mit der unerschöpflichen Flut an Primärliteratur zu beschäftigen. «Von der Donau an den Rhein» heisst das Büchlein zur 100-jährigen Geschichte der ARS MEDICI. Ein spannender Weg. Ein Weg zwischen Kontinuität und Wandlungen. Geprägt von einigen wenigen Medizinern. Nach dem frühen Tod von Isaak Segel übernahm der ebenfalls jüdische Arzt Dr. med. Max Ostermann 1913 Redaktion und Verlag von ARS MEDICI. Er amtete am längsten als Redaktor: 54 Jahre. Zwischenzeitlich gab er in Wien sogar eine englischsprachige Ausgabe heraus. (Zit. «Arch Derm Syphilol. 1928;17(6):900»: Since 1923, ARS MEDICI has been the only medical journal pu-
blished in English on the Continent…»). Leider erzwang die
Weltgeschichte 1938 eine einschneidende Wendung. Oster-
mann musste vor dem NS-Terror im annektierten Österreich
fliehen. Zunächst nach Basel. Fast 30 Jahre lang, ab 1942 mit
dem Verlag Lüdin in Liestal als Partner, publizierte er ARS
MEDICI in der Schweiz.
Nach dem Tod von Max Ostermann 1967 folgten zwei be-
kannte Schweizer Ärzte als Chefredaktoren. Von 1967 bis
1968 der Gynäkologe Prof. Dr. med. Heinrich Stamm, damals
Chefarzt in Baden, und von 1968 bis 1972 der in Österreich
geborene Dr. med. Walter Oswald. Sie wurden 1972 abgelöst
von Dr. med. Jürg Bär, der ebenfalls teilweise in Wien studiert
hatte und zwischenzeitlich für das IKRK tätig gewesen war.
Jürg Bär prägte die ARS MEDICI und ebenso mich als seinen
damaligen publizistisch unerfahrenen redaktionellen Mit-
arbeiter bis zu seinem krankheitsbedingten Rückzug 1988.
Nach seinem Tod 1991 konnte ich die Verlagsrechte der ARS
MEDICI erwerben. 33 Jahre ist das bereits wieder her.
Höchste Zeit, einen publizistischen Nachfolger zu finden, der
den Auftrag von 1911 weiterführt: die Versorgung der Ärzte
mit Informationen undWissen. Sei’s weiterhin als Zeitschrift
oder künftig auf elektronischem Weg.
Dieser Tage hat der Wechsel stattgefunden. Der Verlag Ro-
senfluh Publikationen ging grossmehrheitlich in die Hände
der Somedia Health AG über, einerTochter des Medienunter-
nehmens Somedia AG in Chur. Dank der Chefredaktorin
Dr. med. Christine Mücke ist die redaktionelle Kontinuität
gewährleistet. Verlegerisch vertraue ich voll und ganz den
neuen Eigentümern, denen – mit Dr. Niklaus Leemann aus
Rheinfelden (wo sonst als am Rhein!) an der Spitze – die
grosse Aufgabe zukommt, das Traditionsblatt ARS MEDICI
in die Zukunft zu führen.
Mein Abschied von ARS MEDICI erfolgt, da nicht überra-
schend und auch nicht total, nur in Teilen wehmütig. Ein
langer Blick auf den Rhein hier in Neuhausen genügt, um zu
ahnen, dass sich hinter aller Zeitlichkeit ein ewiges Fliessen
verbirgt. Und dass fliessen und sich verändern muss, was
bleiben will.
Danke allen Leserinnen und Lesern und allen aktuellen und
früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, dass sie
geholfen haben, ARS MEDICI zu dem zu machen, was es ge-
worden ist. Ich reihe mich damit gerne ein in eine Liste mit
den Namen all jener, die an gleicher Stelle gewirkt haben:
Isaak Segel, Max Ostermann, Heinrich Stamm, Walter Os-
wald, Jürg Bär.
s
Richard Altorfer Ex-Chefredaktor und Verleger emeritus
ARS MEDICI 14 | 2024
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