Transkript
Neues Abgeltungssystem ab 1.7.2024
Interview mit Dr. Sven Bradke, Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA)
Das neue Abgeltungsmodell für selbstdispensierende Ärztinnen und Ärzte wurde nach einer neuerlichen Diskussionsrunde nun doch noch Ende des letzten Jahres verabschiedet und tritt ab Mitte 2024 in Kraft. Im Interview erläutert der Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA), Sven Bradke, was das für die Praxis bedeutet.
ARS MEDICI: Herr Bradke, der Bundesrat hat nun kurz vor Weihnachten doch noch ein neues Abgeltungsmodell für verschreibungspflichtige Arzneimittel beschlossen. Was sagen Sie dazu? Dr. Sven Bradke: Ich freue mich, dass dieses langjährige und äusserst umstrittene Thema nun doch noch zu einem gütlichen Abschluss gekommen ist. Der bereits im Herbst 2022 am Runden Tisch erarbeitete Kompromissvorschlag eines neuen Abgeltungsmodells für verschreibungspflichtige Arzneimittel schien zwischenzeitlich wieder in Frage gestellt zu sein. Nun wurde nach einer zweiten Runde eben dieses vom Bundesrat verabschiedet. Ab 1. Juli 2024 werden sich deshalb die Vertriebsanteile für die Leistungserbringer ändern.
Foto: zVg
Zur Person
Dr. rer. publ. HSG Sven Bradke ist der Geschäftsführer der Ärzte mit Patientenapotheke APA. Sven Bradke sass für die APA und die FMH als einziger Vertreter der Ärzteschaft an den im Interview genannten Runden Tischen des EDI. Vgl. www.patientenapotheke.ch
Wie sieht denn dieser Kompromissvorschlag aus? Bradke: Das neue Abgeltungssystem für verschreibungspflichtige Arzneimittel steht auf zwei Säulen. Einerseits auf dem traditionellen Konzept mit einem prozentualen Zuschlag von 6 Prozent und mit einem fixen Zuschlag von 9.– und 16.– Franken auf dem Ex-Factory-Preis. Andererseits auf einem gleichen Vertriebsanteil bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln. Letzteres bedeutet, dass die Leistungserbringer, namentlich die selbstdispensierenden Ärztinnen und Ärzte, für Originale wie auch für Generika denselben Vertriebsanteil erhalten. Die Idee war, Generika zu fördern sowie Fehlanreize zu beseitigen.
theken und die Spitäler auch. Dafür erhalten wir eine gewisse Rechtssicherheit. Erwähnt sei, dass das EDI die Vertriebsanteile gemäss Artikel 38 Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) auch autonom hätte verordnen können. Über die Runden Tische erfolgte nun aber eine breit akzeptierte Lösung. Sprachen sich für das Kompromissmodell doch die Verbände curafutura, pharmaSuisse, APA/FMH, H+, die Versandapotheken sowie das Konsumentenforum aus. Santésuisse, die Stiftung für Konsumentenschutz und die Fédération romande des consommateurs forderten angesichts der Prämienerhöhungen Modelle mit wesentlich höheren Einsparungen.
Ist dieses neue Abgeltungssystem ein Sparmodell? Bradke: Ja, selbstverständlich. Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) versuchte über die Revision der Vertriebsanteile seit 2018 grössere Einsparungen zu erzielen. Ursprünglich standen enorme Summen im Raum. Bundesrat Alain Berset definierte dann aber 2022 neue Eckwerte, die ein moderateres Sparziel sowie insbesondere eine faire Verteilung über alle Abgabekanäle hinweg vorsahen. Der Bundesrat erwartet nun Einsparungen in der Höhe von 60 Millionen Franken über alle Kanäle hinweg sowie längerfristig über mehrere 100 Millionen Franken, wenn die beabsichtigte Generikaförderung greift.
Über alle Kanäle bedeutet, dass auch die selbstdispensierenden Ärztinnen und Ärzte einen Beitrag leisten sollen? Bradke: Richtig, wir leisten als SD-Ärztinnen und -Ärzte einen angemessenen Beitrag wie die Apotheken, die Versandapo-
Was zeichnet denn dieses neue Abgeltungssystem aus? Bradke: Es umfasst weniger Preisklassen, hat einen tieferen Prozentzuschlag sowie eine höhere Pauschale für die teuersten Arzneimittel. Diese massgebliche Strukturveränderung verringert die Fehlanreize, senkt die heutigen Quersubventionierungen und kommt der Kostenwahrheit näher. Von der Wirkung her werden für die Patientinnen und Patienten die günstigsten Arzneimittel leicht teurer, während die teuren günstiger werden. Diese Strukturanpassung war wichtig und nötig. Grundlage dieses Modells waren rund 150 verschiedene Modellrechnungen, die im Vorfeld zum Kompromissvorschlag durchgeführt worden waren. Ob alles so kommt, wie gerechnet und erwartet, wird sich weisen. Hierfür findet in den kommenden Jahren ein gezieltes Monitoring statt. Bei Arzneimitteln besteht bekanntlich kein freier Markt. Der Ex-Factory-Preis verschreibungspflichtiger Arzneimittel wird ebenso staatlich verordnet wie der maximale Verkaufspreis.
