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BERICHT
Medikamentöse Therapie bei COVID-19
Vorgehen bei Infektionen hängt vom Risiko ab
Auch wenn die Coronapandemie gefühlt eine Weile her ist, gibt es noch COVID-19-Fälle. Wie auch bei anderen respiratorischen Infekten war in den letzten Jahren jeweils von November bis April ein Peak an Erkrankungen zu verzeichnen. Neben einer angepassten Impfung gegen die derzeit vorherrschende Omikronvariante steht für Patienten mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf ein Virostatikum zur Verfügung.
Aufgrund der hohen Mutationsrate von RNA-Viren entstehen fortwährend neue SARS-CoV-2-Varianten, und die entsprechenden Impfstoffe müssen beständig angepasst werden, um den jeweils zirkulierenden Varianten zu entsprechen. Seit Kurzem stehen auch gegen die aktuell vorherrschende Omikron-XBB-Variante (1) angepasste Impfstoffe und aktualisierte Impfempfehlungen zur Verfügung (siehe Seite 632 ff.). Eine Immunität infolge von früheren Impfungen oder durchgemachten Infektionen bedeutet zwar ebenfalls noch einen gewissen Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf, aber der Schutz nimmt mit der Zeit und gegenüber dieser derzeit zirkulierenden Variante ab, wie Prof. Marta Boffito, vom Royal College of Physicians, London, an einem MedienRoundtable der Firma Pfizer erklärte (2). Die Spitzen der
SARS-CoV-2-Infektionen sind, ähnlich wie bei Influenza, RSV-Infektionen und Infektionen mit anderen Coronaviren, zwischen November und April zu verzeichnen – und damit einher geht auch ein Anstieg der diesbezüglichen Hospitalisationen (3, 4). Im Vergleich zu Influenza ist das Risiko, an den Folgen einer COVID-19-Erkrankung zu versterben, signifikant erhöht (Hazard Ratio: 1,54; 95%-Konfidenzintervall: 1,18–2,01; p = 0,002) (5). Eine Betreuung auf der Intensivstation wurde jedoch nicht signifikant häufiger erforderlich.
Im Alter höheres Risiko
Obwohl unter den Älteren (ab 70 Jahre) mehr als 90 Prozent geimpft sind (6), ist das kumulierte Risiko, im Fall einer In-
Tabelle:
Antivirale Erstlinientherapie bei COVID-19
Patienten mit geringem oder mässigem Risiko
Patienten mit hohem Risiko
> 75 Jahre jeder Patient, unabhängig von Impfstatus oder
HIV-Infektion
mit einer CD4+ T-Zell-Zahl von < 200 pro µl Begleiterkrankungen > 60 Jahre bei unvollständigem Impfschema (keine
Immundefekte
hereditäre Immundefekte
Auffrischung seit mehr als 9 Monaten),
unabhängig von Komorbiditäten
bei signifikanten Begleiterkrankungen, unabhängig Therapien
monoklonale Anti-CD20-AK
vom Impfschema
monoklonaler Anti-CD19-AK
andere B-Zell-depletierende Therapien
Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor
immunsupressive Therapien
(v. a. Langzeiteinnahme von
Glukokortikoiden > 20 mg
Prednisonäquivalent/Tag oder
Krebs unter Chemotherapie)
> 18 Jahre Patienten mit erheblichen Begleiterkrankungen
hämatologische
bei Neutropenie
(kardiovaskuläre Risikofaktoren, chronische
Malignome
(< 1000 Neutrophile/µl
Lungenerkrankung, Trisomie 21, Übergewicht
für ≥ 1 Woche)
[BMI 30 oder höher] usw.) und unvollständigem
unter aktiver Therapie
Impfschema (keine Auffrischungsdosis seit
nach hämatopoetischer
mehr als 9 Monaten)
Stammzelltransplantation (HSCT)
Sichelzellerkrankung alle
Empfänger von
alle
soliden Organen
AK: Antikörper; BMI: Body-Mass-Index. Empfehlungen zum Einsatz von Paxlovid als antivirale SARS-CoV-2-Erstlinientherapie gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten (SSI), adaptiert nach Prof. Boffito.
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ARS MEDICI 22 | 2023
BERICHT
LINKTIPP
Hospitalisierungs- und Sterberaten bei COVID-19
▲ 6,8 Prozent der Patienten > 80 Jahre und 4,7 Prozent der Patienten im Alter von 70 bis 79 Jahren verstarben im Spital an COVID-19 (11).
▲ Die Hospitalisierungs- und Sterberate im Zusammenhang mit COVID-19 nimmt im Vergleich zur Referenzgruppe (18–29 Jahre) mit dem Alter zu (7).
▲ Die absoluten Zahlen der bestätigten Krankenhauseinweisungen und Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 nehmen nach Altersgruppen zu (sowohl in der Delta- als auch in der Omikronwelle) (12).
Interaktionscheck Den COVID-19-Interaktionscheck der University of Liverpool finden sie direkt via QRCode oder unter folgender Adresse:
https://www.covid19-druginteractions.org/checker
fektion hospitalisiert zu werden oder an den Folgen der Erkrankung zu versterben, im Vergleich zu den 18- bis 29-Jährigen mit zunehmendem Alter deutlich erhöht (relatives Risiko für Tod: 25-fach [50–64 Jahre]; 65-fach [65–74]; 140-fach [75–84])(7). Auch die meisten der registrierten Komorbiditäten waren ab dem 65. Lebensjahr häufiger, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, Bluthochdruck, chronische respiratorische Erkrankungen, chronische Nierenerkrankungen (CKD), Demenz oder ein Diabetes mellitus. Lediglich bei Rauchern und übergewichtigen Patienten seien während der Omikronwellen unter den 16- bis 64-Jährigen mehr Patienten stationär aufgenommen worden als bei den Patienten ≥ 65 Jahre, wie Boffito berichtete (8). Unter denen, die trotz mindestens 3-maliger Impfung aufgrund von COVID-19 ins Spital mussten, haben sich Alter, Bluthochdruck, CKD, Myokardinfarkt oder Herzinsuffizienz sowie die Zeit zwischen Impfung und Infektion als die wichtigsten Risikofaktoren herauskristallisiert (9).
