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FORTBILDUNG
Reduktion des Antibiotikaverbrauchs
Pflanzliche Arzneimittel als Antibiotikaalternative in der Arztpraxis?
Der übermässige Einsatz von Antibiotika und die daraus resultierende Zunahme von Antibiotikaresistenzen stellen eine wachsende Herausforderung dar. Durch eine detaillierte Betrachtung verschiedener Pflanzen wie zum Beispiel Echinacea, Pelargonium und Thymian, die in Studien ihre Wirksamkeit bei Atemwegsinfektionen bewiesen haben, wird aufgezeigt, wie pflanzliche Arzneimittel zur Reduktion des Antibiotikaverbrauchs beitragen können.
Barbara Zürcher
In allgemein- und kinderärztlichen Praxen trifft man häufig auf infektiöse Erkrankungen. Infektionen der oberen und unteren Atemwege wie Nasennebenhöhlen-, Mittelohr- und Mandelentzündungen sowie Bronchitiden und Lungenentzündungen sind das tägliche Brot nicht nur niedergelassener Ärzte, sondern auch im Notfall und in Polikliniken. Besonders betroffen sind Klein- und Schulkinder, deren Immunsystem noch nicht ausgereift ist; dieses entwickelt sich erst mit wiederholter Exposition gegenüber Krankheitserregern in Kindergarten und Schule. Bei Mittelohr- und Mandelentzündungen werden häufig Antibiotika verschrieben, mit schädigendem Einfluss auf die Darmflora (1). Gemäss dem letzten Bericht über Antibiotikaresistenzen in der Schweiz ist die Hälfte der verschriebenen Antibiotika jedoch nicht indiziert (2). Zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen wurde vom Bund eine nationale Strategie entwickelt (3, 4).
MERKSÄTZE
� Aus gesundheitlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Sicht ist eine geringere Antibiotikaverschreibung wichtig und zwingend.
� Therapeutische Alternativen sind notwendig.
� Arzneipflanzen können das Immunsystem modulieren sowie die Häufigkeit bakterieller und viraler Infektionen vermindern und haben eine sehr gute Verträglichkeit.
� Pflanzliche Arzneimittel können durchaus zur Antibiotikaprävention, als Antibiotikaalternative und in Kombinationstherapie mit Antibiotika verwendet werden.
� Je früher die Anwendung begonnen wird, desto besser ist die Wirkung und desto geringer die Komplikationsrate.
Ökotoxizität von Antibiotika
Bis zu 90 Prozent der eingenommenen Antibiotika werden von Mensch und Tier ausgeschieden. Da diese in normalen Kläranlagen nicht vollständig eliminiert werden, gelangen sie in die Umwelt und verursachen dort genetische Resistenzen in Umweltmikroorganismen (4). Diese Antibiotikaresistenzgene können auf pathogene Bakterien übertragen werden und ein grosses gesundheitliches Risiko darstellen. Ein Bericht über Antibiotikaresistenzen im Wasserkreislauf zeigt eine deutliche Erhöhung der Konzentration der Antibiotikaresistenzgene (Tetracyclin, Sulfamide und Erythromycin) in Gewässern flussabwärts von Kläranlagen (5). Die kostenintensive und recht schleppende Modernisierung unserer Kläranlagen, die nur einen Teil der Mikroverunreinigung in Gewässern filtern können, reicht leider nicht aus, um den ökologischen Einfluss bestimmter Medikamente kurzfristig und adäquat zu vermindern. Daher muss bereits im Vorfeld gehandelt werden, indem weniger Antibiotika, gezielt und nur dann, wenn wirklich notwendig, eingesetzt werden. Ärztinnen und Ärzte müssen sich verantwortungsvoll der Ökotoxizität der von ihnen verschriebenen Medikamente bewusst werden, die einen Einfluss auf das Leben in Gewässern wie auf die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen hat.
Antimikrobielle und immunmodulierende Arzneipflanzen
Mit dem Einsatz pflanzlicher Arzneimittel, die keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf die Verschmutzung der Gewässer haben, können Patienten bei Infektionen wirksam behandelt werden – ohne das Risiko der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Viele Phytopharmaka werden von der Grundversicherung oder Zusatzversicherung übernommen. Im Folgenden wird eine Auswahl antimikrobieller und immunmodulierender Arzneipflanzen vorgestellt und ihre Wirksamkeit anhand einiger Studien gezeigt.
