Transkript
BERICHT
Schnupfen, Husten, Halsschmerzen ...
Wann Antibiotika mehr schaden als nützen
Ob Pharyngitis, Sinusitis oder Bronchitis – die meisten dieser Infektionen werden durch Viren ausgelöst. Daher sind Antibiotika in der Regel nutzlos oder sogar kontraproduktiv. Was sind mögliche Folgen einer nicht indizierten Antibiotikaverordnung? Und was tun, wenn Patienten dennoch darauf bestehen?
Antibiotika würden grösstenteils von Allgemeinärzten verordnet, erklärte PD Dr. med. Ulrich Seybold, Infektionsambulanz am Klinikum der Universität München (LMU), beim Infektiologie-Refresher des Forums für medizinische Fortbildung (FOMF) in München. Bei Erwachsenen spielen Fluorchinolone und Sulfonamide/ Trimethoprim eine grössere Rolle, bei Kindern dominieren Makrolide/Lincosamide und Basispenicilline. Unter den sogenannten Reserveantibiotika steht Cefuroxim an erster Stelle. Zu bedenken ist dabei, dass bei oraler Gabe im Vergleich zur i.v. Gabe wesentlich geringere Wirkspiegel erreicht werden und zugleich die Resistenzraten bei oraler Gabe um ein Vielfaches höher liegen. Mit anderen Worten: «Hände weg vom Cefuroxim per os!», warnte Seybold. Es gibt gute Alternativen – je nach Situation zum Beispiel ein Cephalosporin der 1. Generation oder ein Aminopenicillin. Chinolon- und Fluorchinolonantibiotika bergen zudem das Risiko lang anhaltender und möglicherweise irreversibler Nebenwirkungen, zum Beispiel Clostridium-difficile-Infektionen oder Aortenaneurysma/-dissektion. Deshalb gab es 2019 einen Rote-Hand-Brief zu den Fluorchinolonen. Die 5 Fragen, die Sie bei jeder kalkulierten Antibiotikagabe klären müssen, lauten: s Was ist das klinisch definierte Syndrom? s Welche Diagnostik ist notwendig? s Welche Erreger treten auf? s Sind Antibiotika indiziert und falls ja, welche? s Ist eine spezifische individuelle Anpassung nötig? Werden Antibiotika eingesetzt, muss nach 48 bis 72 Stunden eine Reevaluation erfolgen. Dabei gilt es zu prüfen, ob die The-
KURZ & BÜNDIG
� Bei unkomplizierten Infekten der oberen Atemwege sollte man besser auf Antibiotika verzichten.
� Bei Patientenwunsch könnte eine verzögerte Antibiotikagabe eine gute Strategie sein.
� Antibiotika können auch Nebenwirkungen verursachen.
rapie verträglich und wirksam ist, ob sie gegebenenfalls angepasst werden muss und wie lange behandelt werden sollte.
Pharyngitis
Hierzu präsentierte Seybold ein Fallbeispiel: Frau B., 28 Jahre alt, hat seit 1 Tag Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Sie hat keine Vorerkrankungen und nimmt keine Medikamente ein. Die Temperatur beträgt 38,5 °C, die zervikalen Lymphknoten sind geschwollen. Die Tonsillen weisen Eiterbeläge auf. «In diesem Fall ist das klinisch definierte Syndrom, das Sie behandeln, die Pharyngitis», erklärte der Infektiologe. An Diagnostik empfiehlt sich unter anderem ein Abstrich. Da es sich auch um eine EBV(Epstein-Barr-Virus)-Infektion handeln könnte, sollte man auch einen Blick auf die Lymphknoten in Achseln und Leisten werfen, die bei einer EBV-Infektion ebenfalls geschwollen sind, nicht aber bei einer Streptokokkeninfektion. Die relevanten bakteriellen Erreger der Pharyngitis sind Streptococcus pyogenes (Gruppe-A-Streptokokken, GAS) und, eher bei jüngeren Menschen (13 bis 40 Jahre), Fusobacterium necrophorum. Diese Erreger können zum einen Krankheiten auslösen, zum anderen können sie durch deren Therapie für die Patienten etwas Positives bewirken, zum Beispiel die Verhinderung von rheumatischen oder nephrologischen Spätkomplikationen, vor allem aber die Verhinderung der Weiterverbreitung der Bakterien. Laut den Leitlinien der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) sind Hinweise auf eine Pharyngitis fehlender Husten, Tonsillenbelag, Fieber und schmerzhafte Halslymphknoten. Ist dann noch der Schnelltest für GAS positiv, ist eine Pharyngitis, die antibiotisch behandelt werden sollte, sehr wahrscheinlich. Primär sollte man dann hoch dosiertes Penicillin V oder G wählen (z. B. Penicillin V 4-mal 1,2 Mio. IE [Internationale Einheiten] über 5 Tage). Gemäss einem systematischen Review konnte kein Wirkungsvorteil anderer Antibiotika im Vergleich zu Penicillin festgestellt werden.
