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FORTBILDUNG
Ernährung als Pfeiler der Therapie
Ernährungstherapie bei rheumatoider Arthritis und anderen Autoimmunerkrankungen
Bisher gibt es keine einfache Erklärung, warum Autoimmunerkrankungen, zu denen auch die rheumatoide Arthritis (RA) gehört, in den westlichen Industrienationen seit Jahrzehnten immer häufiger auftreten. Eines aber ist unstrittig: Eine Entzündung ist bei jeder dieser Erkrankungen festzustellen. Die Ernährungstherapie unterstützt die medikamentöse Bekämpfung der Entzündung unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen.
Olaf Adam
Pathogenese der Autoimmunerkrankungen
Die Unterscheidung zwischen «selbst» und «nicht selbst» ist eine der schwierigsten Aufgaben für das Immunsystem. Stets bedrohen Fremd- und Schadstoffe den Körper, die vom Darm, der Haut und den Schleimhäuten eindringen und vom Immunsystem beseitigt werden müssen. Durch eine Vielzahl von Stoffen, aber auch Einwirkungen oder Stoffwechselprodukten kann das Immunsystem in seiner Fähigkeit, zwischen «selbst» und «nicht selbst» zu unterscheiden, beeinträchtigt werden (Abbildung 1). Der Darm muss Nährstoffen das Eindringen in den Körper erlauben, ja sogar erleichtern, während Bakterien und Viren abgewehrt werden müssen. Viren und Bakterien haben sehr ähnliche Eiweissstrukturen wie Körperzellen und sind oft tödliche Gefahren für den Wirt, wenn sie nicht rasch entfernt werden; jedoch sollen die Körperzellen verschont bleiben. Die Unterscheidung zwischen «selbst» und «nicht selbst» gelingt zum einen mit einer Markierung auf jeder Körperzelle, dem HLA-System, das den Angriff der Immunzellen verhindert. Mögliche Stimulatoren des Immunsystems aus unserer Nahrung werden vor der Aufnahme in den Körper in nicht mehr immunogene Bausteine zerlegt, sofern die Darmbarriere intakt ist. Ist dies nicht mehr der Fall, so sprechen wir vom «leaky gut»; der Darm lässt dann auch
MERKSÄTZE
� Alle Autoimmunerkrankungen, darunter die rheumatoide Arthritis, gehen mit einer Entzündung einher.
� Empfehlenswert für alle Autoimmunerkrankungen ist eine entzündungshemmende Kost als wichtige und sinnvolle Therapieergänzung, mit der sich die Menge der erforderlichen Medikamente begrenzen lässt.
� Die nutritive Entzündungshemmung fusst auf 3 Säulen: vegetarische Kost, Omega-3-Fettsäuren, Antioxidanzien (ADA-Massnahmen [all-dietary-antiinflammatory means])
möglicherweise das Immunsystem stimulierende Peptide in die Lymphbahnen und in das Blut. Dies wird zum Beispiel beim Morbus Bechterew diskutiert, und als eine der Ursachen wird eine Störung der Darmmikrobiota durch zu viel raffinierte Kohlenhydrate angenommen (1). Im letzten Jahrzehnt wurde viel über die Entzündung geforscht, und man konnte feststellen, dass alle Autoimmunerkrankungen mit einer Entzündung einhergehen. Aber auch viele, wenn nicht alle «Zivilisationskrankheiten», wie Arteriosklerose, metabolisches Syndrom, Adipositas oder Typ-2Diabetes mellitus zeigen Entzündungszeichen (2). Des Weiteren fiel auf, dass Autoimmunkrankheiten häufig kombiniert auftreten. Patienten mit rheumatoider Arthritis haben überzufällig häufig eine Immunthyreoiditis (Hashimoto-Struma) oder eine Arteriosklerose (3). Diese Häufung trifft auch für andere Autoimmunerkrankungen zu (4). Wobei zu bemerken ist, dass Autoimmunerkrankungen bestimmte genetische Grundlagen haben, die allein aber nicht zu einer Erkrankung führen. Was dann die Erkrankung auslöst, war lange unbekannt und ist auch heute noch nicht endgültig geklärt. Einen wichtigen Schritt zur Ursachenfindung der Autoimmunerkrankungen hat die Epigenetik geleistet. Genomweite Studien haben gezeigt, dass nicht einige Gene an der Manifestation von Autoimmunerkrankungen beteiligt sind, sondern sehr viele; man vermutet, dass es Hunderte von Genen sind (5). Zusätzlich gibt es mehrere Möglichkeiten der Weitergabe epigenetischer Informationen. Eine Methylierung des Gens aktiviert die Ablesung des folgenden Genabschnitts, während eine Acetylierung dies verhindert. Um das genetische Material, von dem nur etwa 1 Prozent für den Menschen benötigt wird, platzsparend in die Zelle zu packen, werden die DNA-Fäden auf Histonen, vergleichbar mit Spulen, aufgewickelt. Die Möglichkeiten der epigenetischen Informationsweitergabe umfassen unter anderem Modifikationen der Histone selbst, aber auch eingefügte Peptidabschnitte (bromodomains), die dann zur Bildung gefäss-, gelenk- oder bindegewebespezifischer Zellen führen. Wird die Struktur dieser Zellen als «nicht selbst» vom Immunsystem erkannt, kommt
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Abbildung 1: Für Autoimmune rkrankungen ist eine grosse Variabilität des Krankheitsbildes charakteristisch. Dies ist durch die Vielzahl der beteiligten Faktoren bedingt. Selbst bei der gut definierten rheumatoiden Arthritis ist das klinische Krankheitsbild kaum bei 2 Betroffenen identisch. Das erschwert die Bildung von geeigneten Kohorten und die Erforschung der Ursachen.
