Transkript
Therapie des Morbus Crohn
Stärkere Wirksamkeit bevorzugen
BERICHT
Welche Biologika sich für wen eignen, welche Reihenfolge sich anbietet und welche Neuigkeiten es zu den Biologika gibt, stellte Prof. Siddharth Singh, IBD-Center, University of California San Diego, La Jolla (USA), am Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week) vor. Er plädierte auch dafür, sich ungeachtet der Nebenwirkungen womöglich immer für das stärker wirksame Therapeutikum zu entscheiden.
Mittlerweile stehen für die Behandlung von Morbus Crohn etliche Biologika zur Verfügung, die nacheinander eingesetzt werden können. Welche Reihenfolge sich dabei anbietet beziehungsweise welche Therapeutika sich für die Induktionsoder Erhaltungsphase bei biologikanaiven oder biologikaerfahrenen Patienten eignen, stellte ein systematischer Review mit Netzwerkmetaanalyse zusammen (1). Trotz der Tatsache, dass die Therapie bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Morbus Crohn individualisiert werden muss, kann gemäss Erstautor Singh zur Induktion der klinischen
Remission bei biologikanaiven Patienten als First-Line-Intervention Infliximab plus Azathioprin oder Monotherapien mit Infliximab oder Adalimumab der Vorzug gegeben werden. Nach Therapieversagen von Infliximab kann die klinische Remission mit einem Wechsel zu Adalimumab, Risankizumab oder Ustekinumab wiederhergestellt werden. Die endoskopische Remission korreliert aber nicht immer mit der klinischen Remission. Datenvergleiche der verschiedenen Studien zeigen gemäss Singh jedoch auch für diesen Endpunkt Vorteile für Infliximab, Adalimumab und Ustekinumab (2, 3).
Exitstrategie: Wie und wann kann die Crohn-Therapie deeskaliert werden?
Wenn die Remission mit einer Therapie erreicht ist, stellt sich die
Frage, ob und in welchem Rahmen die Therapie zurückgefahren oder
gar gestoppt werden kann. Dies einerseits wegen der Nebenwirkun-
gen, spezifischen Situationen wie z. B. Schwangerschaft, um Kosten
zu sparen oder weil der Patient dies wünscht. In letzterem Fall zeigte
eine Umfrage, bei der die Patienten gefragt wurden, welches Flare-up-
Risiko sie für einen Therapiestopp in den kommenden 2 Jahren in Kauf
nehmen würden, dass eine Mehrheit der Patienten ein Risiko > 25 Pro-
zent nicht akzeptieren würde, wie Edouard Louis, Liège (B), an der UEG-
Week berichtete. Das Rückfallrisiko einer abgesetzten TNF-Hemmer-
Therapie beträgt gemäss einer Metaanalyse 50 Prozent innerhalb von
12 Monaten (11). In einer multizentrischen, retrospektiven Beobach-
tungsstudie aus Spanien (n = 1055) lag die Rückfallinzidenz pro Jahr
nach TNF-Hemmer-Stopp nach erreichter klinischer Remission bei 19
Prozent (12). Eine weitere Studie, die den Rückfall hinsichtlich der en-
doskopischen Remission beurteilte, zeigte nach Therapiestopp eine si-
gnifikant höhere Rückfallrate nach 1 Jahr als unter Therapiefortsetzung
(13). Steht der Patient unter einer kombinierten Therapie mit Inflixi-
mab plus Immunsuppressivum, ist eine Deeskalation durch Absetzen
des Immunsuppressivums mit weniger Rückfällen behaftet als ein Ab-
setzen von Infliximab (14).
Wichtig sei jedoch die Erkenntnis, dass mit einer erneuten Behandlung
mit Infliximab nach einem vorherigen Therapiestopp ein wiederholtes
Therapieansprechen gelingt (11), so Louis.
Um jedoch das kurzfristige Rückfallrisiko innerhalb von 6 Monaten bei
Absetzen der TNF-Therapie zu minimieren, soll bei Patienten mit be-
stehender Inflammation beziehungsweise subklinischer Krankheitsak-
tivität ein Therapiestopp vermieden werden, so Louis.
vh
Wirksam vor nebenwirkungsarm
Obwohl das Risiko für Infekte, die das Therapieansprechen beeinflussen können, unter TNF-Hemmer grösser ist, sollte die Wahl dennoch auf die wirksamere Therapie fallen, so Singh. Denn mit einer frühzeitig wirksamen Therapie kann die Crohn-Erkrankung modifiziert werden, während das später immer schwieriger wird. Die Guidelines der American Gastroenterological Association (AGA) empfehlen bei mittelschwerem bis schwerem Morbus Crohn bei biologikanaiven Patienten in erster Linie Infliximab, Adalimumab, Ustekinumab (starke Evidenzsicherheit) und Vedolizumab (schwache Evidenzsicherheit). Bei TNF-Hemmer-Nonrespondern sind Ustekinumab (starke Evidenzsicherheit) und Vedolizumab (schwache Evidenzsicherheit) empfohlen, und bei Patienten, die nicht mehr auf Infliximab ansprechen, soll die Therapie mit Adalimumab oder Ustekinumab (starke Evidenzsicherheit) fortgesetzt werden (4, 5).
