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BERICHT
Schilddrüsenknoten
Heisse Knoten werden unterschätzt
In einem Jodmangelgebiet wie der Schweiz sind Schilddrüsenknoten weit verbreitet. Nach Angaben des Universitätsspitals Zürich hat etwa jeder zweite über 50-Jährige Schilddrüsenknoten (1). An einer Pressekonferenz der deutschen Nuklearmediziner ging es um die Frage, wie gefährlich diese Knoten sind und wann eine weitergehende Diagnostik notwendig ist.
In der Regel seien Schilddrüsenknoten harmlos, aber sie könnten auch gefährlich werden, sagte der Endokrinologe PD Dr. Stefan Karger, Leipzig. Schilddrüsenkrebs ist sehr selten zu befürchten. «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Knoten bösartig ist, liegt bei 1,1 Prozent», zitierte Karger aus einer im vergangenen Jahr publizierten Studie (2). Neben Schluckstörungen, die durch Schilddrüsenknoten verursacht würden, und, obgleich harmlos, individuell durchaus als belastend empfunden werden könnten, seien vor allem die sogenannten heissen Knoten eine häufig noch unterschätzte Gefahr.
Heisse Knoten als Risikofaktor
Bei den gutartigen Knoten unterscheidet man kalte (funktionslose), heisse (hyperfunktionelle) und normal funktionierende Schilddrüsenknoten. Zirka 20 Prozent der Schilddrüsenknoten sind sogenannte heisse Knoten, die vermehrt Schilddrüsenhormone ausschütten. Das führe zwar nicht immer zu einer Hyperthyreose, aber «ein Drittel davon löst eine latente oder sogar manifeste Schilddrüsenüberfunktion aus», sagte Karger. Ohne Therapie steigere bereits eine latente Hyperthyreose das Risiko für Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern, für kardiovaskuläre Ereignisse und
KURZ & BÜNDIG
� Schilddrüsenknoten sind meist nicht gefährlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Karzinom handelt, liegt gemäss einer neueren Studie bei 1,1 Prozent.
� Schilddrüsenknoten > 1 cm müssen szintigrafisch abgeklärt werden.
� Sogenannte heisse, hyperaktive Knoten können eine latente oder manifeste Hyperthyreose bewirken.
� Bereits eine latente Hyperthyreose erhöht das Risiko für Herzrhyhthmusstörungen, Vorhofflimmern, kardiovaskuläre Ereignisse und Herzinsuffizienz sowie für osteoporotische Wirbel- und Schenkelhalsfrakturen.
Herzinsuffizienz (3, 4) sowie für osteoporotische Wirbel- und Schenkelhalsfrakturen (5). Folgende Laborparameter definieren eine latente oder manifeste Hyperthyreose: s TSH erniedrigt (im Allgemeinen gilt < 0,4 mIU/l als Grenzwert), fT3 und fT4 normal: latente Hyperthyreose s TSH erniedrigt oder nicht nachweisbar, fT3 und fT4 er- höht: manifeste Hyperthyreose. Während bereits eine latente Hyperthyreose bei jüngeren Personen symptomatisch sein kann, spüren Ältere davon meist nichts. Man müsse ältere Patienten mit latenter Hyperthyreose in der Sprechstunde deshalb oft erst von der Notwendigkeit einer Therapie überzeugen, sagte Karger. Ein gutes Argument im Patientengespräch sei die Tatsache, dass bereits bei einer latenten Hyperthyreose das Risiko für Wirbelfrakturen um 50 Prozent und dasjenige für Schenkelhalsfrakturen um 30 Prozent erhöht sei (5). Eine latente Hyperthyreose kann auch eintreten, wenn Schilddrüsenhormon verordnet wurde und zu hoch dosiert ist. Bei jüngeren Patienten könne man dies, sofern keine Symptome auftreten, noch tolererieren, meinte Karger. Das gelte aber nicht für Patienten ab 60 Jahren. Schilddrüsenknoten abklären «Die meisten Knoten werden zufällig entdeckt, sind in der weiteren Abklärung unauffällig und verursachen keine Beschwerden», sagte der Nuklearmediziner Prof. Michael Kreißl, Universität Magdeburg. «Sie bedürfen keiner Therapie, nur einer Kontrolle.» Diese Kontrolle sei eine hausärztliche Aufgabe, sagte der Allgemeinmediziner Dr. med. Günter Stephan, Lehrbeauftragter und Sprecher der Leitungsgruppe am Institut für Hausärztliche Medizin an der Universität Giessen. Er selbst führe in seiner Praxis grundsätzlich bei allen Check-up-Patienten eine Ultraschalluntersuchung der Halsregion durch, wobei es nicht nur um die Schilddrüse, sondern vor allem