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BERICHT
LDL-Cholesterin
Früh und tief senken
In der Therapie einer Dyslipidämie können die gleichen LDL-Cholesterin-Werte unterschiedliche Massnahmen auslösen. Nämlich dann, wenn vorher «nur» kardiovaskuläre Risikofaktoren vorlagen und der Patient nun kürzlich ein atherosklerotisches kardiovaskuläres Ereignis erlitten hat. Was in diesem Fall sowie bei Verdacht auf eine familiäre Hypercholesterinämie zu tun ist, war am AGLA-Kurs Klinische Lipidologie zu erfahren.
In der Schweiz liegen 70 Prozent der Bevölkerung mittleren Alters über dem LDL(low-density lipoprotein)-Cholesterin (LDL-C)-Zielwert. Zielwerte seien allerdings Parameter zur Risikobestimmung (Tabelle 1), nicht zur Krankheitslast, erklärte Prof. Arnold von Eckardstein, Institut für Klinische Chemie, Universitätsspital Zürich. Bei einem LDL-C-Wert ≥ 5 mmol/l sollte an eine familiäre Hypercholesterinämie (FH) gedacht werden (Tabelle 2). Diese betrifft in der Schweiz gemäss Daten aus der SAPALDIA-Studie (n > 6000), auf die von Eckardstein verwies, etwa 10 Prozent der Bevölkerung. Als Ursachen für hohe Lipidwerte kommen einerseits genetische Prädispositionen wie bei der FH in Betracht. Weitaus häufiger sind andererseits jedoch erworbene Dyslipidämien. Bei sekundären Hypercholesterinämien kommen der Lebensstil, wie zum Beispiel die Aufnahme von Transfettsäuren und gesättigten Fettsäuren, sowie die Verwendung von Gestagenen und antiretroviralen Medikamenten als Ursachen infrage. Grundkrankheiten wie eine Hypothyreose, ein nephrotisches Syndrom (gemischt mit Hypertriglyzeridämie) und eine Cholestase (früher: primäre biliäre Zirrhose) können ebenfalls zu einer sekundären Hypercholesterinämie führen. Die Prävalenz der FH liegt etwa bei 0,2 bis 0,3 Prozent. Sie wird autosomal rezessiv mit Mutationen in diversen Genen, wie beispielsweise LDLR (LDL-Rezeptor), APOB (Apolipoprotein B), PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9), APOE-Varianten und LPA (Lipoprotein[a]), vererbt. Unbehandelt führt die FH zu frühzeitiger kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität (2), da die Aufnahme von LDL-C in die Leber gestört ist und es dadurch zu einer Akkumulierung und Ablagerung von LDL-C im Blut kommt. Ein Nachweis kann mit dem DLCN(Dutch Lipid Clinic Network)-Score für die Diagnose der heterozygoten FH (https:// www.fhscore.eu/#/landing) mit Fragen zur Familienanamnese, zur eigenen Anamnese sowie zu Symptomen und LDLC-Werten erbracht werden. Je nach erreichter Punktzahl können eine definitive FH (> 8 Punkte), eine wahrscheinliche FH (6–8 Punkte) und eine mögliche FH (3–5 Punkte) diagnostiziert werden. Bei < 3 Punkten kann eine FH ausgeschlossen werden. Eine frühe Therapie lohnt sich, wie ein 20-jähriges niederländisches Follow-up von Kindern gezeigt hat. Eine im Kindesalter begonnene Statintherapie bei Kindern mit FH verlangsamte die Zunahme der Intima-media-Dicke der Karotis und verringerte das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse im Erwachsenenalter (3). Therapie der Dyslipidämie Bei der Therapie sei es nach heutiger Auffassung «state of the art», erhöhte