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Titel
Allgemeine Innere Medizin – Hausarztmedizin – Anspruchshaltung der Patienten hat nochmals zugenommen – auch beim Abnehmen
Untertitel
Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke)
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Rückblick 2023 / Ausblick 2024
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77111
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RÜCKBLICK 2023 / AUSBLICK 2024

Allgemeine Innere Medizin/
Hausarztmedizin
Dr. med. Adrian Müller FA für Allgemeine Innere Medizin FMH in Horgen und Präsident der APA (Ärzte mit Patientenapotheke)

Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda, koordiniert die Verteilung in der Ukraine und visitiert die Institutionen vor Ort in der Ukraine. Es ist etwas Spezielles, nicht nur beim Bepacken der LKW dabei zu sein, sondern eben auch dank Kurts Berichterstattung zu sehen, wie dann diese Hunderte von Geräten, Betten, Tragen und anderes vor Ort angekommen sind.

Anspruchshaltung der Patienten hat nochmals zugenommen – auch beim Abnehmen
Wurden 2023 in Ihrem Fachbereich Medikamente zugelassen, die die Therapie erheblich verbessern oder Ihre Arbeit beeinflussen?
Von den Medikamenten, die zugelassen wurden, beschäftigen uns sicher die GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) am meisten, und zwar die neuen zum Abnehmen. Die haben einen regelrechten Hype ausgelöst, der zum ersten Mal auch unsere Fachrichtung in die Nähe der ethisch fragwürdigen Wellnessmedizin rückt. Der Andrang auf diese Medikamente behindert unseren Arbeitsalltag. Wir haben Leute, darunter solche mit einem BMI von 23, die rennen uns die Bude ein und versuchen, auf jede erdenkliche Art diese GLP-1-RA, die zurzeit zudem Lieferschwierigkeiten haben, zu bekommen. Sie machen Arbeit, werden unangenehm gegenüber unserem Personal und uns. Das bringt ein sehr aggressives Klima in der Praxis mit sich. Wir werden fast genötigt, irgendwelche Diabetesdiagnosen zu konstruieren, damit die Kasse das übernimmt. Und zwar in der Grundversorgung. Und das alles dank TikTok, X etc. Aber es gibt auch Medikamente, die im positiven Sinne zu erwähnen sind. Und zwar die SGLT2-Hemmer, deren Einsatz im Alltag sich gerade bei Patienten mit Herzinsuffizienz und bei Nierenproblemen bewährt. Wir bekommen jetzt endlich die Feedbacks, dass das wirklich funktioniert.

Was hat Sie am meisten geärgert?
Am meisten geärgert hat mich die Direktzulassung der Psychologen auf dem Anordnungsweg. Das führt dazu, dass jetzt jeder das Gefühl hat – und die Psychologen vermitteln das ihren Kunden auch proaktiv –, jederzeit ein Anrecht zu haben, auf Kassenkosten zum Psychologen zu gehen, und der Hausarzt muss dafür die Sekretärin spielen und die Haftung im KVG übernehmen. Wir müssen die Anordnung schreiben, wir müssen die Folgeanordnung schreiben, und wir müssen eine dritte Anordnung schreiben. Um dann bei der Krankenkasse eine Verlängerung zu beantragen, müssen wir mehrseitig berichten; und gleichzeitig verweigern uns sowohl Psychologen als auch Patienten die Angaben dazu, weil uns das ja nichts angeht. Wir haben nur eine Anordnung auszufüllen ... Wenn ich eine Physiotherapie verordnen möchte, habe ich eine klare Indikation und ein Therapieziel. Und das sollte bei einer Psychotherapie nicht anders sein. Es ist schade, dass viele Kollegen das sehr locker handhaben, und die werden in den nächsten Monaten ziemlich massiv erwachen, wenn die Krankenkassen eine Rechtfertigung für diese Verordnungen haben wollen. Das Problem sind die Menge und der Anspruch der Gesellschaft beziehungsweise der Patienten. Am Ende wird das die Krankenkassen Hunderte von Millionen kosten. Bis vor Kurzem musste man einen Fachausweis haben, um eine Psychotherapie zu verschreiben und zu begleiten. Der Bundesrat hat in eine Ausbildungsstruktur eingegriffen, indem er sagt, dass Hausärzte das jetzt einfach übernehmen können. Ab sofort kann und muss das jeder Hausarzt machen. Das ist absolut grotesk. Übermorgen heisst es dann: «Du kannst und musst MRIs befunden. Wir brauchen mehr MRIs.» Das wäre auf dem gleichen Niveau.

Was hat Sie 2023 am meisten gefreut?
Am meisten gefreut hat mich der Erfolg unserer Spendenaktion für medizinische Hilfsgüter für die Ukraine. Wir haben dazu als eine kleine Gruppe den Verein SwissUAid gegründet und haben es geschafft, im 2. Halbjahr 2023 Lieferungen in die Ukraine zu schicken: Spenden sowohl von Spitälern und gemeinnützigen Organisationen als auch von vielen Kollegen aus der Praxis, die sich spontan und ohne Spendenaufruf gemeldet haben. Und dazu kamen Spendengelder, die durch die mediale Präsenz entstanden. Ohne die hätten wir die ganze Logistik und weiteres Material nicht organisieren können. Bisher waren 5 Lastwagen unterwegs; einer von uns, der

Was ist Ihre wichtigste «Message» für die Kolle-

gen in der Hausarztpraxis?

Meine Botschaft für die Kollegen wäre: «Keine Verschreibung

ohne Indikation.» Das gilt für alle Bereiche. Wir sind nicht die

Gesundheitssekretäre, die alles für jeden ausfüllen. Wir sind

nicht die Zettelischreiber, sonst sind wir so weit wie in

Deutschland. Am Schluss haben wir Ärzte, die die Patienten

dann einfach von Spezialist zu Spezialist durchreichen. Wir

Hausärzte sind Fachärzte für Allgemeine Innere Medizin –

vergesst das nicht. Das ist meine Take-home-Message. Ihr

diagnostiziert und behandelt Patienten, Ihr macht nicht nur

Überweisungen.

s

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