Transkript
BERICHT
Makuladegeneration, Glaukom, diabetische Retinopathie …
Update zu den häufigsten Augenerkrankungen für den Hausarzt
Dr. med. Fabrizio Branca vom Augenzentrum Sissach informierte am FOMF-Update-Refresher Allgemeine Innere Medizin, Basel, über die Erscheinungsformen der häufigsten Augenerkrankungen in der Schweiz und deren Behandlung.
Zu Beginn seines Vortrags wies Branca darauf hin, dass es in der Schweiz etwa 320 000 sehbehinderte Menschen gibt. «Von einer Sehbehinderung spricht man, wenn die Sehschärfe unter einem Visus von 0,3 liegt oder das Gesichtsfeld tunnelartig auf unter 10 Grad eingeschränkt ist», führte er weiter aus. Sehbehinderungen nehmen mit dem Alter zu, und von den Personen über 80 Jahren sei etwa ein Fünftel davon betroffen. In der Schweiz sind Makuladegenerationen (50%), Glaukome (18%), diabetische Retinopathien (17%) und Katarakte (5%) die dominierenden ophthalmologischen Erkrankungen. Netzhauterkrankungen seien somit die Hauptursache von Sehbehinderungen, resümierte Branca.
Altersbedingte Makuladegeneration
Am häufigsten ist die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) für eine Sehbehinderung verantwortlich. Bei dieser Erkrankung ist die in der Netzhautmitte und in der Sehachse lokalisierte Macula lutea («gelber Fleck») betroffen, in der sich wiederum zentral die Fovea, die Stelle des schärfsten Sehens, befindet. In diesem Zusammenhang wies Branca darauf hin, dass die Netzhaut bezüglich der Bildqualität limitierend ist, und eine Erkrankung, bei der die Netzhaut beschädigt wird, optisch nicht durch eine Linse oder eine Brille korrigiert werden kann. Auch sei bis anhin keine Netzhauttransplantation möglich.
KURZ & BÜNDIG
� Die Netzhaut ist für die Bildqualität limitierend. � Die feuchte AMD ist behandelbar, die trockene AMD nicht. � Das Glaukom verläuft lange Zeit asymptomatisch. � Bei allen Typ-1-Diabetikern kommt es irgendwann zu Kom-
plikationen in der Netzhaut.
� Ein Katarakt muss erst operiert werden, wenn die Symptome den Patienten stören.
Die AMD kann in 2 Hauptformen unterteilt werden. In etwa 90 Prozent der Fälle handelt es sich um eine trockene Makuladegeneration, die chronisch progredient über Jahre verläuft, und in 10 Prozent um eine feuchte Makuladegeneration, die rasch voranschreiten kann. Häufig geht eine trockene Makuladegeneration im Lauf der Zeit in eine feuchte Makuladegeneration über. Der Anteil der AMD-Patienten nimmt mit dem Alter zu. Mehr als 30 Prozent der über 80-Jährigen leiden unter einer trockenen AMD und mehr als 10 Prozent unter einer feuchten AMD (1). Derzeit geht man davon aus, dass die Makuladegeneration durch einen beeinträchtigten Metabolismus entsteht. Stoffwechselprodukte werden nicht mehr richtig abgebaut, lagern sich unter dem Pigmentepithel ab und bilden Drusen. «Diese Drusen sehen wir als gelbliche Ablagerungen unter der Netzhaut als klassische Zeichen einer trockenen AMD», erläuterte Branca. Die Drusen können im Verlauf der Zeit zunehmen und schädigen die darüber liegende Netzhaut, was zu einer Atrophie derselben führen kann. So entsteht mit der Zeit eine geografische Atrophie, die im Lauf der Jahre ebenfalls weiter zunimmt. Und mit zunehmendem Durchmesser nehmen dann auch die Symptome des Patienten zu. Die trockene Makuladegeneration ist bis anhin nicht behandelbar. Bei der feuchten Makuladegeneration bilden sich unter der Netzhaut pathologische Gefässe, aus denen Gewebsflüssigkeit austritt, was zu Ödemen oder Blutungen führen kann. Wenn dieses Gefässnetz wächst, kommt es zu einer Exsudation von Lipiden und/oder zu einer grösseren Blutung vor die Netzhaut und im weiteren Verlauf zu einer Netzhautvernarbung. Im Gegensatz zur trockenen Makuladegeneration kann die feuchte behandelt werden. Dabei werde sie allerdings lediglich in eine trockene AMD überführt, betonte der Referent. Zu den Symptomen der Makuladegeneration gehören unscharfes und/oder verzerrtes Sehen. Die Drusen führen zu einem Wellensehen, und die Atrophie führt zu einem Skodom, einem Gesichtsfeldausfall im Zentrum. Infolgedessen haben die Patienten Schwierigkeiten beim Lesen oder auch beim Erkennen von Gesichtern und sind in ihrem Alltag stark beeinträchtigt. «Das einzig Gute daran ist, dass die
