Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Es ist vorbei: Die Schweiz zahlt bald all ihren wohlhabenden wie auch der Minderheit der finanziell schlechter gestellten Rentner ab zirka 2027 ein 13. Altersgehalt aus. Eine Art Gratifikation für Wohlverhalten. Oder einfach ein Zugeständnis an die Stimmendenüberlegenheit. Mindestens das eine der beiden von den Werbern pro und contra konsequent depressiv in Szene gesetzten Rentnerpaare wird jetzt lachen. Hoffentlich. Jenes ältere Paar jedenfalls, das so desillusioniert von der Plakatwand in die Welt schaute und unter dem Titel «Die AHV reicht nicht» stumm klönte: «Wir brauchen eine 13. AHV-Rente!», dürfte sich freuen. Noch. Das genauso bedröppelt dreinschauende Paar hingegen, das unter der Überschrift «AHV ruinieren?» beteuerte: «Es verträgt keine 13. AHVRente», dürfte jetzt in Melancholie versinken und darüber nachsinnen, wer auf welchem Weg wohl die 4 Milliarden bezahlen soll. Was nur haben sich die Werber gedacht, als sie diese trüben Rentnertassen in Szene setzten? Dabei feiern sie doch sonst so fröhlich, die Boomer. Reisen viel, essen gut, hüten begeistert (na ja, nicht immer) die Enkel und vererben später (für viele zu spät, nämlich oft erst mit 90) Häuser und Wertpapiere. Und sogar jenen, die von AHV, PK-Rente und Erspartem gar nicht sausig leben können (es sind nicht wenige), geht es in der Regel dank grosszügiger Ergänzungsleistungen ordentlich gut. Es gibt sogar Leute, deren Sparkontoguthaben erst gestiegen ist, seit sie EL beziehen. Kurz: Warum die Rentner pro genau wie jene contra dermassen trist auf uns niederstieren mussten – es erschliesst sich einem auch nachträglich nicht. Aber wer weiss, vielleicht kneifte ja bei beiden die (unsichtbare) Koxarthrose, oder der (unsichtbare) Dackel hatte grad Durchfall. Die Werber werden sich schon was gedacht haben. Ob mehr als Alt-Bundesrat Ogi, dem sein offener Brief gegen die 13. AHV-Rente nach geschlagener und verlorener Schlacht (na ja, war eher ein Schlächt-
chen) nachträglich schüli leid tut, weiss man allerdings nicht.
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Und hier noch der Ratschlag eines bereits in mittlerem Alter zynisch gewordenen Kollegen: Am besten sparen Sie CO2, indem Sie auf die Malediven fliegen, aber die Kinder zuhause lassen …
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Gelesen: «Es begann als interessantes Experiment und endete wichtigtuerisch, besserwisserisch, regulierungssüchtig, unlogisch, albern, kindisch, unnötig, läppisch und unverständlich. Die Rede ist von ‹Genderdeutsch›.»
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Um die 35, schrieb Susan Sontag, erinnere das eigene Alter daran, dass man dem Lebensende bereits näher sein könnte als dem Lebensbeginn. Das schrieb sie 1972, vor gut 50 Jahren. Damals stimmte das ungefähr. Heute hingegen beträgt die Lebenserwartung einer 35-jährigen Frau fast 90 Jahre. Sie hat also mit grosser Wahrscheinlichkeit noch deutlich mehr als 50 Jahre vor sich. Wie sich die Welt doch verändert hat! Damit ist allerdings nicht gesagt, dass das Altwerden (der Frau), wie Susan Sontag ebenfalls sagt, nicht eine Zumutung ist.
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Onkel Hugo muss es wissen, er kennt beides: «Mit dem Verliebtsein ist’s wie mit einer Gürtelrose … Irgendwann ist es vorbei.»
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Die Sprache verändert sich. Keine Angst, die Rede ist nicht schon wieder von Gendersternchen und ähnlichen Kindereien, auch nicht von der Platten-
bauästhetik der substantivierten Partizipien, sondern von Neuschöpfungen aus dem Dating-Milieu. Und als moderner Doc wär’s vielleicht ganz gut, man kennte sich da ein bisschen aus. Da ist etwa die Rede von «orbiting», einer Art Präsentsein in den Social Media, ohne wirklich erreichbar zu sein, und «haunting» (eine Art Stalking, beschränkt auf Social Media), «cuffing» (an sich binden), «cushioning» (mehrere Eisen im Feuer haben) oder «social cocooning». Kennen Sie alles nicht? Dann wissen Sie auch nicht, was «ghosten» und «caspering» bedeuten. «Ghosten»: eine Freundschaft beenden ohne Nachricht (verschwinden wie ein Geist). Sind die Männer (seltener Frauen) eher höflich, aber dafür feige und verlassen ihre Freundin/ihren Freund «step by step», am Ende noch mit dem «Trost», sie/er habe jemand Besseren verdient, dann üben sie sich im «caspering» (Casper, ein Geist aus einer Comicserie). Vielleicht taucht der Freund aber auch ab, ohne Mail und ohne Anruf, ploppt nach einiger Zeit wieder auf und tut so, als sei nichts geschehen. Das nennt man dann «submarining». «Breadcrumbing» bedeutet «an der Nase herumführen» (wegen der Brotkrümel in «Hänsel und Gretel»). «Mosting» schliesslich ist eine Kombination aus «love bombing» (mit Liebe überschütten) und anschliessendem «ghosting». Sie sehen, alles alte Gewohnheiten – nur versehen mit modischen Namen aus dem Tiktok-Milieu.
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Die Richtigstellung des Tages: Der Spruch «Kein Bier vor vier» bezieht sich aufs Alter, nicht auf die Tageszeit.
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Und das meint Walti: Seit ich älter bin, meinen die Leute, wenn ich eine Kniebeuge mache, ich sei am Nüsseknacken.
Richard Altorfer
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