Transkript
BERICHT
Morbus Crohn
Erweiterung des therapeutischen Arsenals
Im Rahmen eines Medien-Roundtables anlässlich der Indikationserweiterung von Risankizumab zur Behandlung von Morbus Crohn standen Zahlen und Fakten rund um die Erkrankung im Vordergrund, die die Bedeutung einer frühen Behandlung und einer tiefen Remission aufzeigen.
Die Prävalenz von Morbus Crohn (MC) ist sowohl in den westlichen Ländern als auch in den Schwellenländern und in Gebieten mit einem hohen soziodemografischen Index im Steigen begriffen (1). Am häufigsten sind Verläufe mit einer anfänglich hochaktiven Krankheit, gefolgt von Remission oder leichten Darmsymptomen (43%), chronisch intermittierende oder anhaltende Darmbeschwerden (32 resp. 19%) sowie eine anfänglich geringe Aktivität, gefolgt von zunehmender Schwere der Symptome (3%) (2). Unkontrollierte Entzündungen führen zum Fortschreiten der Krankheit und zu Komplikationen wie zum Beispiel abdominellen Schmerzen, erhöhten Stuhlfrequenzen, Müdigkeit, Beeinträchtigungen des Wachstums, Gewichtsabnahme sowie extraintestinalen Manifestationen. Diese Heterogenität stelle eine Herausforderung für die Verbesserung der Patientensituation dar, so PD Dr. med. Luc Biedermann, Universitätsspital Zürich. Nach 5 Jahren lag in einer prospektiven Kohorte aus 29 Zentren in Europa (n = 488) bei 14 Prozent der Patienten eine Striktur oder eine penetrierende Erkrankung vor, bei 36 Prozent war MC-bedingt eine Hospitalisation erforderlich geworden, und 22 Prozent mussten sich einer Operation unterziehen (3). Im Mittel vergingen 21 Monate bis zum Fortschreiten der Erkrankung, 6 Monate bis zur ersten Hospitalisation, und die erste Operation wurde bereits nach 7 Monaten erforderlich. Auch in der Ära der Biologika geht damit für die betroffenen Patienten eine grosse Belastung einher. Zudem bestehe immer noch Bedarf an therapeutischen Optionen, die nicht nur auf die entzündlichen Komponenten, sondern auch auf den zugrunde liegenden Krankheitsprozess abzielten, so Biedermann (4).
Physische und psychische Auswirkungen der Erkrankung nicht unterschätzen
Die Auswirkungen und die Häufigkeit der Schmerzen dürften nicht unterschätzt werden, mahnte der Experte. Rund 60 Prozent der MC-Patienten leiden unter Schmerzen, am häufigsten werden Bauchschmerzen angegeben (61%), gefolgt von Rückenschmerzen (40%), Knieschmerzen (30%) und Hüftschmerzen (27%) (5). Dabei geben 44 Prozent der Betroffenen an, dass die Schmerzen sehr häufig auftreten, 21
Prozent haben sogar mehrere Schmerzattacken täglich. Mehr als die Hälfte der Patienten leidet seit mehr als 5 Jahren unter Schmerzen und damit auch unter einer signifikanten Einbusse an Lebensqualität. Auch Müdigkeit, Bauchschmerzen und eine erhöhte Stuhlfrequenz (SF) treten nicht nur während, sondern auch zwischen den Schüben auf (6). Die Auswirkungen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung machen sich auch ausserhalb des Magen-DarmTrakts bemerkbar. Im Vergleich zu Nichtbetroffenen haben Betroffene ein nachweislich 7,5-fach höheres Risiko, eine immunvermittelte Komorbidität zu entwickeln (7). Zudem erhöhe ein MC die Anfälligkeit für die Entwicklung von Angstzuständen und Depressionen – und das mehrheitlich schon Jahre vor der Diagnose, führte Biedermann aus (8).
Einschätzung der Ärzte anders als die der Patienten
Biedermann beschreibt die Symptome und deren Auswirkungen vielleicht auch deshalb so ausführlich, weil die Ergebnisse einer Umfrage gezeigt haben, dass Ärzte dazu neigen, Belastungen und Leiden von MC-Patienten zu unterschätzen. Die meisten Patienten (65 %) gaben Stuhldrang als wichtigstes Symptom an, das die Lebensqualität beeinträchtigt; weniger als ein Drittel der Ärzte erkannte diese Belastung. Auch die Müdigkeit und das Bedürfnis der Patienten, kurz nach dem Essen auf die Toilette zu gehen, wurden als Belastung von den Ärzten unterschätzt (9).
