Transkript
Schwangerschaft, Menopause, Alter
Lipidmanagement im Lebensverlauf
BERICHT
Prof. Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig informierte am virtuellen AGLA-UpdateMeeting 2023 über den Cholesterinspiegel im Verlauf des Lebens bei Frauen und Männern sowie über das Lipidmanagement in der Schwangerschaft, in der Menopause und im Alter.
Entgegen gängigen Annahmen sei die häufigste Todesursache bei Frauen nicht das Mammakarzinom, erklärte Laufs gleich zu Beginn. Die Wahrscheinlichkeit für eine Frau, an einer kardiovaskulären Komplikation aufgrund einer Arteriosklerose zu versterben, sei um den Faktor 16 höher. «Der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Plaques ist das Vorhandensein von LDL-Cholesterin. Ohne LDL-Cholesterin entsteht keine Plaque, und umgekehrt ist eine LDL-Cholesterin-Erhöhung allein bereits ausreichend für die PlaqueEntstehung, wie wir beispielsweise aus Studien zur familiären Hypercholesterinämie wissen», führte er weiter aus. Die kardiovaskuläre Schädigung korreliere mit der Höhe der Noxe und mit der Dauer der Exposition. «So wie wir schon seit langer Zeit beim Zigarettenrauchen von den ‹pack years› sprechen, sprechen wir auch von den Cholesterinjahren», erläuterte der Referent (1). Daraus ergebe sich allerdings auch die Chance, den Verlauf der Cholesterinspiegel durch rechtzeitiges Erkennen und Behandeln zu beeinflussen. Dies gelte besonders für junge Frauen mit einer familiären Hypercholesterinämie (FH), betonte der Referent.
Strategien zur Senkung des LDL-Cholesterins
Seit etwa 5 Jahren sind die LDL-Cholesterin-Zielwerte gleichgeblieben. Für Patienten mit sehr hohem Risiko, also solche mit manifester Atherosklerose, empfiehlt der Referent eine Senkung des LDL-Cholesterins auf unter 55 mg/dl beziehungsweise < 1,4 mmol/l. Dazu stehen drei orale Thera-
pieprinzipien zur Verfügung: Statine, Ezetimib und Bempedoinsäure. Analog zur Strategie bei Bluthochdruck und Diabetes wird insbesondere bei Patienten mit hohem Risiko und grossem Abstand zu den Zielwerten eine Kombination aus einem Statin plus Ezetimib (Ezetrol® und Generika) als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Wird damit keine ausreichende Wirkung erzielt, kommt Bempedoinsäure dazu. «Man behandelt mit Kombinationen aus diesen drei Medikamenten, und wenn das nicht ausreicht, stehen für besondere Fälle auch noch PCSK9-Hemmer zur Verfügung», erklärt Laufs (2).
Cholesterinspiegel bei Männern und Frauen
Intrauterin werden bei Menschen analog zu anderen Säugetieren sehr niedrige LDL-Werte unter 50 mg/dl beziehungsweise 1,29 mmol/l im Plasma gemessen (3). In der Kindheit steigen die LDL-Cholesterin-Werte dann an und sind bei Mädchen etwas höher als bei Knaben (4). Erst im mittleren Lebensalter ergeben sich grosse Unterschiede bezüglich des Gesamtcholesterinspiegels zwischen beiden Geschlechtern. Der altersbezogene Anstieg des Cholesterins erfolgt bei Männern im Alter von 40 bis 49 Jahren, und somit etwa 10 Jahre früher als bei Frauen. Bei Frauen erreichen die Werte allerdings ein höheres Plateau und bleiben auch dauerhaft höher. «Die Lebenszeitexposition gegenüber Cholesterin ist demzufolge insgesamt bei Frauen höher als bei Männern» (5), gab Laufs dem Publikum als TakeHome-Message mit auf den Weg.
KURZ & BÜNDIG
� LDL-Cholesterin ist der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Plaques.
� Die kardiovaskuläre Schädigung korreliert mit der Höhe der Cholesterinspiegel und der Dauer der Exposition.
� Ab dem mittleren Lebensalter unterscheiden sich die Cholesterinspiegel zwischen Männern und Frauen erheblich.
� Bei Frauen ist die Lebenszeitexposition gegenüber Cholesterin höher als bei Männern.