Wann Virostatikum einsetzen?
Die Schweizerische Gesellschaft für Infektionskrankheiten hat Empfehlungen erarbeitet, für welche ambulanten Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und Risiko für Hospitalisierung/Tod eine Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) indiziert ist (10). Insbesondere für Patienten mit einem hohen Risiko werde eine Behandlung mit hoher Priorität empfohlen, solange keine Kontraindikationen (Niereninsuffizienz, eGFR < 30 ml/min; Leberinsuffizienz, Child-PughKlasse C; Komedikation mit Medikamenten, die durch CYP3A metabolisiert werden; Interaktionscheck mit Liverpool-Website) vorlägen, so Boffito. Insgesamt sei die Zahl der Patienten, die das Virostatikum aufgrund von Komorbiditäten oder Kontraindikationen nicht erhalten könnten, gering,
so Boffito weiter. Um die Interaktionspotenziale zu mindern, könnten beispielsweise Statine oder Antihypertensiva gegebenfalls auch einmal für 5 bis 7 Tage reduziert oder unterbrochen werden. Die Therapie sollte so rasch wie möglich nach der Diagnose erfolgen, um das Virus am Anfang der Replikation zu erwischen, ergänzte die Expertin. Patienten mit einem geringen oder mässigen Risiko kann eine Behandlung unter Beachtung der Kontraindikationen vorgeschlagen werden. Eine Übersicht zum Vorgehen in Abhängigkeit von individuellen Risikokonstellationen zeigt die Tabelle (Seite 630). s
Christine Mücke
Quelle: Medien-Roundtable «COVID-19: Aktuelle Lage und die Behandlungsmöglichkeit mit PAXLOVID®», 14. September 2023, in Zürich.
Referenzen:
1. BAG, COVID-19 Schweiz Informationen zur aktuellen Lage , Stand
24.10.2023. Epidemiologischer Verlauf, Schweiz und Liechtenstein. Virus-
varianten. https://www.covid19.admin.ch/de/epidemiologic/virus-vari-
ants. Letzter Zugriff: 25.10.2023
2. Link-Gelles R et al.: Estimates of Bivalent mRNA Vaccine Durability in
Preventing COVID-19-Associated Hospitalization and Critical Illness
Among Adults with and Without Immunocompromising Conditions -VI-
SION Network, September 2022-April 2023. MMWR MorbMortal Wkly-
Rep. 2023;72(21):579-588.
3. Wiemken TL et al. Seasonal trends in COVID-19 cases, hospitalizations,
and mortality in the United States and Europe. SciRep. 2023;13(1):3886.*
4. Portmann L et al.: Hospital Outcomes of Community-Acquired SARS-
CoV-2 Omicron Variant Infection Compared With Influenza Infection in
Switzerland. JAMA Netw Open. 2023;6(2):e2255599.
5. Federal Office of Public Health (FOPH). COVID-19 Switzerland. Informa-
tion on the current situation, as of 4 July 2023. Vaccinations, Switzerland
and Liechtenstein. Vaccinated people, Switzerland and Liechtenstein,
21.12.2020 to 03.07.202. https://www.covid19.admin.ch/en/vaccina-
tion/persons, last accessed: 25.10.2023
6. Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Eidgenössische Kommission für
Impffragen (EKIF). Krankheitslast Covid-19 (Stand Juni 2022). Verfügbar
unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/aus-
brueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/no-
vel-cov/information-fuer-die-aerzteschaft/covid-19-impfung.html. .
Letzter Zugriff: 25.10.2023
7. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Risk for COVID-19
Infection, Hospitalization, and Death By Age Group. 30 May 2023.
8. Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Eidgenössische Kommission für
Impffragen (EKIF). Krankheitslast Covid-19 (Stand Juni 2022). Available
at: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrue-
che-epidemien-pandemien/aktuelle-
ausbrueche-epidemien/no-
vel-cov/information-fuer-die-aerzteschaft/covid-19-impfung.html.
Letzter Zugriff 25.10.2023.
9. Ebinger JE et al. Hypertension and Excess Risk for Severe COVID-19 Illness
Despite Booster Vaccination. Hypertension.2022;79(10):e132-e134.
10. Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SSI). Empfehlungen zum
frühen Einsatz von Covid-19-Therapien und zu Prophylaxen erstellt von
der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie (SSI), 26. Mai 2023.
Verfügbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medi-
zin-und-forschung/heilmittel/versorgung-covid-19-arzneimittel.html.
Letzter Zugriff: 25.10.2023
11. Bericht zum spitalbasierten COVID-19-Sentinel-Überwachungssystem,
Datenstand: 22. Mai 2023. https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/do-
kumente/mt/k-und-i/aktuelle-ausbrueche-pandemien/2019-nCoV/
sentinel-corona-bericht-mai-023.pdf.download.pdf/2023_05_report_
DE_2023_06_06.pdf. Letzter Zugriff 25.10.2023.
12. KrankheitslastCovid-19 (Stand Juni2022). Bundesamtfür Gesundheit
(BAG) und EidgenössischeKommissionfür Impffragen(EKIF). Availa-
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che-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/no-
vel-cov/information-fuer-die-aerzteschaft/covid-19-impfung.html, last
accessed: 04.07.2023.
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