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Sonnenhut, Echinacea purpurea (L.) Moench, Echinacea angustifolia DC, Echinacea Pallida Nutt (Asteraceae) Monografien: HMPC, ESCOP und WHO
Diese Pflanze der Familie der Asteraceae (Korbblütler) war bereits bei den Indianern in Nordamerika bekannt und wurde extern zur Behandlung von Verletzungen und Verbrennungen sowie intern bei Schmerzen, Husten und Erkältungen angewandt (7, 8). Die aktiven Wirkstoffe sind Polysaccharide, Phenolderivate und vor allem verschiedene Alkylamide, die für ihre immunmodulierende Aktivität verantwortlich sind (7–9). Verschiedene Präparate auf Basis von Echinacea purpurea sind in der Schweiz und in Europa zur Vorbeugung und Behandlung von Erkältungserkrankungen für Kinder und Erwachsene zugelassen. Die alkoholischen Frischpflanzenextrakte hemmen ein grosses Spektrum an respiratorischen Viren, besitzen eine entzündungshemmende Wirkung und unterstützen die Immunantwort, wie zum Beispiel Interferon-γ. Die Behandlung sollte nicht länger als acht Wochen dauern und dann ein bis zwei Wochen pausiert werden (10, 11). Die letzten Präventionsstudien bestätigten die antivirale Wirkung beim Menschen unter anderem für Infektionen mit Coronaviren wie SARS-CoV-2 (12). Bei Kindern konnte nach einer 4-monatigen präventiven Behandlung ein Rückgang des Antibiotikaverbrauchs um 72,7 Prozent festgestellt werden (13). In der «Antibioresistenz»-Strategie zur Verminderung des Antibiotikaeinsatzes nimmt Echinacea purpurea daher einen wichtigen Platz in der Infektionsprävention und zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes vor allem beim Kind ein.
Foto: Daniela Britti/Pixabay
Pelargonium, auch Kapland-Geranium genannt, kommt ursprünglich aus Afrika. Die Wurzeln dieser Pflanze werden unter dem Namen Umckaloabo von den Ureinwohnern zur Behandlung von Atemwegsinfektionen, Fieber und Tuberkulose eingesetzt (7–9). Heutzutage wird Pelargonium im grossen Stil in Südafrika wegen seiner Wirkstoffe, insbesondere Gerbstoffe, Phenolsäuren und Kumarine, angebaut (7), die antivirale, antibakterielle, schleimlösende, entzündungshemmende und immunstimulierende Eigenschaften besitzen (8). Der alkoholische Flüssigextrakt der Pelargoniumwurzel kann ab 2 Jahren angewendet werden (9). In zahlreichen Studien hat der Extrakt eine signifikante Verbesserung nicht nur des Bronchitis Severity Score gegenüber Plazebo gezeigt, sondern auch der Behandlung von Mandelentzündungen und Rhinosinusitis bei Kindern unter 6 Jahren (14). In einer vergleichenden Studie bezüglich der Behandlung der akuten bakteriellen Rhinosinusitis zeigte die Gruppe, die mit dem getrockneten Pelargoniumwurzelextrakt behandelt wurde, allgemein bessere klinische Ergebnisse und antimikrobielle Wirkung als die Gruppe, die mit Amoxicillin behandelt wurde (15). Eine neuere Studie konnte in vitro die immunmodulierende Wirkung auf mit SARS-CoV-2-infizierte menschliche Lungenzellen zeigen sowie die Reduktion bestimmter proinflammatorischer Zytokine (CCL5, IL-6, IL-1B) (16).