Neue Ergebnisse
Ustekinumab und das kürzlich zugelassene Risankizumab sind beides Interleukin(IL)-Inhibitoren: Ustekinumab hemmt IL-12/-23, während Risankizumab selektiv nur IL-23 inhibiert. Hier stellt sich die Frage, inwiefern sie sich in der Wirkung unterscheiden. Dazu wurde an der UEG-Week die Phase-IIIb-SEQUENCE-Studie vorgestellt, die bei Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Morbus Crohn Wirkung und Verträglichkeit von beiden Therapeutika miteinander verglich. Die offene, multizentrische und randomisierte Studie schloss 520 Patienten ein, bei denen ≥ 1 TNF-HemmerTherapie versagt hatte. Die Patienten hatten einen Crohn’s Disease Activity Index Score von 220 bis 450, einen Simple Endoscopic Score ≥ 6 für Ileokolon- und Kolonerkrankung
ARS MEDICI 13 | 2024
301
BERICHT
Tabelle:
Pharmakologika bei Morbus Crohn (Auswahl)
Substanz Handelsname
TNF-Hemmer
Adalimumab
Abrilada®, Amgevita, Hukyndra®, Hulio®, Humira®,
Hyrimoz®, Idacio®, Imraldi®
Infliximab
Inflectra, Remicade®, Remsima®
IL-Hemmer: Anti-IL-12/-23
Ustekinumab Stelara®
Selektive IL-23-Hemmer
Risankizumab Skyrizi®
Guselkumab
Tremfya® (Pipeline)
Integrinantagonist (small molecule)
Vedolizumab
Entyvio®
JAK-Hemmer (small molecule)
Tofacitinib
Xeljanz® (Pipeline)
Upadacitinib Rinvoq®
Immunsuppressiva
Azathioprin
Azafalk®, Azarek®, Imurek®
und ≥ 4 Stuhlgänge/Tag oder Abdominalschmerzen (Abdominal Pain Score ≥ 2) (6). Risankizumab (n = 255) wurde in der Induktionsphase intravenös zu Woche 0, 4 und 8 in einer Dosis von 600 mg verabreicht, in der Erhaltungsphase bis Woche 44 erhielten die Teilnehmer alle 8 Wochen 360 mg subkutan. Ustekinumab (n = 265) wurde mit einer Einzeldosis körpergewichtsadaptiert i.v. aufgesättigt, ab der 8. Woche erhielten die Teilnehmer alle 8 Wochen 90 mg s.c. In der Studie waren 2 primäre Endpunkte festgelegt: die klinische Remission nach 24 Wochen (non-inferiority outcome) und die endoskopische Remission nach 48 Wochen (superiority outcome). Die Ergebnisse zeigen folgendes Bild: Hinsichtlich der klinischen Remission nach 24 Wochen ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Substanzen, Risankizumab war Ustekinumab damit nicht unterlegen. Im zweiten Endpunkt erreichten nach 48 Wochen unter Risankizumab signifikant mehr Patienten eine endoskopische Remission als unter Ustekinumab (31,8 vs. 16,2%). Damit scheint Risankizumab dem Ustekinumab in dieser Hinsicht überlegen zu sein (6).
Extraintestinale Manifestationen gelindert
Bei etwa der Hälfte der Patienten mit Morbus Crohn treten aber auch extraintestinale Manifestationen auf, die die Lebensqualität zusätzlich beeinträchtigen. Die häufigsten sind periphere Arthropathien, Anämien und axiale Arthropathien. Wie diese gelindert werden können, untersuchte die Posthoc-Analyse aus gepoolten Daten von verschiedenen plazebokontrollierten Studien (ADVANCE, MOTIVATE [Induktionstherapie]; FORTIFY [Erhaltungstherapie]). Dabei interessierten die Veränderung zwischen Studienbeginn und -ende von 16 vordefinierten extraintestinalen Manifestationen nach 12 Wochen Induktionstherapie mit Risankizumab oder Plazebo sowie die Erhaltung nach 52 Wochen. Die Analyse ergab, dass die Induktionstherapie mit Risankizumab zu einer Remission der extraintestinalen Manifestationen führte, insbesondere der Anämie und der axialen Arthropathie. Die Remission war auch während der Erhaltungsphase anhaltend (7). Ein weiterer selektiver IL-23-Antagonist ist Guselkumab. Dieses zeigte in einer Verlängerungsstudie über 3 Jahre eine anhaltende klinische und endoskopische Wirkung ohne neue Sicherheitssignale (8).
