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Neurodermitis, Urtikaria, Psoriasis
Update für die Praxis
BERICHT
Hauterkrankungen wie atopische Dermatitis, Urtikaria und Psoriasis sind in der Praxis sehr häufig. Wie sie auftreten, wann und was abgeklärt werden soll und womit diese Erkrankungen behandelt werden können, erläuterte Dr. Andrea Stillhard, Dermatologie, Stadtspital Zürich, am Forum Medizinische Fortbildung (FOMF) Allgemeine Innere Medizin in Basel.
Die atopische Dermatitis (syn.: atopisches Ekzem, Neurodermitis) ist sehr häufig. Bei Kindern beträgt die Prävalenz zirka 20 Prozent, bei Erwachsenen 4 bis 5 Prozent. Im Lauf der letzten 30 Jahren hat sie sich verdoppelt bis verdreifacht. Das Risiko für ein Kind, ein atopisches Ekzem zu entwickeln, steigt mit der familiären Häufung. Klinische Zeichen für eine atopische Dermatitis sind neben dem Juckreiz zum Beispiel eine trockene Haut, Cheilitis, Dennie-Morgan-Falten (doppelte Lidfalte) und Hertoghe-Zeichen (Lichtung der seitlichen Partie der Augenbraue), Pityriasis alba, palmare Hyperlinearität und der weisse Dermografismus (Abbildung 1). Je nach Alter ändert sich die Verteilung des atopischen Ekzems. Während bei Kleinkindern der ganze Körper bis auf die Windelregion befallen sein kann, sind im Kindesalter die Prädilektionsstellen die Beugeseiten von Armen und Beinen. Bei Erwachsenen können zusätzlich Gesicht, Hals, Hände und Füsse betroffen sein, so Stillhard. Die Ursachen des atopischen Ekzems sind Genetik, veränderte Hautstruktur, hormonelle Veränderungen, Immunreaktionen und Umweltfaktoren wie beispielsweise Wolle oder Milben. In der Behandlung bestimmt der Schweregrad die Art der Therapie. Diese erfolgt gemäss den europäischen Guidelines für die Therapie der atopischen Dermatitis als Stufentherapie (1). Die Basistherapie besteht aus Rückfettung (z. B. mit Antidry® calm Lotion, Prurimed-Lipolotion®, Dexeryl-Creme®, Excipial-Creme®) und der Vermeidung von Triggerfaktoren. Patienten mit einer milden atopischen Dermatitis erhalten eine topische Steroidtherapie (z. B. Mometason Creme bzw.
KURZ & BÜNDIG
� Beim atopischen Ekzem ist die Rückfettung sehr wichtig. Die Behandlung erfolgt als Stufentherapie.
� Eine Urtikaria muss erst nach 6 Wochen abgeklärt werden. Sie tritt häufig nach einem banalen viralen Infekt auf, ist ungefährlich und wird mit Antihistaminika behandelt.
� Psoriasis ist eine Systemerkrankung. Wichtig ist dabei, nach Gelenkschmerzen zu fragen.
Salbe) gegebenenfalls okklusiv und als Erhaltungstherapie Calcineurininhibitoren (Tacrolimus, Pimecrolimus). Die längerfristige Anwendung einer potenten Kortisoncreme (Klasse III) an maximal 3 bis 4 Tagen/Woche ist laut der Referentin sicher. In mittelstarken Stadien kommt die Lichttherapie (UVBnb oder UV-A1) zur Anwendung. Schwere Formen erfordern jedoch eine orale Therapie mit Immunsuppressiva. Dazu gehören Ciclosporin, Biologika und Januskinase(JAK)Inhibitoren (1). Als Therapiebeispiel bei einem chronischen oder auch bei nummulären mikrobiellen Ezkemen schlägt die Referentin eine Therapie mit einer Klasse-III-Steroid-Salbe (z. B. Mometason Salbe) vor, 1-mal täglich abends während 14 Tagen, anschliessend während 10 bis 14 Tagen jeden 2. Tag, dann 2-mal/Woche als Erhaltungstherapie und eventuell zusätzlich Tacrolimussalbe an den anderen Tagen. Bei grossflächigen Ekzemen sollen Cremes bevorzugt angewendet werden. Bei akutem Ekzem eignen sich ebenfalls Cremes besser als Salben, bei subakutem oder chronischem Ekzem Salben. In schweren Fällen kommen systemische Therapien zum Einsatz. Dazu zählen Biologika wie Dupilumab und Tralokinumab sowie JAK-Inhibitoren wie Baricitinib, Upadacitinib oder Abrocitinib. Der Interleukin(IL)-4/13-Inhibitor Dupilumab ist bereits ab 6 Jahren zugelassen. Hinsichtlich Nebenwirkungen muss mit Konjunktivitis, Lokalreaktionen an der Injektionsstelle und mit Hautinfektionen gerechnet werden.
