Transkript
Funktionelle Medizin & Big Pharma
«Personalisiert» ist nicht automatisch «persönlich»
FORUM
«Jeder dritte Parlamentarier hat ein Lobbymandat der Gesundheitsbranche …» titelte die «SonntagsZeitung» in ihrer Ausgabe vom 1. Oktober 2023. Dabei gäbe es zum «Primat der Pharmakotherapie», zum «Syndikat der Krankenkassen» und zum «Diktat des Kostendrucks» durchaus valable Alternativen und sinnvolle Ergänzungen: eine funktionelle Medizin, die sich konsequent an den Ressourcen des einzelnen Menschen orientiert …
Fokus Medizin: Schulmedizin und funktionelle Medizin
Die Schulmedizin als evidenzbasierter Ansatz fusst auf wissenschaftlichen Beweisen und klinischer Forschung. Sie zeichnet sich durch die Anwendung von medizinischen Standards, evidenzbasierten Behandlungen und bewährten Praktiken aus, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Die Schulmedizin legt grossen Wert auf die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität von medizinischen Interventionen und betont die Verwendung von Arzneimitteln sowie chirurgischen beziehungsweise interventionellen Eingriffen (siehe Kasten 1) zur Verbesserung der Patientengesundheit. Die funktionelle Medizin unterscheidet sich vom Ansatz her von der Schulmedizin durch fünf Hauptmerkmale, welche die Schulmedizin gemäss der reinen Lehre durchaus auch für sich beanspruchen könnte, es aber im klinischen Alltag selten so weit kommen lässt: 1. Holistischer Ansatz: Die funktionelle Medizin betrachtet
den Menschen als Ganzes, berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist. 2. Patienten-Empowerment: Echtes Empowerment stärkt die Handlungs- und Entscheidungsautonomie des Patienten. Viele Ärzte tun sich mitunter schwer damit, zum Beispiel bei Impffragen.
Kasten 1:
Operationshäufigkeit in der Schweiz, 2021
Erstimplantation einer Totalendoprothese Hüftgelenk Erstimplantation einer Totalendoprothese Kniegelenk Koronarangioplastik (PTCA) mit Ballons tiefe zervikale Sectio caesarea, primär & sekundär plastische Rekonstruktion bei Hallux valgus Exzision einer Bandscheibe
Quelle: BFS – Medizinische Statistik der Krankenhäuser 2022
22 300 16 446 15 011 27 632 5842 6780
3. Multikausale Ursachen: Statt einzelne Symptome zu behandeln (z.B. Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Schmerz, Depression), sucht die funktionelle Medizin nach den zugrunde liegenden, meist vielfältigen Ursachen von Krankheiten. Dies kann zur Identifizierung von Entzündungen, Nährstoffdefiziten, Toxinbelastung, durchlebten Traumata, ungenügender Selbstführung, Störungen im sozialen Umfeld und anderen (Lifestyle-)Faktoren führen.
4. Individualisierung: Funktionelle Medizin legt grossen Wert auf die Individualisierung der Behandlung – dies im Gegensatz zu den evidenzbasierten Standardtherapien. Sie berücksichtigt die genetischen, die Umwelt- und die Lebensstilfaktoren eines Patienten, um personalisierte Therapiepläne zu erstellen.
5. Prävention als integrierter Bestandteil: Eine funktionelle Medizin betont die (sekundäre) Prävention von Krankheiten durch Lebensstiländerungen, gesunde Ernährung, Bewegung und Stressmanagement.
Fokus Big Pharma: personalisierte Medizin
Die «personalisierte Medizin» präsentiert sich als individuell massgeschneiderte Diagnose, Behandlung und Prävention von Krankheiten auf genetisch-molekularer und immunologischer Basis. Seit das aktuelle Blockbuster-Modell – Medikamente für möglichst viele Menschen, am besten lebenslänglich – zum Auslaufmodell erklärt wurde, stellt Personalized Medicine das künftige Ertragsmodell von Big Pharma dar: s Genetische Tests und Biomarker, um Patienten zu identi-
fizieren, die von bestimmten Medikamenten oder Therapien profitieren. s Personalisierte Medikamente, die spezifische genetische oder molekulare Profile berücksichtigen, um eine bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit zu erzielen. s Analyse grosser Datensätze und Bioinformatik, um Muster und Zusammenhänge zwischen Genotyp, Phänotyp, Immunotyp und Krankheiten zu identifizieren. s Klinische Studien, um die Wirksamkeit personalisierter Behandlungen nachzuweisen und die Zulassung kostenintensiver Therapien bei den Gesundheitsbehörden zu erwirken.
ARS MEDICI 23 | 2023
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Kasten 2:
Umsatzstarke Spritzen
Zolgensma®
Spinale Muskeldystrophie
CHF 2,1 Millionen (Swissinfo.ch, 31.05.2019)
Hemgenix®
Hämophilie-B-Patienten
US$ 3,5 Millionen («Beobachter», 01.12.2022)
mRNA-Vakzine, 2021 Umsatz weltweit: US$ 64,9 Milliarden (de.statistica.com, 15.07.2022)
Eine Sprechstundenmedizin, welche bewusst an die evolutionsbiologisch erworbene Intelligenz des psycho-neuroimmuno-endokrinen Systems andockt und konsequent die individuell vorhandenen Ressourcen stärkt, birgt das Potenzial einer «persönlichen und zukunftsfähigen Medizin» in sich – als sinnvolle Ergänzung zum technisch orientierten personalisierten Ertragsmodell von Big Pharma. Als Facharzt für Allgemeine Medizin mit eigener Grosspraxis in Zürich hatte ich das Privileg, während 30 Jahren funktionelle Medizin zu praktizieren, zunächst mit dem Schwerpunkt Bewegung und konservative Orthopädie, im weiteren Verlauf unter salutogenetischem Einbezug von Schlaf, Stressresilienz und einer gesunden Ernährung. In der Onlineversion des Beitrags finden Sie eine Reihe von konkreten Beispielen, was funktionelle Medizin alles umfassen kann, etwa im Bereich der Ernährung (funktionelle Gastroenterologie), der Bewegung (funktionelle Orthopädie), beim Thema Stress (funktionelle Kardiologie) und in vielen weiteren Bereichen der Medizin.
Meine Motivation, diesen Artikel zu schreiben, ist dreifacher
Natur, nämlich:
1. den einen oder anderen Schulmediziner für das Potenzial
der funktionellen Medizin zu interessieren,
2. mich bei allen Pionieren der funktionellen Medizin im
Lande zu bedanken,
3. in eigener Sache: Ich suche per Frühling 2024 Gleichge-
sinnte für ein Zentrum «Funktionelle Medizin» in Zürich,
in Basel und in Bern.
s
Dr. med. Christian Larsen Med Center Zürich Privatklinik Bethanien Restelbergstrasse 27 8044 Zürich
Bei Interesse an funktioneller Medizin freue ich mich über
jede Kontaktaufnahme unter: christian.larsen@spiraldynamik.com