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FORTBILDUNG
Hautkrankheiten: Was ist häufig in der Hausarztpraxis?
In der Hausarztpraxis sehen wir eine breite Palette von harmlosen Hautveränderungen bis zu akut lebensbedrohlichen Dermatosen. Deshalb ist es hilfreich, wenn Allgemeinärzte auch über einen fundierten Überblick über häufig anzutreffende dermatologische Problemstellungen verfügen.
Angelika Reitböck
Einfache Hauterkrankungen können in der allgemeinmedizinischen Praxis bereits diagnostiziert und therapiert werden.
Strategie beim Erstkontakt mit Patienten
Es empfiehlt sich, bei der Beurteilung von Hauteffloreszenzen im Sinne einer standardisierten Systematik vorzugehen. An erster Stelle steht die Beurteilung der Effloreszenzen, gefolgt von einer genauen Anamnese und Erhebung möglicher zusätzlicher Allgemeinsymptome (vgl. Kasten 1).
Ekzeme
Aufgrund ihrer Häufigkeit verdienen die «Ekzeme» besondere Beachtung und Erwähnung. Deren Ursachen sind mannigfaltig. Der Bogen spannt sich dabei von irritativer, allergischer, atopischer, toxischer, exsikkatorischer, seborrhoischer bis zu photoallergischer Genese. Abbildung 1 zeigt die typischen Charakteristika eines Ekzems wie Rötung, Schuppung und ursachenabhängige typische lokale Ausbreitung.
MERKSÄTZE
� Bei Hautveränderungen gilt: Effloreszenzen beurteilen, Anamnese erheben, nach Allgemeinsymptomen fragen.
� Ekzematöse Hautveränderungen mit quälendem Juckreiz bei Kindern sind richtungsweisend für Neurodermitis.
� Bei quälendem nächtlichen Juckreiz mit Kratzeffloreszenzen besteht Verdacht auf Skabies.
� Jede unklare hervorstechende solitäre Hautläsion ist als potenziell malignitätsverdächtig einzustufen.
� Bakterielle Infekte bei Diabetikern und immunsupprimierten Patienten sollte man früh erkennen und entschieden therapieren.
Symptom Juckreiz
Der auch häufig zusätzlich auftretende Juckreiz ist differenzialdiagnostisch ein wichtiges Leitsymptom bei pädiatrischen Hautproblemen. Bis zu 25 Prozent der Kinder im Vorschulalter leiden an Ekzemen, die durch vermehrte Hauttrockenheit verursacht werden. Stellt sich dabei noch ein besonders starker und quälender Juckreiz ein, kann bereits die Verdachtsdiagnose einer eventuell vorliegenden Neurodermitis gestellt werden (Abbildung 2). In den letzten Jahren wurden auch in der allgemeinmedizinischen Praxis aktuelle Akzentuierungen im Spektrum dermatologischer Krankheitsbilder verzeichnet. Hier ist als Beispiel die Skabies anzuführen, deren Häufigkeit zugenommen hat (Abbildung 3). Typischerweise finden sich hier die Skabiesgänge an den Prädilektionsstellen (Interdigitalfalten der Hände, genital, axillär, umbilikal, perimamillär) in Verbindung mit einem quälenden nächtlichen Juckreiz. Es ist auch wichtig, in der allgemeinmedizinischen Praxis bakterielle Infekte wie Fussinfekte nach Bagatelltraumen, Erysipel und Phlegmone bei Diabetikern oder immungeschwächten Personen rasch richtig zu erkennen. Lokale Blasenbildungen und Einblutungen zeigen dabei schon eine verschärfte und fortgeschrittene Verlaufsform. Unter Kenntnis und richtiger Interpretation dieser Hautveränderungen kann damit auch eine unverzügliche adäquate Therapie eingeleitet werden.
Tumoren
Aufgrund ihrer Gefährlichkeit sind unter den Hauttumoren die Melanome besonders hervorzuheben. Richtungsweisend ist bereits die erste Blickdiagnose. Ein auffälliges, unter allen anderen Naevi besonders hervorstechendes Muttermal sollte immer einen Alarm auslösen. In Abbildung 4 ist dieses besonders wichtige Initialkriterium, auch als «ugly duckling sign» bezeichnet, in typischer Form erkennbar. Gerade beim Melanom ist die Früherkennung von essenzieller Bedeutung, da hier der vertikalen Tumordicke zum Diagnose- bezie-
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ARS MEDICI 23 | 2023
Kasten 1:
Übersicht über häufige dermatologische Krankheitsbilder
▲ infektiös bedingt: bakteriell (z. B. Erysipel, Impetigo contagiosa, Borreliose), viral (z. B. Herpes simplex, Herpes zoster, Condylome, Verrucae, Mollusca contagiosa), pilzbedingt (z. B. Tinea, Onychomykose, Candidiasis), parasitär (z. B. Skabies, Pediculosis, Pulicosis, Insektenstiche)
▲ allergisch und immunologisch bedingt: Neurodermitis, Psoriasis, Urtikaria, allergisches Kontaktekzem, Alopecia areata, Effluvium
▲ physikalisch bedingt: Verbrennungen, Erfrierungen, Sonnenschäden, Dekubitalulzera
▲ tumorös bedingt: benigne Tumoren (Nävus, Lipom, Atherom, Fibrom, Keratosen), präkanzeröse Tumoren (aktinische Keratosen, Morbus Bowen, Cheilitis actinica), maligne Tumoren (Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom, Melanom)
FORTBILDUNG
Abbildung 2: Typisches Ekzem bei Neurodermitis (© A. Reitböck)
Abbildung 1: Lokal begrenztes Ekzem (© A. Reitböck)
hungsweise Exzisionszeitpunkt eine entscheidende prognostische Bedeutung zukommt.