Efeu, Hedera helix (Araliaceae) Monografien: HMPC, ESCOP
Pelargonium, Pelargonium sidoides DC. (Gerianaceae) Monografien: HMPC, ESCOP
Foto: emer1940/iStock Foto: Ivana Djudic/Unsplash
Die getrockneten Blätter dieser überall in Europa vorkommenden Pflanze wurden wegen ihrer therapeutischen Wirkung vor allem bei Erkrankungen der Bronchien, wie zum Beispiel schleimigem Husten, eingesetzt (7). Wirkstoffe sind Triterpensaponine (2,5–6%, Hederacosid), Flavonoide, ätherische Öle und Kaffeesäurederivate (7–9). Saponine wirken als Spasmolytika und Expektoranzien, indem sie einen Schaum im wässrigen Milieu formen und das Bronchialsekret verflüssigen und helfen, es abzuhusten (7). Efeu besitzt neben der auswurffördernden und sekretolytischen Wirkung (mit einer Verbesserung der mukoziliären Clearance)
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auch bronchospasmolytische Eigenschaften (17). Multizentrische Studien mit fast 10 000 Kindern (ab 1 Jahr) und Erwachsenen zur Behandlung mit Efeusirup (18, 19) haben eine bessere Wirkung als Acetylcystein und eine sehr gute Verträglichkeit gezeigt (nur 2,1% Nebenwirkungen, davon 1,5% gastrointestinal).
Thymian, Thymus vulgaris L./Thymus serpyllum (L.) Fries (Lamiaceae) Monografien für Thymus vulgaris: HMPC, ESCOP Es gibt verschiedene Pflanzen der Gattung Thymus, die sich sehr ähneln, inhaltlich jedoch eine unterschiedliche Zusammensetzung der ätherischen Öle aufweisen (7). Den Wilden Thymian (Thymus serpyllum) findet man bis in einer Höhe von 2000 Metern und fast überall in Europa. Bereits die Ägypter und Etrusker verwendeten ihn als Medizinalpflanze. Als Gewürz für verschiedene Fleischgerichte hilft er bei der Verdauung (7, 9).
in Teemischungen in der Pharmacopoe helvetica. Als Arzneimittelspezialität wird der Extrakt der Schlüsselblumenwurzel mit anderen Pflanzen wie Thymian zur Behandlung der Bronchitis in Tablettenform ab 12 Jahren kombiniert oder in Form von Tropfen oder Sirup mit Gelbem Enzian, Sauerampfer, Eisenkraut und Schwarzem Holunder zur Behandlung von Schnupfen und Sinusitis ab 2 Jahren eingesetzt. Letzteres Präparat hat einen therapeutischen Nutzen von 3 Tagen bei Rhinosinusitis bei Kindern gezeigt und konnte eine Antibiotikabehandlung um das 1,8-Fache verringern (21).
Salbei, Salvia officinalis L., Salvia triloba (Lamiaceae) Monografien für Salvia officinalis: HMPC, ESCOP
Anja Junghans/Unsplash
Wirkstoffe sind vor allem ätherische Öle, die Monoterpene (Thymol und Carvacrol) enthalten und als Antiseptikum antibakterielle, antimykotische und auswurffördernde Eigenschaften haben, sowie Flavonoide, die eine spasmolytische Wirkung besitzen (8). Blätter und Blüten werden als Tee verwendet (1 bis 4 Jahre: 0,3–1 g; 4 bis 10 Jahre: 0,5–1,3 g; 10 bis 16 Jahre: 1–2 g) (9). In verschiedenen europäischen Ländern gibt es Kombinationspräparate mit Efeu als Sirup ab 6 Jahren oder in Tablettenform mit Schlüsselblumenwurzel ab 12 Jahren. Studien zur Therapie bei Husten haben eine signifikante Verbesserung des Hustens im Vergleich zu Acetylcystein bei 82,7 Prozent mit einer sehr guten Verträglichkeit ohne Nebenwirkungen gezeigt (20).