Menstruationszyklus und Schwangerschaft
Im Verlauf des Menstruationszyklus seien die Schwankungen der LDL-Cholesterin-Werte bei Frauen mit Normalwerten in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko wenig relevant (6), so Laufs. Während der Schwangerschaft kommt es dagegen zu erheblichen Veränderungen. In dieser Zeit steigen die LDL-Cholesterin-Werte um 40 bis 60 Prozent und die HDL-CholesterinWerte um 20 bis 40 Prozent an. Des Weiteren kommt es zu einer Zunahme der Triglyzeride um das Zwei- bis Dreifache sowie zu einem deutlichen Anstieg von Lipoprotein (a). Diese Veränderungen haben möglicherweise auch epigenetische Konsequenzen für das ungeborene Kind; dies ist jedoch noch
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nicht vollständig erforscht. Nach der Entbindung fallen die erhöhten Werte dann schnell wieder in den Normbereich ab. Bei stillenden Frauen erfolgt dies etwas schneller als bei nicht stillenden Müttern (7). «Statine sind zur Behandlung der Hypercholesterinämie während einer Schwangerschaft nicht indiziert, weil sie hier nicht geprüft sind und aufgrund der hohen Kosten voraussichtlich auch nicht geprüft werden. Allerdings wurden bereits zahlreiche Kinder unter der Einnahme von Statinen geboren, und in Studien und Metaanalysen zeigten sich keine Hinweise auf eine Teratogenität», erläutert Laufs. Zu Fibraten liegen keine Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit während der Schwangerschaft vor. Ezetemib, Bempedoinsäure und verschreibungspflichtige Omega-3-Fettsäuren sind während der Schwangerschaft nicht zugelassen. Colestyramin und Colestipol hemmen die enterale Absorption von Lipiden und werden als sicherer erachtet als andere Lipidsenker. Allerdings vermindern diese Substanzen die Aufnahme fettlöslicher Vitamine und könnten sich daher ungünstig auf das Ungeborene auswirken. Auch Evolocumab und Alirocumab wurden in der Schwangerschaft nicht getestet. Es gibt jedoch theoretische Überlegungen, dass sie im letzten Trimester auf die Plazenta übergehen könnten. Zu Inclisiran liegen keine Daten zur Sicherheit in der Schwangerschaft vor (7). Im Zusammenhang mit Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburt kommt es Laufs zufolge vor allem darauf an, die medikationsfreie Zeit möglichst kurz zu halten. Dies gelte vor allem für junge Frauen mit hohen LDL-Cholesterin-Spiegeln oder FH.
Menopause und Postmenopause
In der Menopause kommt es zu einer Reduktion und zum Verlust der ovarialen follikulären Funktion und damit auch zu einem Abfall des endogenen Östrogens. Dieser Prozess geht einher mit einem Anstieg von Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin und Triglyzeriden und oft auch mit einer Zunahme des viszeralen Fetts, des BMI, der Insulinresistenz und demzufolge auch mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (8). Noch vor 10 bis 15 Jahren ging man davon aus, dass das kardiovaskuläre Risiko durch eine Östrogensupplementierung gesenkt werden könne, was sich leider nicht bestätigt hat (9). Nach der Menopause liegen bei Frauen höhere Gesamtcholesterinserumkonzentrationen vor als bei Männern (5).
cherweise nicht von einem Statin profitierten, weil es sich hierbei um eine prognostische Therapie handle und nicht um eine symptomatische, so Laufs. Für alle anderen gilt: Die absolute Risikoreduktion hängt vom individuellen kardiovaskulären Risiko ab, welches bei älteren Patienten höher ist als bei jüngeren. Daher ist die absolute Risikoreduktion durch eine LDL-Cholesterin-Senkung bei Senioren ausgeprägter. So treten beispielsweise bei älteren KHK-Patienten pro Jahr häufiger Herzinfarkte auf als bei Jüngeren, und bei gleicher relativer Risikoreduktion können mehr absolute Ereignisse verhindert werden (10). s
Petra Stölting
Quelle: «State of the art and progress in atherosclerosis prevention and on lipids», AGLA-Update-Meeting, 23. November 2023.
Referenzen: 1. Ray KK et al.: The year in cardiology: cardiovascular prevention: The year
in cardiology 2019. EHJ. 2020;41(11):1157–1163. 2. Parhofer KG, Laufs U: Lipiddiagnostik unter besonderer Berücksichtigung
von Lipoprotein(a). Dtsch Arztebl Int. 2023;120:582-588. 3. Johnson HJ et al.: The levels of plasma cholesterol in the human fetus
throughout gestation. Pediatr Res. 1982;16:682-683. 4. Balder JW et al.: Pediatric lipid reference values in the general population:
The Dutch lifelines cohort study. J Clin Lipidol. 2018;12:1208-1216. 5. Martin SS et al.: Lipid distributions in the Global Diagnostics Network
across five continents. EHJ. 2023;44:2305-2318. 6. Mumford SL et al.: A Longitudinal Study of Serum Lipoproteins in Rela-
tion to Endogenous Reproductive Hormones during the Menstrual Cycle: Findings from the BioCycle Study. J Clin Endocrinol Metab. 2010;95(9):E80-E85. 7. Wild R, Feingold KR: Effect of Pregnancy on Lipid Metabolism and Lipoprotein Levels. www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK498654/;08.08.2023. 8. Hulley S et al.: Randomized trial of estrogen plus progestin for secondary prevention of coronary heart disease in postmenopausal women. Heart and Estrogen/progestin Replacement Study (HERS) Research Group. JAMA. 1998;280(7):605-613. 9. Manson JE et al.: Menopausal hormone therapy and health outcomes during the intervention and extended poststopping phases of the Women›s Health Initiative randomized trials. JAMA. 2013;310(13):1353-1368. 10. Laufs U et al.: Beyond statins: what to expect from add-on lipid regulating therapy? EHJ. 2013; 34(34):2660-2665.
Ältere Patienten
Abschliessend ging der Referent auf die Wirkung einer LDL-Cholesterin-Senkung bei älteren Menschen ein. Um zu entscheiden, ob ein älterer Mensch ein Statin bekommen soll oder nicht, muss man sich zunächst deren Wirkungsweise vergegenwärtigen: Sie stabilisieren Plaques oder verhindern deren Entstehung. Dies senkt die Wahrscheinlichkeit für Plaquerupturen und somit auch für akute koronare Ereignisse wie einen Herzinfarkt. Bei älteren Patienten ist abzuwägen, welche Rolle die kardiovaskuläre Prävention mittels LDL-Senkung für den jeweiligen Patienten spielt. Für Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK) habe diese eine grosse Bedeutung, während Patienten mit einem fortgeschrittenen Tumorleiden mögli-
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