um den Zustand der Karotiden gehe. Die Grösse der meisten unverdächtigen Schilddrüsenknoten bleibt im Lauf der Zeit konstant (6). Ob ein Knoten verdächtig sei, sei mit der nötigen Übung per Ultraschall relativ gut zu erkennen und anhand entsprechender Kriterien zu beur- 84 ARS MEDICI 4 | 2024 BERICHT teilen, sagte Stephan (s. Kasten S. 86). Entscheidend ist hierbei unter anderem die Grösse des Knotens. Ab einem Durchmesser von > 1 cm könne auch bei normalem TSH ein Adenom vorliegen. Patienten mit einem Schilddrüsenknoten > 1 cm werden grundsätzlich zur weiteren Abklärung (Szintigrafie) überwiesen. Bei kleineren Knoten, die eventuell verdächtig sein könnten, aber nicht dringend abklärungsbedürftig erscheinen, rät Stephan, den Patienten nach 2 bis 6 Monaten erneut zur Sonografie und zur körperlichen Untersuchung aufzubieten. Er betonte, dass nicht nur eine Sonografie, sondern immer auch eine komplette körperliche Untersuchung des Patienten stattfinden sollte. In dieser körperlichen Untersuchung solle neben der Schilddrüse (Grösse, Festigkeit) insbesondere auf das Herz-Kreislauf-System geachtet werden. Typische Symptome einer Hyperthyreose sind tachykarde Rhythmusstörungen und Vorhofflimmern. Unbedingt nach einem möglichen Vorhofflimmern zu fahnden, sei generell eine wichtige Aufgabe der Hausärzte, sagte Stephan. Um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen, könne bereits das sorgfältige Messen des Pulses richtungsweisend sein, weil bei Patienten mit Vorhofflimmern typischerweise eine Arrhythmie und unterschiedliche Pulsamplituden vorlägen. Im Allgemeinen gilt ein TSH-Grenzwert von < 0,4 mIU/l als Anzeichen einer Hyperthyreose. Der Allgemeinmediziner Stephan sieht diesen Grenzwert eher flexibel. Er würde bei einer älteren Patientin mit Vorhofflimmern und einem TSH von 0,6 mUI/l nicht zögern: «Vielleicht hat sie einen heissen Knoten. Oder, falls sie Thyroxin bekommt, ist das ein Grund, die Dosis zu senken.» Heisse Knoten aufspüren Man könne im Ultraschallbild nie ausschliessen, ob ein Schilddrüsenknoten nicht doch maligne sei. Deshalb sei bei Schilddrüsenknoten > 1 cm eine Szintigrafie erforderlich, sagte auch die Nuklearmedizinerin Dr. med. Gesche Wieser, Freiburg im Breisgau. Ausserdem könne man nur in der Schilddrüsenszintigrafie heisse Knoten sicher identifizieren, und dies sogar zu einem sehr frühen Zeitpunkt, noch bevor sich Veränderungen bei den Laborwerten abzeichneten. Die Mindestgrösse eines Knotens von > 1 cm werde durch die bildgebende Auflösung bestimmt; kleinere Knoten seien nicht sicher darstellbar. Bei der Szintigrafie wird eine radioaktive, Gammastrahlung emittierende Substanz i. v. appliziert, die sich in der Schilddrüse je nach Stoffwechselaktivität anreichert, sodass zwischen kalten und heissen Knoten unterschieden werden kann. Die heissen Knoten seien fast immer gutartig, sagte Wieser. Die Strahlenbelastung bei einer Schilddrüsenszintigrafie stufte sie als eher niedrig ein. Sie liege bei etwa 0,9 Millisievert, während es bei einem Thorax-CT 6 bis 10 Millisievert seien. Bei krebsverdächtigen Knoten kann eine Feinnadelpunktion erforderlich sein. Diese sei unkompliziert durchführbar und kaum schmerzhaft, sagte Wieser. Allerdings liefert die Feinnadelpunktion nur einzelne Zellen und sei keine Biopsie im eigentlichen Sinn. Insofern könne sich bei grenzwertigen histologischen Befunden die Frage stellen, ob eine offene Entnahme in einer Operation notwendig sei, fügte sie hinzu.
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BERICHT
Kasten:
Sonografische Beurteilung von Schilddrüsenknoten mit TIRADS
Das TIRADS(thyreoid imaging reporting and database system)-Verfahren erlaubt eine Risikobeurteilung sonografisch entdeckter Schilddrüsenknoten. Es gibt verschiedene TIRADS-Skalen; die beiden neusten sind TI-RADS™ des American College of Radiology (ACR) und EU-TIRADS der European Thyroid Association. Beide umfassen 5 Klassifikationsstufen für das Malignitätsrisiko sowie Empfehlungen, bei welchen Knoten eine Feinnadelbiopsie durchgeführt werden sollte.