«Window of opportunity» nicht verpassen
Das möglichst frühzeitige Erkennen und konsequente Behandeln der Erkrankung sind für den weiteren Verlauf von grosser Bedeutung. Ein Beginn der Therapie im sogenannten «window of opportunity» führt zu besseren Remissionsraten als eine Behandlungen später im Krankheitsverlauf. So war der Anteil der Patienten, die eine Remission (definiert als ein Crohn’s Disease Activity Index [CDAI] < 150) erreicht haben, zu allen Zeitpunkten einer Studie mit Adalimumab höher, wenn die Behandlung innerhalb des ersten Krankheitsjahrs begonnen hatte (10). Nur diese Patienten erzielten Remissionsraten von über 50 Prozent. Der Nutzen zeigt sich auf vielfältige Art und Weise: Das Risiko für schwere Komplika-
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tionen war mit einer frühen kombinierten Immunsuppression (n = 1084) signifikant geringer als unter konventionellem Vorgehen (n = 897), und nach 24 Monaten war deutlich seltener eine Operationen erforderlich (11). Daraus leitet sich für den Experten eine Treat-to-target-Empfehlung ab. Angestrebtes Ziel ist eine tiefe Remission, um das Fortschreiten der Erkrankung, Komplikationen und Behinderungen zu vermeiden. Eine regelmässige Überwachung und gegebenenfalls Optimierung der Behandlung können dazu beitragen, eine endoskopische respektive mukosale Heilung zu erreichen und die Behandlungsergebnisse langfristig zu verbessern. Bei Patienten, die nach 1 Jahr eine mukosale Heilung erreicht hatten, konnte etwa das Risiko für eine Operation/ Resektion über Jahre hinweg deutlich reduziert werden (12). Auch das Risiko für ein Versagen der Behandlung sowie Hospitalisationen im Zusammenhang mit der Erkrankung war geringer (13). Eine mukosale Heilung ist zudem mit einer erhöhten Rate an langfristigen klinischen Remissionen verbunden (14).
Neue Therapieoption für Patienten mit Morbus Crohn
Nachdem aufgezeigt wurde, wie wichtig eine möglichst umfassende Remission für den Verlauf der Erkrankung ist, erschliesst sich die Bedeutung einer weiteren Therapieoption umso mehr. Dabei ist der humanisierte monoklonale IgG1Antikörper Risankizumab, der gegen die p19-Untereinheit des menschlichen IL-23-Zytokins gerichtet ist, in anderen Indikationen bereits etabliert. 2019 erfolgte die Zulassung der Substanz zur Behandlung von Patienten mit Plaque-Psoriasis, seit März 2022 können Patienten mit Psoriasisarthritis damit behandelt werden. Kürzlich erfolgte nun auch die Zulassung zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit mittelschwerem bis schwerem aktiven MC, die unzureichend auf eine konventionelle Therapie oder ein Biologikum angesprochen haben, nicht mehr ansprechen oder diese(s) nicht vertragen haben. Die empfohlene Dosis beträgt 600 mg als intravenöse Infusion in Woche 0, Woche 4 und Woche 8, gefolgt von 360 mg als subkutane Injektion in Woche 12, und danach alle 8 Wochen. Über das Phase-III-Studienprogramm für Risankizumab, die beiden Induktionsstudien ADVANCE (n = 931) und MOTIVATE (n = 618) sowie die Erhaltungsstudie FORTIFY (n = 542), berichtete PD Dr. med. Pascal Juillerat, GastroGeb, Lausanne.
Gute Verträglichkeit bei anhaltender Wirkung
In den beiden plazebokontrollierten Induktionsstudien wurden die Wirksamkeit und die Sicherheit von Risankizumab (600 mg i.v.) als 12-wöchige Induktionstherapie bei MC-Patienten untersucht, die mit einer konventionellen oder biologischen Therapie nicht ausreichend behandelt werden konnten. Neben der klinischen Remission sei zum ersten Mal in einem Studienprogramm zu MC das endoskopische Ansprechen als koprimärer Endpunkt untersucht worden, so Juillerat. Die Kriterien für eine klinische Remission (SF und abdominaler Schmerzscore [abdominal pain score, APS]) wurden schon ab der vierten Woche nach Behandlungsbeginn signifikant häufiger erfüllt als unter Plazebo (15). Auch die endoskopischen Ansprechraten in Woche 12 waren in den Risankizumab-Armen signifikant höher als unter Pla-
zebo (ADVANCE: 40,2 vs. 12,0%; MOTIVATE: 28,8 vs.
11,2%).
In der Phase-III-Studie FORTIFY wurde untersucht, inwie-
weit eine Remission bei den Patienten, die in den Induktions-
studien auf Risankizumab angesprochen hatten, über 52
Wochen hinweg erhalten werden kann. Als koprimäre End-
punkte waren die klinische Remission (erhoben via CDAI
oder durchschnittliche tägliche SF und APS) sowie das endo-
skopische Ansprechen in Woche 52 definiert (16). Mehr als
30 Prozent aller Patienten erreichten unter Risankizumab
(360 mg s.c.) eine mukosale Heilung, und fast jeder zweite
Patient ohne vorheriges Biologikaversagen war nach 1 Jahr
in endoskopischer Remission. Behandlungsbedingte uner-
wünschte Ereignisse seien bis Woche 12 unter Risankizumab
ähnlich häufig gewesen wie bei Plazebo, merkte der Experte
an. s
Christine Mücke
Quelle: «IBD-Update: clinical and endoscopic remission – the new therapeutic target in Crohn’s Disease», Medien-Roundtable AbbVie, 3.10.2023 in Zürich.
Referenzen: 1. Kaplan CG, Ng SC: Understanding and Preventing the Global Increase of
Inflammatory Bowel Disease. Gastroenterology. 2017;152(2):313-321.e2. 2. Solberg IC et al.: Clinical course in Crohn’s disease: results of a Norwe-
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