es zu Autoimmunität. Auf dieser Basis wird der isolierte Befall von betroffenen Geweben, wie Gelenke, Gefässe oder Haut, erklärt (6). Somit scheint die Modifikation der betroffenen Zellen (Gelenk-, Haut-, Gefäss- oder Organzellen) den Ort der Krankheitsmanifestation zu bestimmen (Tabelle 1). Ein wichtiger Pathomechanismus für das Entstehen der Autoimmunität ist das molekulare Mimikry, ausgelöst durch Pathogene (Viren, Bakterien), durch Chemikalien sowie deren Abbauprodukte oder durch Nahrungsbestandteile. Wahrscheinlich sind Nahrungsbestandteile, Zusatzstoffe oder Chemikalien aus der Verpackung die wichtigsten Ursachen. Molekulares Mimikry wird durch gemeinsame Epitope, das sind Ähnlichkeiten zwischen Fremd- und Eigenpeptiden, ausgelöst, wenn es zu einer Aktivierung von autoreaktiven T-Zellen oder B-Zellen in einem genetisch prädisponierten Individuum kommt. Molekulares Mimikry ist jedoch nicht in der Lage, eine Autoimmunerkrankung auszulösen, denn oft findet man Antikörper gegen Rheumafaktoren bei augenscheinlich gesunden Personen. Leider weiss man über die weiteren Faktoren, wie eine gestörte Toleranz gegen Fremdstoffe, unspezifische Aktivatoren des Immunsystems (Umwelt, Lebensstil, individuelle Genetik, Rolle der Mikrobiota) oder eine anhaltende Stimulation des Immunsystems durch unsere Ernährung, erst ansatzweise Bescheid. Die Erkenntnis der zahlreichen beteiligten Faktoren macht die Heterogenität der Autoimmunerkrankungen verständlich und schliesst «eine
Tabelle 1:
Beispiele für die Variabilität einzelner Autoimmunerkrankungen
Die individuellen Variabilität der Autoimmunerkrankungen ist besonders bei den sogenannten Kollagenosen sehr gross. In der Regel finden sich charakteristische Antikörper gegen Zellkernantigene, die dann bestimmen, welches Organ von der Erkrankung betroffen ist. Daneben bestehen Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit.
Autoimmunerkrankung Betroffene Organe
Der Befall kann isoliert, kombiniert
oder systemisch sein.
Rheumatoide Arthritis
Gelenke und gelenknahe Strukturen wie
Sehnen, Sehnenscheiden, Bänder, Herz, Lunge
Lupus erythematodes
Blutgefässe, Haut (sehr häufig Schmetterlingserythem),
Niere, Nervensystem, Lunge,
Bewegungsapparat (häufig), Augen, Gehirn
Mischkollagenosen,
Schmetterlingsförmige Hautrötung um Nase und Augen,
MCTD (mixed
Muskelschmerzen und -entzündung, Weichteil-
connective
schwellungen besonders an Fingern und Zehen (Wurstfinger)
tissue disease)
mit Durchblutungsstörungen (Raynaud-Syndrom) und
Sklerosierung (Sklerodaktylie), Gelenkschmerzen ohne
starke Schwellung oder Gelenkzerstörung (Arthralgie),
Versteifung der Lunge (Lungenfibrose), Herzmuskel-
entzündung (Myokarditis), Herzrhythmusstörungen,
Verengung der Speiseröhre (Ösophagusstenose),
Nierenentzündung (membranöse Glomeronephritis),
Gehirnbeteiligung (Epilepsie, Meningitis, Psychosen)
Psoriasisarthritis
Gelenkentzündung (im Strahl), Entzündungen an den
Gelenken der Wirbelsäule, den Sehnen und Sehnen-
scheiden, Dellen an Finger- und Zehennägeln
(Nagelpsoriasis)
Klinische Folgen
Zerstörung der Gelenke, Sehnen, Bänder; selten Herzmuskelschaden, Lungenfibrose Ein sehr buntes Bild, entsprechend den individuell betroffenen Organen, sowohl isoliert wie auch in allen möglichen Kombinationen Kollagenosen lassen sich wegen der überaus grossen Variabilität und des sehr unterschiedlichen Verlaufs nur schwer klassifizieren. Vergleichbare Kohorten sind kaum zu etablieren. Deshalb gibt es kaum valide Empfehlungen für eine Ernährungstherapie. Besonders bei den Kollagenosen wird eine Beteiligung der Darmmikrobiota vermutet und eine individuelle, dem Krankheitsbild angepasste Ernährung empfohlen.