Lipidwerte so tief und so früh wie möglich zu senken, wie Prof. Dr. med. Jean-Paul Schmid, Chefarzt Kardiologie, Klinik Gais, berichtete. Ein normaler LDL-C-Wert liegt bei 3,0 mmol/l, sofern das kardiovaskuläre 10-JahresRisiko (SCORE [Systematic Coronary Risk Estimation]) < 1 Prozent liegt. Bei einem höherem Risiko sollte das LDL-C gemäss den Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) (4) und der Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA) entsprechend gesenkt werden (Tabelle 2). Das Ziel der lipidsenkenden Therapie ist die Regression der entstandenen Plaques. Mit sinkenden LDL-C-Spiegeln < 2,0 mmol/l nimmt auch das Atheromvolumen ab, wie Untersuchungen mit intravaskulärem Ultraschall zeigen (5). Mit hoch wirksamen Statinen kann laut Schmid eine LDL-CSenkung von etwa 50 Prozent erreicht werden. Eine Dosiserhöhung führt aber nicht im gewünschten Ausmass zu einer stärkeren Senkung. Jede Verdoppelung der Dosis verstärkt die Reduktion nur noch um etwa 6 Prozent (rule of 6) (6). Daher ist es sinnvoller, Kombinationstherapien anzustreben. Die Zugabe von Ezetimibe bewirkt eine Reduktion um zirka 65 Prozent. Auch weitere Lipidsenker lassen sich kombinieren: Mit PCSK9-Hemmern plus einem hoch wirksamen Statin und Ezetimibe könne eine Senkung um bis zu 85 Prozent erreicht werden, so Schmid. Bempedoinsäure, ein weiterer Lipidsenker, reduziert das LDL-C als Monotherapie um zirka 30 Prozent und in Kombination mit Ezetimibe um bis zu 50 Prozent (2). Bempedoinsäure ist eine valable Alternative für statinintolerante Patienten. Es hemmt zwar wie die Statine auch die Cholesterinsynthese, wirkt aber nur in der Leber und nicht im Muskel. In einer plazebokontrollierten Studie zum klinischen Nutzen von Bempedoinsäure (n = 13 970) war die LDL-C-Senkung nach 40 Monaten unter Bempedo- 216 ARS MEDICI 9+10 | 2024 BERICHT Tabelle 1: Zielwerte zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen CVD-Risiko sehr hoch (SCORE ≥ 10%) hoch (SCORE ≥ 5 bis < 10%) moderat (SCORE ≥ 1 bis < 5%) LDL-Cholesterin < 1,4 mmol/l < 1,8 mmol/l < 2,6 mmol/l Non-HDL-Cholesterin < 2,2 mmol/l < 2,6 mmol/l < 3,4 mmol/l Apolipoprotein B < 0,65 g/l < 0,8 g/l < 1,0 g/l Abkürzungen: CVD: kardiovaskuläre Erkrankung, LDL: «low-density lipoprotein», HDL: «high-density lipoprotein», SCORE: Systematic Coronary Risk Estimation Quelle: mod. nach (1, 4) Tabelle 2: Mögliche Erkrankungen bei sehr hohen LDL-Cholesterin-Werten Wert Triglyzeride ≥ 10,0 mmol/l LDL-Cholesterin ≥ 13,0 mmol/l LDL-Cholesterin ≥ 5,0 mmol/l LDL-Cholesterin bei Kindern ≥ 4 mmol/l Lipoprotein(a) ≥ 150 mg/dl LDL-Cholesterin, ApoA-I ≤ 0,3 mmol/l LDL-Cholesterin, ApoB Verdacht auf akute Pankreatitis homozygote FH heterozygote FH heterozygote FH KHK, Hirnschlag, Aortenstenose ApoA-I-Mangel, Tangier-Krankheit, LCAT-Mangel, Fischaugenkrankheit Abetalipoproteinämie Abkürzungen: FH: familiäre Hypercholesterinämie, KHK: koronare Herzkrankheit, LCAT: Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase, ApoA: Apolipoprotein A, ApoB: Apolipoprotein B Quelle: mod. nach (1) insäure anhaltend. Auch die Rate an tödlichen und nicht tödlichen Myokardinfarkten sank im