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BERICHT
Der vergessene kardiovaskuläre Risikofaktor
Chronische Niereninsuffizienz suchen und behandeln
Weil die chronische Niereninsuffizienz asymptomatisch verläuft, aber schwere kardiovaskuläre Komplikationen verursachen kann, sollte sie bei Patienten mit Risikofaktoren systematisch gescreent und behandelt werden. Wie dabei vorzugehen ist, erklärte Prof. Uyen Huynh-Do, Universitätsklinik für Nephrologie und Hypertonie, Inselspital Bern, am Swiss Prevention Summit in Bern.
Mit der Alterung der Bevölkerung und der zunehmenden Häufigkeit von nierenschädigenden Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes oder Hypertonie steigt auch die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) (1). In der Schweiz sind etwa 10 Prozent der Erwachsenen davon betroffen (2). Patienten mit einer CKD weisen ein vielfach höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und eine erhöhte Mortalität auf. Eine CKD werde häufig erst entdeckt, wenn ein kardiovaskuläres Ereignis eingetreten ist, so Huynh-Do. Die Risikofaktoren dafür können lange unerkannt sein. Beispielsweise ist das Risiko für eine CKD auch bei einer normalen geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) ≥ 90 ml/min/1,73 m2 bereits erhöht beziehungsweise stark erhöht, wenn gleichzeitig eine Mikro- oder eine Makroalbuminurie vorliegt (3). Damit ist auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöht (5). Die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskuläre Ereignisse steigt aber auch mit abnehmender eGFR. Bei einem Wert zwischen 30 und 44 ml/min/1,73 m2 ist sie 12-fach erhöht, bei < 15 ml/ min/1,73 m2 bereits um das 36-Fache (4). Die jährliche Mortalität eines 30-jährigen dialysepflichtigen Patienten ist gleich hoch wie jene einer gesunden 80-jährigen Person (6). Faktoren mit erhöhtem CKD-Risiko, die ein Screening erfordern ▲ Hypertonie ▲ Diabetes mellitus ▲ Herz-Kreislauf-Erkrankungen ▲ Anamnese einer akuten Nierenschädigung (z. B. Präeklampsie) ▲ CKD in der Familienanamnese ▲ systemische Erkrankungen, die für CKD prädisponieren (z. B. HIV, SLE, Vaskulitis) ▲ Therapie mit nephrotoxischen Arzneimitteln ▲ Adipositas ▲ fortgeschrittenes Alter Quelle: mod. nach www.swissnephrology.ch Des Weiteren ist die CKD mit chronischer Urämie gemäss Huynh-Do ein Zustand der chronischen Entzündung des ganzen Körpers und leistet der Atherosklerose und der vaskulären Kalzifizierung Vorschub (7), was wiederum die Morbidität und Mortalität von CKD-Patienten erhöht. Damit Patienten mit einer CKD besser und früher erkannt werden, hat die Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie, angelehnt an die neuen KDIGO-Guidelines, 2021 ein Merkblatt mit Richtlinien zu Screening und Identifikation der chronischen Nierenerkrankung herausgegeben (swissnephrology.ch) (s. QR-Link). Diesem zufolge ist es sinnvoll, bei Patienten mit bestimmten Erkrankungen (Kasten) oder hohem Alter nach einer CKD zu suchen, denn diese verläuft asymptomatisch. Patienten mit Diabetes mellitus, Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten mindestens 1-mal jährlich auf das Vorliegen einer CKD getestet werden. Der Test erfolgt anhand der eGFR (durch Messung von Kreatinins, Cystatin C oder beidem) und der Quantifizierung der Albuminurie (3, 8). Therapie der CKD Eine CKD kann behandelt werden. Empfohlen sind dazu Massnahmen wie Rauchstopp, gesunde Ernährung, Gewichtsreduktion bei einem Body-Mass-Index ≥ 25 kg/m2, die Vermeidung von nephrotoxischen Arzneimitteln sowie die Anpassung bestehender Medikationen an die Nierenfunktion. Die weitere Therapie besteht in der Optimierung des Blutdrucks durch eine Hemmung des Renin-AngiotensinAldosteron-Systems (RAAS), falls die Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR) > 30 mg/g (3 mg/mmol) beträgt und dafür keine Kontraindikation vorliegt. Des Weiteren ist eine Therapie mit einem dafür zugelassenen SGLT2-Hemmer bis zu einer eGFR ≥ 25 ml/min/1,73 m2 empfohlen (3, 8). Sinkt die eGFR im Krankheitsverlauf unter diesen Wert, soll die Therapie mit dem SGLT2-Hemmer fortgesetzt werden, ausser sie wird nicht vertragen oder es ist eine Nierentransplantation geplant (3). Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und CKD braucht es eine Optimierung der glykämischen Kontrolle mit SGLT2-Hemmern, GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Unverträglichkeit von SGLT2-Hemmern und dem nicht steroidalen Mineralokortikoidrezeptorantagonisten Finerenon (8).
