Transkript
EDITORIAL
Was ist wichtiger: Kind oder Umwelt?
nannt. 15 der 17 befragten Eltern entschieden sich aus Tierschutzgründen für eine vegane Ernährung. Sie sind gegen Nutztierhaltung und gegen die Ausbeutung der Tiere. «Wenn eine Ernährungsweise uns erlaubt, ein gesundes Leben zu führen, warum dann nicht eine Diät wählen, die dem Planeten nicht schadet?», antwortete eine Mutter von 4 Kindern auf die Frage, warum sie ihre Kinder vegan ernährt. Eine kritische Haltung gegenüber Aussagen von medizinischer Seite, wonach eine vegane Ernährung für Kinder ungesund sei, kam in den Interviews ebenfalls zutage. In Ländern, in denen der Sättigungsgehalt der Nahrung wichtiger ist als deren Zusammensetzung, ist eine ausgewogene Ernährung Luxus. In der Schweiz, in der die Verfügbarkeit aller erdenklichen Lebensmittel immens ist, sollte dies nicht der Fall sein.
Jede Zeit hat ihre Moden. Oft betreffen sie Äusserlichkeiten, Sprache oder Freizeitaktivitäten. Doch auch die Ernährungsweise ist verschiedenen Strömungen unterworfen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die vegane Ernährung, die häufig mit einer umwelt- und klimaschonenden Haltung einhergeht. Eine ungesunde Ernährungsweise ist Privatsache, allerdings nur solange man sich selbst dafür entscheiden kann. Das trifft jedoch nicht zu, wenn Eltern die Entscheidung fällen, ihre Kinder vegan zu ernähren. In der Schweiz stand bislang bei elterlichen Entscheidungen die Gesundheit der Kinder im Vordergrund. Das ist bei einer veganen Ernährung von Kindern nicht mehr so, wie eine anthropologische Untersuchung zeigte. Darin wurden die Beweggründe von 17 Eltern in der Schweiz für die vegane Ernährung ihrer Kinder in Interviews erfragt. Dabei zeigte sich, dass vegan lebende Eltern eine «Multispezies-Ethik» praktizieren. Das heisst, dass ihre ethische Perspektive zu gleichen Teilen Umwelt, Tierwohl und Kindswohl berücksichtigt, und nicht mehr nur die Gesundheit des Kindes im Zentrum ihrer Interessen steht. Die Ernährung des Kindes soll nicht mehr nur die Gesundheit des Kindes optimieren, sondern die aller Lebewesen auf dem Planeten. Als Gründe wurden in den Interviews die Verantwortung für den Planeten, «eine bessere Welt für kommende Generationen hinterlassen», Nachhaltigkeit, ökologischer Fussabdruck und Tierschutz ge-
Möglich, aber aufwändig
Die Guideline der Schweizerischen Gesellschaft für Er-
nährung (1) lehnt eine vegane Ernährung bei Kindern
ab. Gemäss Pädiatrie Schweiz ist eine gesunde vegane
Kinderernährung jedoch möglich, sie muss aber gut
aufgegleist und überwacht werden. Pädiatrie Schweiz
empfiehlt eine ausführliche Beratung von Eltern, die
ihre Kinder vegan ernähren, regelmässige Kontrollen
und eine Verabreichung von Supplementen, um ein gu-
tes Wachstum zu gewährleisten und Mangelzustände
zu vermeiden. Dabei ist auf die genügende Zufuhr von
Eiweiss, Vitamin D, Jod, Eisen, Zink, Omega-3-Fettsäu-
ren, Vitamin B12 und B2 zu achten. Näheres darüber
kann in einem Artikel der Schweizer Zeitschrift für Er-
nährungsmedizin (2) nachgelesen werden sowie in den
vom Bund in Auftrag gegebenen und von Pädiatrie
Schweiz entwickelten «Handlungsanweisungen vege-
tarische und vegane Ernährung im Säuglings- und
Kleinkindesalter» (3).
s
Valérie Herzog
Quelle: Ballif E: Multispecies Childcare: Child Veganism and the Reimagining of Health, Reproduction, and Gender in Switzerland. Med Anthropol. 2023;42(6):565-578. doi:10.1080/01459740.2023.2240944. Referenzen: 1. https://www.swissveg.ch/SGE?language=de 2. Elke B: Beratung, Supplemente und Kontrollen: Vegane Ernährung beim
Kind. Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2023;4:30. https:// www.rosenfluh.ch/ernaehrungsmedizin-2023-04.Letzter Abruf: 12.1.24. 3. Pädiatrie Schweiz: Handlungsanweisungen vegetarische und vegane Ernährung im Säuglings- und Kleinkindesalter. https://www.paediatrieschweiz.ch/handlungsanweisungen-vegetarische-vegane-ernaehrung/. Letzter Abruf: 12.1.24.
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