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Makuladegeneration nicht zu einer Erblindung führt. Das zentrale Gesichtsfeld ist zwar beeinträchtigt, aber die Orientierung im Raum, die bleibt immer erhalten», erklärte der Referent. Die Behandlung der feuchten Makuladegeneration hat sich seit 2006 massgeblich verändert, als deutlich wurde, dass das Gefässwachstum unter der Netzhaut durch VEGF (vascular endothelial growth factor) ausgelöst wird. Daraufhin gelang es, vom Krebsmedikament Bevacizumab (Avastin®) abgeleitete Medikamente zu entwickeln, die ausschliesslich den VEGF im Auge binden. Ranibizumab (Lucentis® und Biosimilars) war das erste dieser Reihe und ist seit 2006 auf dem Markt. Im Jahr 2015 folgte dann Aflibercept (Eylea®), 2020 Brolucizumab (Beovu®), und seit Neuestem steht zusätzlich Faricimab (Vabysmo®) zur Verfügung. Mit Injektionen dieser Anti-VGEF-Agenzien kann der Visus der Patienten stabilisiert oder sogar wieder verbessert werden. Allerdings sind diese Wirkstoffe nach einer gewissen Zeit nicht mehr im Auge vorhanden und müssen je nach Aktivität der feuchten Makuladegeneration alle 1, 2 oder 3 Monate erneut injiziert werden.
Grüner Star (Glaukom)
Eine weitere häufige Erkrankung ist der grüne Star, das Glaukom. Dabei handelt es sich um eine chronisch progrediente Schädigung des Nervus opticus, die durch einen erhöhten Augeninnendruck verursacht wird. Die Prävalenz des Glaukoms ist hoch, und man geht davon aus, dass 1 bis 2 Prozent der Gesamtbevölkerung davon betroffen sind. Auch die Dunkelziffer ist hoch, denn die Erkrankung verläuft lange Zeit asymptomatisch. Die Patienten spüren nicht, wenn der Augeninnendruck ansteigt, und die aus der Schädigung des Sehnervs resultierenden Gesichtsfeldausfälle werden ebenfalls zunächst nicht bemerkt, weil sie lange Zeit vom anderen Auge oder vom Gehirn kompensiert werden. Wenn für den Patienten wahrnehmbare Symptome auftreten, ist das Glaukom bereits fortgeschritten, und es kann nur noch der aktuelle Zustand stabilisiert werden. «Da das Glaukom so lange unbemerkt voranschreitet, sollte bei allen Personen etwa ab dem 40. Lebensjahr alle 2 bis 3 Jahre der Augeninnendruck gemessen werden. Falls Verwandte ersten Grades ebenfalls ein Glaukom haben/hatten, sollten diese prophylaktischen Untersuchungen auch schon eher durchgeführt werden», riet Branca. Glaukompatienten können bis zum Schluss über eine sehr gute Sehschärfe von bis zu 100 Prozent verfügen. Sie sehen diese 100 Prozent allerdings nur noch durch einen engen Tunnel und sind im Alltag viel stärker beeinträchtigt als Patienten mit einer Makuladegeneration. Das Glaukom wird üblicherweise lokal medikamentös mit Augentropfen behandelt. Meist beginnt man mit 1 Wirkstoff, es können aber bis zu 4 Substanzen eingesetzt werden. Für den Behandlungserfolg spielt die Compliance eine bedeutsame und schwierige Rolle, weil die Patienten die Augentropfen ihr ganzes Leben lang applizieren müssen. Weniger häufig und meist nur kurzfristig wird systemisches Acetazolamid (Diamox®) zur Senkung des Augeninnendrucks angewendet. Des Weiteren kann ein Glaukom laserchirurgisch oder operativ behandelt werden. Aber auch mit diesen Verfahren kann nur der Status quo stabilisiert werden.
