Transkript
EDITORIAL
«… et nos mutamur in illis.»
Kaum ein anderes hexametrisches Sprichwort musste in den vergangenen hundert Jahren häufiger als Titel eines Editorials herhalten als eben dieser auf Ovid und einige mittelalterliche Nachfolger zurückgehende Allgemeinplatz, wobei unklar ist, ob die banale Einsicht der Tatsache gilt, dass die Zeiten sich ändern, oder derjenigen, dass wir uns mit den Zeiten – oder mit der Zeit – verändern. Dass beides der Fall ist, merkt man, je älter man wird. Fast täglich, mindestens wöchentlich. Jüngstes Beispiel: der ESC. Zwischen (auch den Zeiten von) Lys Assia und Nemo liegen Welten. Der Event, die Musik, die Umstände, sie sind heute nicht mehr, wie sie damals waren – auch wenn Vieles dann doch wieder gleich geblieben ist: die Eitelkeiten, der Neid, Ränkespiele, Stolz, Enttäuschung, Freude, Geld, Karrierehoffnungen, Karrierebrüche. Ein uns geläufigerer Bereich, bei dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat, ist unser Beruf. Die Medizin von damals, als die Älteren von uns ihr Staatsexamen machten, hat zumindest technologisch keine Ähnlichkeit mehr mit der Medizin von heute. Ganz zu schweigen von der Medizin aus den Anfängen der ARS MEDICI, die Sie gerade in der Hand halten – oder online lesen, womöglich sogar am Smartphone. «Wir» (unsere Zeitschrift) schrieben das Jahr 1911 und waren in Berlin zuhause, damals zusammen mit Wien quasi die Hauptstadt der Wissenschaft. Die Sprache der Wissenschaft
war Deutsch, eine angelsächsische Dominanz gab es noch nicht. Es gab keine Antihypertensiva, keine Chemotherapeutika, keine Computertomografie, kein MRI, keine PCR, keine Influenzaimpfung, keine Antibiotika, kein Insulin, keine Hüftprothesen. Was um Himmels Willen, fragt man sich, machte man als Arzt in jenen Tagen? Trotz ungleich viel weniger diagnostischer und therapeutischer Optionen arbeitete man vermutlich mehr. Die Ärzte – das generische Maskulinum war noch nicht mal eine ideologische Diskussion wert, es waren ohnehin (fast) alles Männer – in der Praxis arbeiteten 24/7 und nicht wie heute, sagen wir mal tendenziell, eher 9 to 5. Der Begriff «Work-Life-Balance» war noch Jahrzehnte weit weg – nicht nur für Ärzte, sondern für alle Arbeitenden. Was ich Ihnen mit dieser Einführung in aller Kürze sagen will? Dass die Tatsache, dass die Zeiten sich ändern und wir uns mit oder in ihnen, erstens eine Selbstverständlichkeit ist und zweitens alle Zeiten, alle Lebensbereiche und alle Menschen betrifft. Auch Verlage und Journalisten und alle jene, die deren Produkte konsumieren und finanzieren. Aus Zeitschriften aus Papier, verteilt von der Post, wurden in den letzten Jahren immer häufiger Daten, geliefert übers Web auf Computer, Laptops und Smartphones. Nicht ausschliesslich zwar, denn gewisse Vorteile bleiben Papier und Zeitschriften schon noch vorbehalten. Auch für die Inserenten übrigens, die ihre Botschaften auf anderen Wegen eher schwerer an Mann und Frau bringen. Trotzdem: Wir kommen wie viele andere nicht darum herum, gewisse Gewohnheiten zu ändern und Strukturen anzupassen. Sie werden also in den kommenden Monaten die eine oder andere Veränderung feststellen. Wir hoffen, dass sie Ihnen positiv ins Auge fallen und Sie unserer publizistischen Logik folgen: In die ARS MEDICI gehört, was die Allgemeinmedizin ausmacht. Ganz bestimmt sind das die Themen Ernährung und Ernährungsmedizin. Deswegen finden Sie in der vorliegenden Ausgabe von ARS MEDICI die «Schweizerische Zeitschrift für Ernährungsmedizin» integriert. Es wird nicht die letzte Anpassung bleiben. Denn: «Tempora mutantur …» s
Richard Altorfer Verleger
ARS MEDICI 11 | 2024
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