10 ARS MEDICI 1+2 | 2024
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Die Differenz der beiden Preise ergibt den sogenannten Vertriebsanteil, besser bekannt als «Marge», der auch die vorgelagerten Grossistenkosten und die Mehrwertsteuer beinhaltet.
Das neue Abgeltungssystem wird erst am 1.7.2024 eingeführt. Was geschieht bis dahin? Bradke: Angedacht war, das neue Abgeltungssystem im Rahmen der grösser angelegten Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) und der KLV per 1.1.2024 einzuführen. Die neuerlichen Runden Tische verunmöglichten dies dann aber. Es gibt nun im Jahr 2024 verschiedene Anpassungen. Anfangs Jahr erhielten alle Arzneimittel wegen der Mehrwertsteuererhöhung einen neuen Preis. Preissenkungen verschiedener Präparate waren ebenfalls zu berücksichtigen. Seither wird im Rahmen der Generikaförderung auch ein höherer Selbstbehalt von 40 Prozent für patentabgelaufene
Originale fällig, sofern entsprechende Generika oder Biosimilars auf dem Markt sind. Die Ärzteschaft hat neuerdings die Aufgabe, ihre Patientinnen und Patienten hierüber gezielt zu informieren. Letztlich erfolgt auch die Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall seit 1.1.2024 nach neuen Vorgaben. Und dann kommt am 1. Juli 2024 auch noch das erwähnte neue Abgeltungssystem hinzu.
Ist eine Substitution von Originalpräparaten durch Generika Pflicht? Bradke: Eine Pflicht ist sie nicht, aber ein Wunsch. Deshalb wurde der Selbstbehalt auch erhöht. Für uns war immer wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Fällen weiterhin ein Original abgeben oder verschreiben dürfen. Gesetz und Verordnung lassen dies aus medizinischen Gründen nach wie vor zu. Möglich ist es, wenn «Therapieversuche mit mindestens zwei Generika respektive Biosimilars» erfolgten, wobei «Unverträglichkeit» oder «ungenügende Wirksamkeit» festgestellt wurden, oder es sich um einen Wirkstoff mit «enger therapeutischer Breite» handelt. Alsdann sollte im Patientendossier ein Eintrag erfolgen sowie, im Falle einer Rezeptur, der Vermerk «Substitution nicht möglich» angebracht werden. Gleiches gilt, wenn Lieferschwierigkeiten bestehen.
Und was kommt als Nächstes? Bradke: Gute Frage, nebst der Konsolidierung dieser Regelungen steht bereits wieder eine Revision des Heilmittelgesetzes vor der Tür. Die Vernehmlassung wurde kurz vor Weihnachten eröffnet. Die Arbeit geht uns somit nicht aus. Im Gegenteil, sie wird immer vielschichtiger und komplexer. Wichtig ist, dass unsere Ärztinnen und Ärzte ihre Arbeit an den Patienten bestmöglich ausführen können. Wir versuchen, die hierfür nötige politische Arbeit zu leisten. Insofern danken wir unseren Mitgliedern für ihr Vertrauen und die Unterstützung.
Danke für das Gespräch. Das Interview führte Christine Mücke. St. Gallen, 3.1.2024
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Ab 1. Juli 2024 gilt dieses neue Abgeltungssystem:
1. Über das gesamte Sortiment hinweg soll bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein Zuschlag von 6% auf den Ex-Factory-Preis erfolgen.
2. Für Arzneimittel bis zu einem Ex-Factory-Preis von CHF 7.99 soll ein weiterer Zuschlag von CHF 9.– je Packung erfolgen. 3. Derselbe Zuschlag beträgt CHF 16.– für Ex-Factory-Preise von CHF 8.– bis CHF 4720.99. 4. Ab dem Ex-Factory-Preis von CHF 4721.– gilt nur mehr ein pauschaler Preiszuschlag von CHF 300.–.
Ex-Factory-Preis in CHF
Ex-Factory-Preis in CHF
Preisklasse
Zuschlag in %
(Untergrenze)
(Obergrenze)
0
7.99 1 6%
8
4720.99
2 6%
4721
3 0%
Zuschlag je Packung in CHF
9 16 300
Die Leistungserbringer (Apotheker, SD-Ärzte, Spitäler) erhalten für Originalpräparate und Generika respektive Biosimilars fortan einen gleichen Vertriebsanteil.
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