Urtikaria ab 6 Wochen Dauer abklären
Jede 4. Person erleidet 1-mal im Leben eine Urtikaria. Klinisch zeigt sich dies als eine Schwellung der Epidermis mit Reflexerythem und Pruritus. Fast die Hälfte der Betroffenen entwickelt zusätzlich ein Angioödem, was als schmerzhaftes Ödem der Dermis und Subkutis in Erscheinung tritt. Eine akute Urtikaria kann bis 6 Wochen andauern, heilt aber in der Regel bereits nach 1 bis 2 Tagen ab. Bei einer Dauer von > 6 Wochen handelt es sich um eine chronische Urtikaria, die entweder spontaner oder induzierter Natur ist. Beispiele für Letzteres sind Kälte-, Wärme-, Druck-, cholinerge, aquagene sowie Kontakturtikaria. Abzugrenzen ist die chronisch spontane Urtikaria gegen autoimmune Erkrankungen wie beispielsweise der systemische
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Cheilitis
Dennie-Morgan-Falte (doppelte Lidfalte)
Pityriasis alba
Ichthyosis Hand
Weisser Dermografismus
Abbildung 1: Atopisches Ekzem – Stigmata (© Stadtspital Zürich)
Hertoghe-Zeichen
Plaque-Psoriasis
Psoriasis guttata
Erythrodermie
Psoriasis inversa Abbildung 2: Klinik Psoriasis (© Stadtspital Zürich)
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Pustulöse Psoriasis
BERICHT
Lupus erythematodes, das bullöse Pemphigoid oder rheumatische Erkrankungen. Aber auch ein autoinflammatorisches Syndrom oder eine zusätzlich aufgetretene Eosinophile sollten abgeklärt werden. Bei einer akuten Urtikaria ist laut Stillhard keine weitere Diagnostik notwendig. Hier reicht eine Behandlung mit einem Antihistaminikum bis zur Abheilung. Bei einer chronischen Urtikaria dagegen sollten ein Blutbild angefertigt sowie Entzündungsmarker wie CRP und Blutsenkungsgeschwindigkeit, IgG-anti-TPO und Gesamt-IgE bestimmt werden. Persistieren die Quaddeln > 24 Stunden, sollte im Hinblick auf eine Urtikariavaskulitis eine Hautbiopsie entnommen werden. Bei Angioödemen ist auch an ein hereditäres oder an ein ACE-Hemmer-induziertes Angioödem zu denken. Die Therapie der chronischen Urtikaria besteht gemäss den S3-Leitlinien zur Urtikaria (2) aus Antihistaminika in den ersten 2 bis 4 Wochen. Dazu eignen sich laut der Referentin zum Beispiel Bilastin®, Cetirizin®, Desloratadin®, Fexofenadin® und Levocetirizin®. Je nach Bedarf kann die Dosis bis auf das 4-Fache erhöht werden. Sollte die Wirkung nicht ausreichen, kann zusätzlich Omalizumab eingesetzt werden (2). Dabei kann die Dosis bei Bedarf erhöht oder das Intervall verkürzt werden. Bei unzureichender Wirkung nach 6 Monaten oder auch früher kann eine Therapie mit Ciclosporin evaluiert werden.