EU-TIRADS
Guideline: www.rosenfluh.ch/qr/eu-tirads-publication Russ G: European Thyroid Association Guidelines for Ultrasound Malignancy Risk Stratification of Thyroid Nodules in Adults: The EU-TIRADS. Eur Thyroid J. 2017;6(5):225-237.
EU-TIRADS-Rechner: www.rosenfluh.ch/qr/eu-tirads-rechner
ACR TI-RADS™ Weitere Informationen: www.rosenfluh.ch/qr/acr-tirads Rechner: http://tiradscalculator.com/
ACR TI-RADS™-Rechner auf Deutsch: www.rosenfluh.ch/qr/acr-tirads-rechner
gesamte Schilddrüse entfernt wird, was die Notwendigkeit
einer lebenslangen Einnahme von Schilddrüsenhormon nach
sich zieht. Für ausgewiesene Zentren nannte Kreißl folgende
Komplikationsraten bei kompletter Entfernung der Schild-
drüse: zirka 2 Prozent dauerhafte Nebenschilddrüsenunter-
funktion, etwa 4 bis 6 Prozent zeitweilige Stimmlippenläh-
mung und 0,3 Prozent dauerhafte einseitige Stimmbandläh-
mung. Bei nur einseitiger Entfernung der Schilddrüse trete
eine dauerhafte Nebenschilddrüsenunterfunktion nie auf,
und die einseitige Stimmlippenlähmung sei etwas seltener
(ca. 2% zeitweilig, ca. 0,2% dauerhaft).
Bei der nicht invasiven Radiojodbehandlung wird eine indi-
viduell bemessene Dosis radioaktives Jod mit einer Kapsel
geschluckt. Danach folgt ein mehrtägiger stationärer Aufent-
halt, wobei der Patient die Station nicht verlassen darf. Das
radioaktive Jod reichert sich in der Schilddrüse an. Der Effekt
dieser «Bestrahlung von innen» zeigt sich in den ersten Mo-
naten nach der Behandlung. Die Radiojodbehandlung sei
sehr gut verträglich, und sie führe bei Strumen zu einer deut-
lichen Volumenreduktion von meist über 50 Prozent, so
Kreißl. Heisse Knoten verringern ihr Volumen um 50 bis 90
Prozent. Oft sei die Schilddrüsenfunktion nach der Behand-
lung normal, nur manchmal sei die Gabe von Schilddrüsen-
hormon notwendig, wobei ein kompletter Ersatz nur sehr
selten erforderlich sei.
Zusätzlich stehen bei gutartigen Knoten lokalablative Ver-
fahren zur Verfügung, wie die Radiofrequenz-, die Mikro-
wellen- oder die Laserablation sowie die Zerstörung der
Knoten durch hoch fokussierten Ultraschall. Langzeitergeb-
nisse zu diesen Verfahren bei heissen Knoten stehen noch aus.
«Erste Daten zeigen aber, dass die Radiojodtherapie den lo-
kalablativen Verfahren bei heissen Knoten überlegen ist»,
sagte Kreißl.
s
Renate Bonifer
Quellen: Online-Pressekonferenz und Pressemitteilung des Berufsverbands Deutscher Nuklearmediziner e.V. (BDN) vom 18. April 2023.
Therapeutische Optionen bei heissen Knoten
Viele Knoten, insbesondere diejenigen, die keine lokalen Beschwerden verursachten, nicht heiss seien und im Ultraschall keine auffällige Erscheinung hätten, bedürften keiner Therapie, so Kreißl. Für Patienten mit heissen Knoten kommen eine Operation, eine Radiojodtherapie oder lokalablative Verfahren infrage. Wie viel Schilddrüsengewebe bei einer Operation entfernt wird, hängt vom Befund ab. Oft wird die betroffene Seite komplett entfernt, sodass bei beidseitigen Knoten häufig die
Referenzen: 1. https://www.usz.ch/krankheit/schilddruesenknoten/, abgerufen am 7.
Juni 2023. 2. Grussendorf M et al.: Malignancy rates in thyroid nodules: a long-term
cohort study of 17,592 patients. Eur Thyroid J. 2022;11(4):e220027. 3. Gencer B et al.: Challenges in the Management of Atrial Fibrillation With
Subclinical Hyperthyroidism. Front Endocrinol (Lausanne). 2022;12:795492. 4. Selmer C et al.: Subclinical and overt thyroid dysfunction and risk of all-
cause mortality and cardiovascular events: a large population study. J Clin Endocrinol Metab. 2014;99(7):2372-2382. 5. Blum MR et al.: Subclinical thyroid dysfunction and fracture risk: a meta-analysis. JAMA. 2015;313(20):2055-2065. 6. Kiel S et al.: The course of thyroid nodules and thyroid volume over a time period of up to 10 years: a longitudinal analysis of a population-based cohort. Eur J Endocrinol. 2021;185(3):431-439.
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