Akute Sinusitis
Nur bei Hospitalinfektionen ist eine mikrobiologische Diagnostik indiziert. Sehr oft sind Viren die Auslöser. Häufige bakterielle Erreger sind S. pneumoniae, H. influenzae,
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M. catarrhalis, S. aureus und S. pyogenes. In den allermeisten Fällen reichen Lokal- und Allgemeinmassnahmen aus. Nur bei Persistenz ist Amoxicillin und bei komplizierten Verläufen die Fixkombination Amoxicillin/Clavulansäure indiziert, alternativ bei Allergien Cefpodoxim, Makrolid, Trimethoprim (TMP)/Sulfamethoxazol (SMX), Clindamycin oder Doxycyclin.
Pertussis
Ein klinischer Verdacht ist unbedingt zu sichern durch Polymerasekettenreaktion (PCR) oder Kultur. Hierbei ist in der frühen Phase (erste 2 bis 3 Wochen) eine Antibiotikatherapie indiziert, schon allein um eine Ansteckung zu vermeiden. Empfohlen wird ein Makrolid über 5 bis 7 Tage, alternativ TMP/SMX über 14 Tage. Wichtig ist, die Pertussisimpfung regelmässig aufzufrischen: bei Kontakt mit kleinen Kindern oder Tätigkeit im Gesundheitssystem alle 10 Jahre sowie bei Frauen in jeder Schwangerschaft. Ausserdem ist eine Pertussisinfektion meldepflichtig.
Husten
Ein typischer Fall: Ein 60-jähriger Patient hat seit 1 Woche Husten sowie Hals- und Kopfschmerzen, seit 2 Tagen leicht erhöhte Temperatur (38,5 °C), das Röntgenbild ist unauffällig. Da in der Woche danach eine Fernreise geplant ist, wünscht der Mann die Verordnung eines Antibiotikums. Was tun? Hilft man dem Patienten durch die Antibiotikagabe wirklich, schneller wieder auf die Beine zu kommen? Gemäss einer grossen Cochrane-Analyse, die den Einfluss von Antibiotika bei akuter Bronchitis untersucht hat, konnte keine einzige Einzelstudie einen signifikanten Effekt belegen. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Symptomdauer einer 8- bis 10-tägigen Erkrankung durch Antibiotika um im Schnitt einen halben Tag reduzieren lässt. Diesem minimalen Gewinn steht aber die drohende Gefahr immer weiter steigender Antibiotikaresistenzen bei nicht indiziertem Einsatz von Antibiotika gegenüber. Das allein wird den Patienten vermutlich nicht überzeugen. Ein Argument, das eher verfangen dürfte, ist, dass Antibiotika auch Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Kopfschmerzen oder Ausschlag verursachen können, was ja die Flugreise auch verhindern könnte. Hinzu kommt, dass man durch jede Antibiotikagabe das Mikrobiom verändert. In einer anderen Studie wurde untersucht, wie hoch innerhalb von 90 Tagen nach einer Antibiotikatherapie das Sepsisrisiko war. Ergebnis: Das Risiko stieg um mindestens 50 Prozent, bei allerdings eher geringen Absolutzahlen. Behandelt wurde mit Fluorchinolonen, Betalactamaseinhibitoren, Lincosamiden und Cephalosporinen höherer Generationen. Ausserdem kann die Veränderung des Mikrobioms auch Spätfolgen haben. So konnte man belegen, dass das Risiko eines M. Parkinson im späteren Leben mit der Anzahl der Antibiotikaeinnahmezyklen und mit steigendem Abstand zwischen den einzelnen Zyklen zunahm. Man sollte also in Situationen, in denen Antibiotika nicht oder sehr wenig helfen, besser darauf verzichten, also etwa bei Patienten mit unkomplizierten akuten oberen Atemwegsinfektionen inklusive Bronchitis. Was können Sie dem Patienten nun raten, ausser «abzuwarten»? Könnte Echinacea eine Alternative sein? Gemäss einem