Psoriasis: An Gelenke denken
Die Schuppenflechte ist eine häufige, chronisch-systemische entzündliche Hauterkrankung. Die Prävalenz in der Schweiz beträgt zirka 2,5 Prozent. Häufig im Zusammenhang mit Psoriasis treten Komorbiditäten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das metabolische Syndrom oder psychische Erkrankungen auf. Ein Psoriasisschub kann exogen getriggert werden, beispielsweise durch das Köbner-Phänomen (isomorpher Reizeffekt), durch Medikamente wie Lithium, Chloroquin oder Interferon sowie durch Infektion wie beispielsweise mit Streptokokken. Psoriasis ist eine Systemerkrankung, bei der Gelenke (Psoriasisarthritis, 5–20%) und auch die Nägel (30–50%) betroffen sein können. Klinisch kann sich eine Psoriasis in verschiedenen Formen zeigen: als Plaquepsoriasis, Psoriasis guttata, Erythrodermie, Psoriasis inversa und pustulöse Psoriasis (Abbildung 2).
Die Therapie orientiert sich nach dem Schweregrad der Er-
krankung. Die Basistherapie besteht aus Keratolyse (z. B. mit
salicylsäurehaltigen Externa) und der Rückfettung (z. B. Ex-
cipial® ULL) der Haut. Bei milder Ausprägung kommen to-
pische Steroide, Calcineurininhibitoren und Vitamin-D3-
Analoga wie Calcipotriol und Calcitriol (Silkis®) zum Ein-
satz. Reicht das nicht aus, kann zusätzlich eine Lichttherapie
mit PUVA (insbesondere bei Befall der Hände/Füsse) oder
UVBnb die Abheilung fördern. Bei schweren Formen sind
gemäss den europäischen Guidelines (3) systemische Thera-
pien mit Biologika, Methotrexat, Apremilast oder in zweiter
Linie Fumarsäure, Acitretin und Ciclosporin indiziert.
Biologika können in der Therapie der Psoriasis laut Stillhard
ab einem Psoriasis Area Severity Index (PASI) > 10 und einer
erfolglosen Vortherapie eingesetzt werden. Dabei kommen
beispielsweise IL-23-Hemmer (Risankizumab, Guselkumab,
Tildrakizumab), IL-17-Hemmer (Secukinumab, Ixekinumab,
Bimekizumab), IL-12/23-Hemmer (Ustekinumab) und TNF-
alpha-Hemmer (Etanercept, Infliximab, Adalimumab, Cer-
tolizumab) zum Einsatz.
Bevor eine Therapie mit Biologika begonnen wird, sollte je-
doch der Impfstatus des Patienten auf Impflücken überprüft
werden. Denn Lebendimpfstoffe dürfen während einer im-
munsupprimierenden Therapie nicht verabreicht werden.
Wichtig sind ausserdem Impfungen mit inaktivierten Impf-
stoffen gegen Influenza (Efluelda®, Fluarix® Tetra, Vaxigrip-
Tetra®), gegen Pneumokokken (Prevenar®) und gegen
Herpes zoster (Shingrix®) zu evaluieren, um möglichen The-
rapiekomplikationen wie erhöhter Infektanfälligkeit vorzu-
beugen.
s
Valérie Herzog
Quelle: «The big three in der Dermatologie – Neurodermitis, Urtikaria, Psoriasis», Forum Medizin Fortbildung (FOMF) Allgemeine Innere Medizin, 17.11.23 in Zürich
Referenzen: 1. Wollenberg A et al.: European guideline (EuroGuiDerm) on atopic ec-
zema: part I - systemic therapy. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022;36(9): 1409-1431. doi:10.1111/jdv.18345. 2. Zuberbier T et al.: S3-Leitlinie Urtikaria. Teil 2: Therapie der Urtikaria deutschsprachige Adaption der internationalen S3-Leitlinie. J Dtsch Dermatol Ges. 2023;21(2):202-216. doi:10.1111/ddg.14932_g. 3. Nast A et al.: EuroGuiDerm guideline on the systemic treatment of psoriasis vulgaris - Part 2: specific clinical and comorbid situations. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2021;35(2):281-317. doi:10.1111/jdv.16926
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