Vergleich zu Plazebo signifikant um 23 Prozent (p = 0,002) (7). Auch die PCSK9Hemmer Evolocumab und Alicorumab zeigten in kardiovaskulären Outcome-Studien eine signifikante Senkung der kardiovaskulären Ereignisrate um 27 Prozent beziehungsweise 15 Prozent (8, 9). Vorgehen in der Primär- und Sekundärprävention Die AGLA empfiehlt bei Patienten ohne manifeste athero- sklerotische kardiovaskuläre Erkrankung mit niedrigem Ri- siko eine LDL-C-Reduktion auf < 2,6 mmol/l und rät dazu lediglich zu einer Lebensstilberatung. Bei Patienten mit mo- deratem Risiko soll der LDL-C-Wert durch eine zusätzliche Statintherapie auf < 2,6 mmol/l gesenkt werden. Bei hohem Risiko soll der LDL-Wert mit einem hoch wirksamen Statin auf 1,8 mmol/l gesenkt werden, gegebenenfalls zusätzlich mit Ezetimibe, PCSK9-Hemmern und Bempedoinsäure. Bei sehr hohem Risiko oder manifester kardiovaskulärer Erkrankung soll das LDL-C-Risiko um mindestens 50 Prozent und auf 1,4 mmol/l gesenkt werden, dies durch ein hoch wirksames Statin plus Ezetimibe, PCSK9-Hemmer und Bempedoinsäure bei Bedarf (10). s Valérie Herzog Quelle: AGLA Kurs Klinische Lipidologie, 18./19.1.24, Zürich Referenzen: 1. Nordestgaard BG et al.: Fasting is not routinely required for determina- tion of a lipid profile: clinical and laboratory implications including flagging at desirable concentration cut-points-a joint consensus statement from the European Atherosclerosis Society and European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine. Eur Heart J. 2016;37(25):19441958. doi:10.1093/eurheartj/ehw152. 2. Nordestgaard BG et al.: Familial hypercholesterolaemia is underdiagnosed and undertreated in the general population: guidance for clinicians to prevent coronary heart disease: consensus statement of the European Atherosclerosis Society. Eur Heart J. 2013;34(45):3478-90a. doi:10.1093/ eurheartj/eht273. 3. Luirink IK et al.: 20-year follow-up of statins in children with familial hypercholesterolemia. N Engl J Med. 2019;381(16):1547-1556. doi:10.1056/ NEJMoa1816454. 4. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. 5. Puri R et al.: Factors underlying regression of coronary atheroma with potent statin therapy. Eur Heart J. 2013;34(24):1818-1825. doi:10.1093/ eurheartj/eht084. 6. Jones PH et al.: Comparison of the efficacy and safety of rosuvastatin versus atorvastatin, simvastatin, and pravastatin across doses (STELLAR* Trial). Am J Cardiol. 2003;92(2):152-160. doi:10.1016/s00029149(03)00530-7. 7. Nissen SE et al.: Bempedoic acid and cardiovascular outcomes in statin-intolerant patients. N Engl J Med. 2023;388(15):1353-1364. doi:10.1056/NEJMoa2215024. 8. Sabatine MS et al.: Evolocumab and Clinical Outcomes in Patients with Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2017;376(18):1713-1722. doi:10.1056/ NEJMoa1615664 9. Schwartz GG et al.: Alirocumab and Cardiovascular Outcomes after Acute Coronary Syndrome. N Engl J Med. 2018;379(22):2097-2107. doi:10.1056/NEJMoa1801174. 10. Arbeitsgemeinschaft Lipide und Atherosklerose (AGLA): Prävention der Athersklerose. Fokus auf Dyslipidämie. 2023. www.agla.ch. Letzter Abruf: 29.1.24. 218 ARS MEDICI 9+10 | 2024