Zusammenfassende Empfehlungen und Tipps für die allgemeinmedizinische Praxis
Symmetrische Hautveränderungen sind in der Regel harmlos (z. B. Neurodermitis, Psoriasis). Einseitige Hautveränderungen sind als suspekt und gefährlich zu betrachten, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Insbesondere eine tumoröse oder infektiöse Genese muss dabei zweifelsfrei ausgeschlossen werden.
Abbildung 3: Skabies (© A. Reitböck)
Im Fall harmloser Hautveränderungen sorgt der Satz «Es ist nicht ansteckend, und es ist nicht bösartig!» für eine sofortige und spürbare Erleichterung bei den Patienten. Die daraus resultierende Entspannung wirkt sich meist sehr günstig auf das weitere therapeutische Management aus.
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FORTBILDUNG
Kasten 2:
Wie gehe ich vor?
1. Effloreszenzen 2. Anamnese 3. Allgemeinsymptome
MR Dr. med. univ. Angelika Reitböck Ärztin für Allgemeinmedizin, Fachärztin für Dermatologie Präsidentin des Österreichischen Hausärzteverbands Leiterin des Vorsorgereferates der OÖ Ärztekammer A-4571 Steyrling
Interessenlage: Die Autorin hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien erstmals in «doctors today» 3/23. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
Abbildung 4: «Ugly duckling sign» bei einem Melanom (© A. Reitböck)
In einer Allgemeinarztpraxis können viele dermatologische
Probleme diagnostiziert und adäquat behandelt werden. Bei
komplizierteren oder unklaren Krankheitsbildern sollte je-
doch eine unverzügliche zielgerichtete Zuweisung zum Fach-
arzt für Dermatologie erfolgen.
s
Literatur: 1. Abuabara K et al.: Prevalence of Atopic Eczema Among Patients Seen in
Primary Care: Data From The Health Improvement Network. Ann Intern Med. 2019;170(5):354-356. 2. Misery L et al.: A position paper on the management of itch and pain in atopic dermatitis from the International Society of Atopic Dermatitis (ISAD)/Oriented Patient-Education Network in Dermatology (OPENED) task force. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2021;35(4):787-796. 3. Bridgman AC et al.: The multidimensional burden of atopic dermatitis: an update. Ann Allergy Asthma Immunol. 2018;120(6):603-606. 4. Yosipovitch G, Papoiu AD: What causes itch in atopic dermatitis? Curr Allergy Asthma Rep. 2008;8(4):306-311. 5. Welch E et al.: Recent advances in understanding and treating scabies. Fac Rev. 2021;10:28. 6. Richards RN: Scabies: Diagnostic and Therapeutic Update. J Cutan Med Surg. 2021;25(1):95-101. 7. Grob JJ, Bonerandi JJ: The ‹ugly duckling› sign: identification of the common characteristics of nevi in an individual as a basis for melanoma screening. Arch Dermatol. 1998;134(1):103-104. 8. Gaudy-Marqueste C et al.: Ugly Duckling Sign as a Major Factor of Efficiency in Melanoma Detection. JAMA Dermatol. 2017;153(4):279-284. 9. de Macedo GM et al.: Skin disorders in diabetes mellitus: an epidemiology and physiopathology review. Diabetol Metab Syndr. 2016;8(1):63.
Aktualisierte S3-Leitlinie Osteoporose
Überarbeiteter Algorithmus zur Bestimmung des Frakturrisikos
Die kürzlich veröffentlichte Osteoporoseleitlinie des Dachverbands Osteologie fasst die aktuelle Evidenz zu Prävention, Diagnostik und Therapie der Osteoporose zusammen und ersetzt die Version von 2017. Überarbeitet wurde zum Beispiel der Algorithmus zur Berechnung des individuellen Frakturrisikos, er berücksichtigt neu rund 100 evidenzbasierte Risikofaktoren, unter anderem entzündlich rheumatische Erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis, den systemischen Lupus erythematodes und Spondyloarthritiden. Osteoporotisch bedingte Frakturen haben zwischen 2009 und 2019 deutlich zugenommen, der aktualisierten Leitlinie zufolge kommt es pro Jahr bei knapp 50 von 100 000 Frauen zwischen 50 und 59 Jahren zu einer Fraktur des Oberschenkels. Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz weiter, bei den > 90-Jährigen sind rund 4400 von 100 000 Frauen betroffen – wobei das Alter nicht allein ausschlaggebend ist. Neu wird eine Basisuntersuchung auf Osteoporose dann empfohlen, wenn eine Glukokortikoidtherapie mit ≥ 7,5 mg Tag für länger als drei Monate geplant ist, auch wenn die Betroffenen jünger als 50 Jahre sind. Zudem sollte bei rheumatologischen Patienten > 70 Jahre einmal im Jahr nach Stürzen und dadurch bedingten Frakturen gefragt, das Sturzrisiko evaluiert und die Mobilität beurteilt werden. Auch die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie einer Osteoporose wurden adaptiert. Die Tatsache, dass das Frakturrisiko in den ersten Jahren nach einem Sturz besonders hoch ist, wird dabei ebenso wie eine Glukokortikoidtherapie stärker gewichtet. Bei den konkreten Empfehlungen zu den antiresorptiven und osteoanabolen Wirkstoffen wurden sowohl neue Evidenz als auch neue Wirkstoffe berücksichtigt, die daraus resultierenden Empfehlungen sind stärker als bislang auf individuelle Patientencharakteristika abgestimmt. Mü
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)/Pressemitteilung, 05.10.2023
Zur S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 50.Lebensjahr gelangen Sie via QR-Code oder über folgende Adresse: https://www.rosenfluh.ch/qr/s3_ll-osteoporose-2023
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