Ustekinumab vs. Adalimumab
Ein Vergleich des IL-12/-23-Antagonisten Ustekinumab mit dem TNF-Hemmer Adalimumab wurde an der UEG-Week mit Patienten mit postoperativem Morbus Crohn vorgestellt. Dabei ging es um die Frage, ob mit dem IL-12/-23-Antagonisten ein Rezidiv gleich effizient verhindert werden kann wie mit dem TNF-Hemmer. Patienten aus 14 Spitälern aus Frankreich und Belgien, die vorgängig schon mindestens 1 Biologikum erhalten hatten, wurden in die prospektive Beobachtungsstudie eingeschlossen. Unmittelbar nach der Darmresektion hatten diese (n = 123) entweder Ustekinumab (n = 60) oder Adalimumab (n = 63) erhalten. Als primärer Endpunkt war ein endoskopischer Rückfall innerhalb des ersten Jahres nach dem Eingriff definiert. Die Patienten in der Ustekinumabgruppe waren allerdings älter, hatten eine längere Krankheitsdauer und auch bereits mehr Biologikatherapien hinter sich. Nach Studienende zeigte sich bezüglich der postoperativen Rezidivrate aber kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen (9).
Upadacitinib
Upadacitinib, ebenfalls ein selektiver JAK-Hemmer, wurde
nun auch in der Schweiz zur Behandlung des Morbus Crohn
als Zweitlinientherapie zugelassen. Eine an der UEG-Week
vorgestellte Studie befasste sich mit der Dosierung in der
Langzeittherapie, insbesondere von Patienten, die nach der
12-wöchigen Induktionstherapie mit 45 mg in der anschlies-
senden Erhaltungsphase mit 15 mg weitertherapiert wurden
und dabei die Response verloren. Eine Dosiseskalation auf
30 mg retablierte die klinische Response nach 12 Wochen
jedoch bei den meisten, ebenso bei vielen wurde die klinische
Remission retabliert. Die Verbesserungen hielten währen 24
Wochen an (10). Das könnte dazu führen, dass die Therapie
nach der Induktionsphase mit 15 mg fortgesetzt wird und
dass bei jenen, die unter dieser Dosis einen Rückfall erleiden,
mit 30 mg fortgefahren werden kann.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Sequencing therapies for Crohn’s disease». Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week), 14. bis 17. Oktober in Kopenhagen.
302
ARS MEDICI 13 | 2024
Referenzen: 1. Peyrin-Biroulet L et al.: Risankizumab versus ustekinumab for patients
with moderate to severe crohn’s disease: results from the phase 3b sequence study. LB01, presented at UEG-Week 2023, Copenhagen. 2. Ghosh S et al.: Effect of risankizumab treatment on extraintestinal manifestations (eims) in patients with moderate to severe crohn’s disease (cd): results from the advance, motivate and fortify studies. OP037, presented at UEG-Week 2023, Copenhagen. 3. Afzali A et al.: Efficacy and safety of guselkumab for crohn’s disease through 3 years: GALAXI-1 long-term extension. OP020, presented at UEG-Week 2023, Copenhagen. 4. Allez M et al.: Comparative effectiveness of ustekinumab and adalimumab in the prevention of post-operative recurrence in crohn’s disease. OP067, presented at UEG-Week 2023, Copenhagen. 5. Panaccione R et al.: Upadacitinib 30 mg treatment restores clinical response after loss of response in patients with moderately to severely active crohn’s disease: results from the phase 3 u-endure study. OP147, presented at UEG-Week 2023, Copenhagen. 6. Singh S et al.: Comparative efficacy and safety of biologic therapies for moderate-to-severe Crohn’s disease: a systematic review and network meta-analysis. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2021;6(12):1002-1014. 7. Narula N et al.: Comparative effectiveness of biologics for endoscopic healing of the ileum and colon in crohn’s disease. Am J Gastroenterol. 2022;117(7):1106-1117. 8. Parrot L et al.: Systematic review with meta-analysis: the effectiveness of either ustekinumab or vedolizumab in patients with Crohn’s disease refractory to anti-tumour necrosis factor. Aliment Pharmacol Ther. 2022;55(4):380-388. 9. Singh S et al.: AGA technical review on the medical management of moderate to severe luminal and perianal fistulizing crohn’s disease. Gastroenterology. 2021;160(7):2512-2556.e9. 10. Singh S et al.: AGA technical review on the medical management of moderate to severe luminal and perianal fistulizing crohn’s disease. Gastroenterology. 2021;160(7):2512-2556.e9. 11. Kennedy NA et al.: Relapse after withdrawal from anti-TNF therapy for inflammatory bowel disease: an observational study, plus systematic review and meta-analysis. Aliment Pharmacol Ther. 2016;43(8):910-923. 12. Casanova MJ et al.: Evolution after anti-TNF discontinuation in patients with inflammatory bowel disease: a multicenter long-term follow-up study. Am J Gastroenterol. 2017;112(1):120-131. 13. Buhl S et al.: Discontinuation of Infliximab Therapy in Patients with Crohn’s Disease. NEJM Evid. 2022; 1(8). doi: 10.1056/EVIDoa2200061. 14. Louis E et al.: Withdrawal of infliximab or concomitant immunosuppressant therapy in patients with Crohn’s disease on combination therapy (SPARE): a multicentre, open-label, randomised controlled trial. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2023;8(3):215-227.
BERICHT
ARS MEDICI 13 | 2024
303