52 ARS MEDICI 3 | 2024
BERICHT
Wann überweisen?
Eine Überweisung zum Nephrologen ist angezeigt bei akuter
Nierenschädigung oder plötzlichem und anhaltendem eGFR-
Abfall. Weitere Gründe bestehen beispielsweise bei einer
CKD ohne bekannte Ursache oder dann, wenn die eGFR
< 30 ml/min/1,73 m2 absinkt, die ACR konstant > 300 mg/g
(30 mg/mmol) liegt oder die CKD fortschreitet beziehungs-
weise sich die eGFR weiter verschlechtert. Bei Vorliegen
einer glomerulären Mikrohämaturie, einer therapieresisten-
ten Hypertonie, einer anhaltenden Hyper- oder Hypokaliä-
mie, einer hereditären Nierenerkrankung oder rezidivieren-
den oder ausgedehnten Nierensteinen sollte ebenfalls ein
Nephrologe beigezogen werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Adipositas: Neue Therapeutika für ein schwieriges Problem», Prevention Summit, 9.11.2023 in Bern.
Referenzen: 1. Xie Y et al.: Analysis of the Global Burden of Disease study highlights the
global, regional, and national trends of chronic kidney disease epidemiology from 1990 to 2016. Kidney Int. 2018;94(3):567-581. 2. Ogna VF et al.: Prevalence and determinants of chronic kidney disease in the Swiss population. Swiss Med Wkly. 2016;146:w14313. 3. Kidney disease: Improving global outcomes (KDIGO) diabetes work group. KDIGO 2020 clinical practice guideline for diabetes management in chronic kidney disease. Kidney Int. 2020;98(4S):S1-S115. 4. Go AS et al.: Chronic kidney disease and the risks of death, cardiovascular events, and hospitalization. N Engl J Med. 2004;351(13):1296-1305. 5. Ortiz A et al.: Chronic kidney disease as cardiovascular risk factor in routine clinical practice: a position statement by the Council of the European Renal Association. Clin Kidney J. 2022;16(3):403-407. 6. Foley RN et al.: Clinical epidemiology of cardiovascular disease in chronic renal disease. Am J Kidney Dis. 1998;32(5 Suppl 3):S112-S119. 7. Hörl WH: Atherosklerose und Urämie: Die Bedeutung nicht-traditioneller Risikofaktoren. Wien Klin Wochenschr 115, 220–234 (2003). 8. Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie: Richtlinien zu Screening und Identifikation der chronischen Niereninsuffizienz für Allgemeinmediziner und Internisten. www.swissnephrology.ch
QR-Link: Richtlinien zu Screening und Identifikation der chronischen Niereninsuffizienz für Allgemeinmediziner und Internisten
www.rosenfluh.ch/qr/ckd-screening
ARS MEDICI 3 | 2024
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