Diabetische Makulopathie/Retinopathie
Aufgrund der Zunahme diabetischer Erkrankungen nehmen auch diabetische Retinopathien immer weiter zu. «Bei allen Typ-1-Diabetikern kommt es irgendwann zu Komplikationen am Auge», erklärte Branca. Dabei handelt es sich zum einen um die diabetische Makulopathie, welche das Netzhautzentrum betrifft und somit visusrelevant ist. Ähnlich wie bei der feuchten Makuladegeneration befindet sich Wasser in der Makula, und die Behandlung erfolgt mit Anti-VEGF-Injektionen in das Auge, wodurch sich der Visus wieder verbessern kann. Bei schlechter diabetischer Kontrolle müssen die Injektionen – wie bei der feuchten AMD – regelmässig appliziert werden, um eine trockene Netzhaut und einen guten Visus zu erhalten. Bei der diabetischen Retinopathie entstehen neue Blutgefässe in der Netzhautperipherie. Zunächst findet man in diesen Arealen diabetesbedingte komplette Ausfälle der Perfusion. In der Folge kommt es zu Proliferationen im Auge, die Einblutungen verursachen und zur Erblindung des Patienten führen können. Die ischämischen Areale können mittels Laserstrahlung verödet werden. Dadurch nimmt der Reiz zur Bildung neuer Blutgefässe im Auge ab, die Proliferation wird verhindert und die Retinopathie stabilisiert. «Die Behandlung ist nicht besonders angenehm, es handelt sich jedoch um eine sehr gute und kostengünstige Methode, die das Auge langfristig stabilisieren kann», so Branca.
Grauer Star (Katarakt)
Der graue Star bezeichnet eine altersbedingte Linsentrübung, die zu Symptomen wie einer Abnahme der Sehschärfe, zunehmender Blendungsempfindlichkeit und zunehmender Myopisierung führen kann. Als wichtigste Botschaft erachtete der Referent, dass ein Katarakt erst operiert werden muss, wenn die Symptomatik den Patienten stört. Der chirurgische Eingriff kann ambulant innerhalb von etwa 20 Minuten durchgeführt werden. Dabei wird die getrübte Linse durch eine Kunstlinse ersetzt. «Bei bis zu 40 Prozent der operierten Patienten kommt es im Lauf der Jahre zu einem Nachstar, einer Trübung des Kapselsacks, in dem sich die Kunstlinse befindet. Mithilfe eines Lasers kann die hintere Kapselmembran geöffnet werden und der Patient hat wieder eine gute Sicht», erläuterte der Referent abschliessend. s
Petra Stölting
Referenz: Friedman DS et al.: Eye Diseases Prevalence Research Group: Prevalence of age-related macular degeneration in the United States. Arch Ophthalmol. 2004;122(4):564-572.
Quelle: Vortrag «Die häufigsten Augenerkrankungen – Was muss der Hausarzt wissen?» von Dr. med. Fabrizio Branca, Augenzentrum Sissach, Update-Refresher Allgemeine Innere Medizin des Forums für medizinische Fortbildung (FOMF), Basel, 25.1.23.
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