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BUCHTIPP
Entscheidungsassistenz und Einwilligungsfähigkeit bei Demenz
Menschen mit Demenz haben ein Recht auf Selbstbestimmung. Aber festzustellen, ob sie tatsächlich einwilligungsfähig sind, kann eine Herausforderung sein. Um Kliniker im Praxisalltag bei der Beurteilung zu unterstützen, haben Dr. Matthé Scholten von der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Dr. Julia Haberstroh von der Universität Siegen zusammen mit einem Autorenteam ausführliche Handlungsempfehlungen mit praktischen Tipps zusammengestellt.
Matthé Scholten, Julia Haberstroh: Entscheidungsassistenz und Einwilligungsfähigkeit bei Demenz Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2024, 146 Seiten, 2024. 146 Seiten mit 16 Abb., 2 Tab., kartoniert, ISBN 978-3-17-038716-4, 35.00 Euro
E-Book: 2024. 146 Seiten mit 16 Abb., 2 Tab., 3,3 MB, ISBN 978-3-17-038717-1, 31.99 Euro
E-Pub: 2024. 16 Abb., 2 Tab., 5,4 MB, ISBN 978-3-17-038718-8, 31.99 Euro
In ihrem Buch «Entscheidungsassistenz und Einwilligungsfähigkeit bei Demenz» beschäftigen sich die Autoren damit, nach welchen Kriterien und unter welchen Rahmenbedingungen man die Einwilligungsfähigkeit von Menschen mit Demenz beurteilen kann, und geben Hilfen für diesen Prozess an die Hand. Denn das Recht auf Selbstbestimmung als zentraler Kerngedanke der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sei für Menschen mit Demenz in Gefahr, missachtet zu werden, so Julia Haberstroh.
Mangel an einheitlichen Kriterien Die für eine medizinische Massnahme erforderliche informierte Einwilligung können nur diejenigen geben, die auch tatsächlich einwilligungsfähig sind. «Ob das der Fall ist, wird derzeit viel nach Bauchgefühl bewertet», so Matthé Scholten vom Bochumer Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin in einer Pressemitteilung der Universität Ruhr. «Es gibt Studien, die zeigen, dass Ärzte teils von falschen Annahmen ausgehen und somit die Einwilligungsfähigkeit falsch einschätzen.» So sind etwa Patienten, die eine rechtliche Betreuungsperson haben, nicht per se nicht einwilligungsfähig. Das muss in jedem Einzelfall individuell beurteilt werden. Oft aber hänge bislang das Ergebnis einer solchen Beurteilung davon ab, wer die Beurteilung vornehme, so Scholten weiter.
Detaillierte Hilfestellung In ihrem Buch beschreiben Haberstroh und Scholten auch detailliert, wann Gespräche zur Beurteilung der Einwilli-
gungsfähigkeit überhaupt stattfinden sollten, welche Informationen dafür erforderlich sind und wie sie vorbereitet werden sollten. Ausserdem enthält das Werk erstmals deutsche Übersetzungen von zwei durch Thomas Grisso und Paul Appelbaum entwickelte Beurteilungstools namens MacCAT-T und MacCATCR, die im englischsprachigen Raum etabliert sind. Diese basieren auf vier Kriterien: dem Informationsverständnis, der Krankheits- und Behandlungseinsicht, dem Urteilsvermögen sowie der Fähigkeit, eine Entscheidung treffen und kommunizieren zu können. Die Autoren listen Fragen auf, anhand derer die Kriterien überprüft werden können, und geben zudem Beispiele, um Kliniker bei der Anwendung der Kriterien zu unterstützen. Zwar nehme ein solches Gespräch zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit eine gewisse Zeit in Anspruch, aufklären aber müsse man Patienten sowieso, wie Scholten erinnert. Und damit die ärztliche Aufklärung kein Monolog ist, können Ärzte ihr Gegenüber zum Beispiel regelmässig fragen, ob er oder sie die Informationen verstanden hat, und darum bitten, diese in eigenen Worten zu wiederholen.
Den richtigen Rahmen schaffen Des Weiteren enthält das Buch Tipps für geeignete Rahmenbedingungen, um die
Qualität der Aufklärung und Beurteilung zu verbessern. Damit eine Einwilligung wirksam ist, bedarf es der Einwilligungsfähigkeit des Patienten ebenso wie einer adäquaten Information. Adäquat sei eine Information dann, wenn sie die Betroffenen so weit wie möglich befähige, eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, erklärt Julia Haberstroh. Um bekannte Störfaktoren auszuschalten, kann es zum Beispiel helfen, auf eine klare Sprache zu achten, auf Fachbegriffe zu verzichten sowie ausreichend langsam zu sprechen. Auch sollte das Gespräch in einem Raum geführt werden, der frei von Störgeräuschen ist. Und: «Wenn ein Arzt zu dem Schluss kommt, dass eine Person nicht einwilligungsfähig ist, sollte dies nicht als End-, sondern als Anfangspunkt gesehen werden», sagt Julia Haberstroh. Hier kann der Prozess der informierten Einwilligung mit Entscheidungsassistenz starten: Wo hatte die Person Schwierigkeiten? Wo hatte sie Stärken? Wie können die Stärken genutzt werden, um die Schwierigkeiten auszugleichen? Das Buch gibt praktische Tipps, wie man Patienten die selbstbestimmte Einwilligung ermöglichen kann. RUB/Mü s
Quelle: Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum (RUB) vom 08.05.2024
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