Transkript
Neues Abgeltungsmodell für die Arzneimittelabgabe?
Interview mit Dr. Sven Bradke, Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA)
Die Einführung eines neuen Abgeltungsmodells für selbstdispensierende Ärztinnen und Ärzte wird sich verzögern. In einer weiteren Diskussionsrunde sollen noch Vertreter von Konsumentenschutzorganisationen sowie Versandapotheken zugezogen werden. Nach diesen Beratungen ist eine Empfehlung an den zuständigen Bundesrat zur Weiterbearbeitung der vorgesehenen Revision zu erwarten. Im Interview erläutert der Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke (APA) Sven Bradke die Hintergründe.
ARS MEDICI: Herr Bradke, seit Jahren wird über ein neues Abgeltungsmodell für selbstdispensierende Ärztinnen und Ärzte diskutiert. Wann kommt denn dieses? Dr. Sven Bradke: Eine gute Frage. Vor Kurzem hätte ich noch voller Überzeugung gesagt, dass dies 2024 der Fall sein dürfte. Nun bin ich mir aber nicht mehr so sicher.
Warum? Bradke: Weil der im Herbst 2022 am Runden Tisch zwischen der Verhandlungsdelegation des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) einerseits und pharmaSuisse, APA/ FMH, H+, curafutura und santésuisse andererseits erzielte Kompromiss jüngst nicht zur Beschlussfassung an den Bundesrat gelangte. Da bei diesem Kompromissvorschlag die günstigsten Arzneimittel leicht teurer würden, entschied Bundespräsident Alain Berset als Reaktion auf mediale Proteste zweier Konsumentenschutzorganisationen, den Kompromiss nochmals an einen «erweiterten» Runden Tisch zurückzugeben. Diese Opposition kam spät, sehr spät – eigentlich zu spät. Hatten diese Konsumentenschutzorganisationen den verhandelten Kompromiss doch schon vor einem Jahr erklärt bekommen.
Zurück an einen «erweiterten» Runden Tisch? Bradke: Ja, der damalige Runde Tisch wurde um Vertreter dreier Konsumentenschutzorganisationen sowie einen Vertreter der Versandapotheken erweitert. Der neue Auftrag dieses Runden Tisches ist es nun, über mögliche Modifikationen des ehemaligen Kompromisses zu beraten. Diese Beratungen finden derzeit statt. Es besteht die Absicht des EDI, nach diesen Beratungen dem Bundesrat auch noch diesen Teil der jüngsten KVV/KLV-Revision zur Beschlussfassung vorzulegen.
Und dann? Bradke: Wird der Bundesrat entscheiden, ob es ein neues Abgeltungsmodell geben wird und wie dieses aussehen soll. Für
Foto: zVg
Zur Person
Dr. rer. publ. HSG Sven Bradke ist der Geschäftsführer der Vereinigung der Ärzte mit Patientenapotheke APA. Sven Bradke sass im Auftrag der APA und der FMH als einziger Vertreter der Ärzteschaft an den im Interview genannten Runden Tischen des EDI. Vgl. www.patientenapotheke.ch
die erneute Änderung der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) ist eine weitere Beschlussfassung des Bundesrates nötig. Über die Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) kann das EDI autonom entscheiden. Die beiden Revisionen gehören aber inhaltlich zusammen.
Gehen Sie davon aus, dass der Kompromissvorschlag vom Bundesrat angenommen wird? Bradke: Der letztjährige Kompromissvorschlag war eine Empfehlung an den Bundesrat, ein solches Abgeltungsmodell zu erlassen. Jetzt gilt es, die neuerlichen Verhandlungen am Runden Tisch zu führen. Wir sind gespannt, zu welcher Lösung diese führen werden. Ein neues Abgeltungsmodell dürfte nun frühestens Mitte 2024 kommen.
Wie sah denn das «neue» Abgeltungsmodell bisher aus? Bradke: Es ist ein «strukturveränderndes Sparpaket», das Fehlanreize abschaffen und zur Förderung des Einsatzes von Generika beitragen soll. Grundlage hierfür ist weiterhin der Artikel 67 KVV, der für verschreibungspflichtige Arzneimittel erstens einen preisbezogenen (prozentualen) Zuschlag für die Kapitalkosten, die Lagerhaltung und für ausstehende Guthaben sowie zweitens einen fixen Frankenzuschlag pro Pa-
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ckung für die Transport-, Infrastruktur- und Personalkosten auf den Ex-Factory-Preis vorsieht. Der neue Vertriebsanteil hätte nur mehr drei statt sechs Preisklassen, würde die heute bestehenden Quersubventionierungen reduzieren sowie für Einsparungen über alle Abgabekanäle (Apotheke, Arztpraxis, Spital, Versandhandel) in der Höhe von rund CHF 60 Millionen jährlich sorgen.
Geht es bei der Reform nicht auch um einen gleichen Vertriebsanteil für wirkstoffgleiche Arzneimittel? Bradke: Doch, richtig. Die rund CHF 60 Millionen an Ersparnissen über alle Abgabekanäle würden sich aus der beschriebenen Reform einerseits sowie aus einem gleichen Vertriebsanteil für wirkstoffgleiche Originale und Generika andererseits zusammensetzen. Die Originale wären so weiterhin teurer, die
Vertriebsanteile (Marge) für Originale und wirkstoffgleiche Generika aber gleich. Die Ärztinnen und Ärzte haben ihre Patientinnen und Patienten ab nächstem Jahr übrigens so oder so darüber zu informieren, welche Originalpräparate welche Selbstbehalte auslösen, sofern verfügbare Generika auf dem Markt sind.
War Sparen die einzige Zielsetzung der KVV/KLV-Revision? Bradke: Das schien uns über Jahre so zu sein. Der nach den Vorgaben des EDI erarbeitete Kompromiss würde nun aber auch wichtige strukturelle Veränderungen bringen, Fehlanreize abschaffen und Generika fördern. Zu betonen gilt aber, dass die betriebswirtschaftlichen Kriterien im Artikel 67 KVV eigentlich deutlich formuliert sind. Die dort genannten Kosten, die durch den Vertriebsanteil gedeckt werden sollten, sind insbesondere in der jüngeren Vergangenheit nicht gesunken. Sparen hat also auch seine rechtlichen Grenzen.
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Wie geht es nun weiter? Bradke: Die Ergebnisse des neuerlichen Runden Tisches dürften die Grundlage für den Antrag an den Bundesrat sein. Es liegt dann in den Händen des Bundesrates, ob ein neues Abgeltungsmodell verordnet wird, wie dieses aussieht und wann dieses zur Umsetzung gelangen soll. Wir haben uns seitens der Ärzteschaft über Jahre hinweg – gemeinsam mit anderen Leistungserbringern sowie mit dem Versicherungsverband curafutura – engagiert und tatkräftig für eine politisch, medizinisch und betrieblich gangbare Abgeltung eingesetzt. Illusorische Forderungen, die oftmals plakativ in die politische Arena geworfen wurden, lehnten wir jeweils ab. Wir hoffen nun, dass auch dem Bundesrat der Vertrieb und die qualitativ hochwertige Abgabe von Arzneimitteln etwas wert sind.
Danke für das Gespräch. Das Interview führte Christine Mücke. 18. Oktober 2023
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