Cochrane-Review und einem Update dazu hatte Echinacea keinen Einfluss auf die Symptome und die Erkältungsdauer. Pelargonium sidoides bewirkt laut einer Cochrane-Analyse möglicherweise eine geringe Symptomlinderung. In einer kleineren Untersuchung, die vom Hersteller selbst stammt, hat sich die Substanz als effektiv, sicher und gut verträglich erwiesen. In vitro hat Pelargonium sidoides auf jeden Fall antivirale Effekte gezeigt. Nützen Hustenbonbons? Der süsse Geschmack hebe die Hustenschwelle, und Menthol könnte möglicherweise über eine Kreuzreaktion mit einem Hustenrezeptor wirken, erklärte Seybold. Die Kombination «süss und Menthol» könnte also den Husten etwas lindern. Eine grosse internationale Studie, die Alternativen zum Antibiotikum bei Husten, assoziiert mit Erkältung, untersuchte, kam zu folgenden Schlüssen: s N-Acetylcystein wirkt nur, wenn man es 6 bis 7 Tage lang
einnimmt. s Für Erwachsene zeigte sich ein geringer Effekt für die
Kombination aus Dextromethorphan, Doxylamin, Paracetamol und Ephedrin (z. B. Vicks MediNait®). s Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) bei Erwachsenen hatten keinen Effekt, was die Verkürzung der Krankheit angeht. s Bei ansonsten gesunden Erwachsenen könnten Lutschtabletten helfen. s Bei Kindern zwischen 1 und 18 Jahren helfen Honig und Dextromethorphan ein bisschen. s Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollten kein Codein erhalten. Es bewirkt keine Verkürzung der Krankheitsdauer, jedoch eine Symptomlinderung. s Keine ausreichende Evidenz bei Kindern und Erwachsenen ergab sich – weder dafür noch dagegen – für andere OTC(over the counter, nicht verschreibungspflichtig)-Präparate, Antitussiva, Expektoranzien, Mukolytika, Antihistaminika und Kombinationspräparate.
Verzögerter Antibiotikaeinsatz
In einer Studie wurden 3 Handlungsalternativen (sofortige
Antibiotikagabe; verzögerte Antibiotikagabe mit dem Rat,
das Antibiotikum erst bei Verschlimmerung einzunehmen;
keine Antibiotikagabe) in einer wie oben beschriebenen Situ-
ation verglichen. Die Komplikationsraten waren in allen 3
Gruppen vergleichbar. Auch die Patientenzufriedenheit un-
terschied sich nur leicht. Aber in der Sofort-Antibiotika-
Gruppe nahmen 93 Prozent der Patienten das Antibiotikum
dann auch ein, in der verzögerten Gruppe nur 31 Prozent.
Eine verzögerte Antibiotikatherapie mit guter Aufklärung
des Patienten über die möglichen Gefahren des Antibiotika-
einsatzes, ohne ihm seinen Wunsch rigoros abzuschlagen,
scheint also eine gute Strategie zu sein.
s
Vera Seifert
Dieser Artikel erschien erstmals in «doctors today» 1/23. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
Quelle: Vortrag « Obere Atemwegsinfektionen – viral oder bakteriell?» von PD Dr. med. Ulrich Seybold, Infektionsambulanz am Klinikum der Universität München (LMU), am Infektiologie-Refresher des Forums für medizinische Fortbildung (FOMF), 27. Januar 2023 in München.
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