Schlüsselblume, Primula veris L. (Primulaceae) Monografien: HMPC, ESCOP Diese hübsche Frühlingspflanze mit gelben Blüten kann man überall in Europa bis 2000 Meter Höhe bevorzugt auf Kalkböden finden. Traditionell wird sie zur Behandlung von Schmerzen, Erkältung, Husten und Rheuma eingesetzt. Die ESCOP erkennt die Wirksamkeit der Schlüsselblumenwurzel bei Husten und chronischen Bronchitiden an (7). Die Wurzel der Schlüsselblume enthält 3 bis 12 Prozent Triterpensaponine. Die Blüten enthalten nur kleine Mengen an Saponinen, jedoch mehr Flavonoide. Man findet ebenfalls Carotinoide und einige ätherische Öle (8, 9). Für Kinder mit Husten oder Bronchitis werden eher die getrockneten Blüten als Tee eingesetzt (0 bis 1 Jahr: 0,5–1 g; 1 bis 4 Jahre: 1–2 g; 4 bis 10 Jahre: 2–3 g; 10 bis 16 Jahre: 2–4 g) (9). Man findet sie auch
Bereits vor 4000 Jahren in Ägypten eingesetzt und im Papyrus Ebers (1500 v. Chr.) beschrieben, hat diese aus dem Mittelmeergebiet stammende Pflanze eine lange Geschichte in der Medizin. Sie diente zur Behandlung bei Unfruchtbarkeit, Fieber, Husten, Neuralgien und sogar zur Einbalsamierung der Pharaonen (7, 9). Die Wirkstoffe des Salbeis sind vor allem Gerb- und Bitterstoffe, Flavonoide, Diterpene (Carnosol) und Phenolderivate (Rosmarinsäure). Sie beinhalten auch 1 bis 2,5 Prozent ätherische Öle wie Thujon, 1,8-Cineol und Borneol (8, 9). Mit seiner antibakteriellen, antimykotischen, antiviralen und antiseptischen Wirkung wird er vor allem lokal bei Erkrankungen der Mundhöhle (Gingivitis und Stomatitis) sowie Rachenentzündung verwendet (7, 9). Hierfür können Mundspülungen mit Salbeitee mehrere Male am Tag (1 bis 4 Jahre: 1–3 g; 4 bis 10 Jahre: 3–4 g; 10 bis 16 Jahre: 4–6 g/Tag) oder mit dem ätherischen Öl in 100 ml Wasser (ab 4 Jahren: 0,1–0,2 g; 10 bis 16 Jahre: 0,1–0,3 g/Tag) durchgeführt werden (9). Eine erst kürzlich publizierte In-vitround In-vivo-Studie konnte die Wirkung von Salvia officinalis bezüglich der Hemmung des bakteriellen Biofilms im Mund-
Foto: Wolfgang Eckert/Pixabay
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bereich bestätigen (22). Nach den letzten Empfehlungen zur Behandlung einer Streptokokkenangina, die von einer sofortigen Antibiotikabehandlung abraten, ist eine lokale Behandlung mit einem Echinacea/Salbei-Halsspray durchaus sinnvoll, das in Bezug auf Halsschmerzen genauso wirksam ist wie ein Chlorhexidin/Lidocain-Spray, jedoch mit zusätzlich antimikrobieller und entzündungshemmender Wirkung (23).
Meerrettich, Armoracia rusticana (Brassicaceae)
Foto: Orest Lyzhechka/iStock
Auch diese Wurzel wurde im Papyrus Ebers beschrieben und
wird nicht nur für ihre heilenden, sondern auch für ihre ku-
linarischen Eigenschaften verwendet. Reich an Vitamin C,
enthält die frische Wurzel auch Glucosinolate, die sich dank
des Enzyms Myrosinase in aktive Iso-Thiocyanate verwan-
deln können (7, 9). Meerrettich wird wegen seiner antibak-
teriellen und auswurffördernden Wirkung bei Bronchitis und
Sinusitis angewendet. Eine Zubereitung aus Meerrettichwur-
zel und Kapuzinerkressenblüten (Tropaeolum majus L.), die
ebenfalls Glucosinolate enthalten, kann bei Kindern ab 6
Jahren angewendet werden.
Allerdings beinhaltet die Dosisempfehlung die Gabe sehr vie-
ler Tabletten: 3-mal 2 bis 4 Tabletten zwischen 6 und 12
Jahren und 3-mal 4 bis 5 Tabletten ab 12 Jahren täglich. Die
Behandlung einer Blasenentzündung ist ab 18 Jahren mit
diesem Kombinationspräparat möglich. Eine prospektive
Studie mit über 1600 Patienten mit Sinusitis, Bronchitis oder
Blasenentzündung konnte eine vergleichbare Wirkung von
Meerrettich/Kapuzinerkresse und einem Standardantibioti-
kum zeigen (Symptomverminderung bei Sinusitis: 81,3 vs.
84,6%; Bronchitis: 78,3 vs. 80,3%; Blasenentzündung: 81,2
vs. 87,9%) (24).
s
Dr. med. Barbara Zürcher Fachärztin für HNO, Phoniatrie, Pädaudiologie Rue de Flandres 7 2000 Neuchâtel E-Mail: bzuercher@orl-neuch.ch
Interessenkonflikte: Keine
Zusammenfassung anlässlich der Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP), 16.11.2023 in Baden.
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