Im Gegensatz zu dem bandförmigen Befall der Fingerund Zehengelenke treten bei der Psoriasisarthritis die Schmerzen an den Finger- und Zehengelenken meist im Strahl auf. Typisch sind auch tiefsitzende Kreuzschmerzen durch die Entzündung der Sakroiliakalgelenke.
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Abbildung 2: Die in der Zellmembran veresterte Arachidonsäure wird durch einen entzündungsauslösenden Reiz aus der Esterbindung freigesetzt, und die freie Arachidonsäure ist das Substrat, aus dem über die Cyclo- und die Lipoxygenase Entzündungsmediatoren entstehen, die an den Gelenken die Zeichen der Entzündung verursachen. Die in der Abbildung dargestellten 3 Möglichkeiten der nutritiven Entzündungshemmung werden zusammen als ADA-Massnahmen bezeichnet.
Diät» für alle Autoimmunerkrankungen aus. So sind bei der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes die Gefässe betroffen, und die Zeichen der Erkrankung richten sich nach der Lokalisation der Gefässentzündung, die sich im Gehirn, im Herz, in der Lunge, in der Leber oder im Bindegewebe bei der «mixed connective tissue disease» abspielen kann. Stets kommt es dabei zu einer Entzündung, die sich bei der rheumatoiden Arthritis in der Synovialis, in der G elenkhaut und in den periartikulären Geweben manifestiert. Diese pathogenetischen Abläufe sind äusserst schwierig nachzuweisen, da oft Jahrzehnte zwischen der Kumulation zum Beispiel eines Schadstoffs im Körper oder dem Auftreten von Antikörpern und dem Ausbruch der Erkrankung liegen. Zudem gibt es für jede Autoimmunerkrankung auch schützende Aspekte, wie einen gesunden Lebensstil, körperliche Aktivität oder eine Ernährung nach den wissenschaftlichen Empfehlungen. Bei der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) kann bereits 10 Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit eine vermehrte Durchlässigkeit des Darms festgestellt werden.
Info
In den letzten Jahren wurde deutlich, dass auch die Auflösung der Entzündung ein aktiver Prozess ist und von Mediatoren gesteuert wird, die aus EPA und Docosahexaensäure (DHA, 22:6, Omega-3) gebildet werden. Mediatoren in diesem Prozess sind Resolvine, Integrine und Protektine (11). Alle Fische und alle Fischölkapseln mit natürlichen Inhaltsstoffen (Triglyzeride) enthalten diese Fettsäuren.
Hinzu kommen die extreme Variabilität epigenetischer Antworten auf die Umwelt, die unterschiedliche Empfindlichkeit für Schädigungen der Mikrobiota, für den Stress oder die Exposition gegenüber Fremdstoffen, um nur einige zu nennen. Die Entzündung der betroffenen Gewebe ist die Folge des autoimmunologischen Geschehens. Obwohl die Entzündung in so unterschiedlichen Geweben, wie den Gelenken, den Sehnen, dem Herzen, der Lunge oder dem Gehirn auftritt, sind die biochemischen Abläufe sehr ähnlich. Sie schliessen die Aktivierung und Stimulierung des Immunsystems mit Vermehrung immunkompetenter Zellen, der Produktion von Entzündungsvermittlern (Eicosanoide, Zytokine, Chemokine, Komplementsystem) ein. Mit der Ernährung kann besonders das Eicosnoidsystem gesteuert werden. Hier spielt die Arachidonsäure (ARA) die zentrale Rolle. Das Eicosanoidsystem interagiert mit den anderen Mediatoren und beeinflusst diese. Die Aktivierung des Immunsystems und die Bildung der proentzündlichen Eicosanoide ist ein oxidativer Prozess und kann durch Antioxidanzien beeinflusst werden. Zusammenfassend kann man feststellen, dass die individuelle Kost ein wichtiger Faktor für das Entstehen und den Verlauf von Autoimmunerkrankungen ist, jedoch bei Weitem nicht der einzige. Weitere Faktoren sind die Umwelt und der Lebensstil. Dabei sind die individuellen Auslöser eines Immunprozesses so zahlreich, dass wir derzeit nur globale Empfehlungen für einen «gesunden» Lebensstil und «Umweltbewusstsein» geben können. Epidemiologische Studien weisen darauf hin, dass damit ein grosser Prozentsatz der Autoimmunerkrankungen beeinflusst werden kann. Empfehlenswert für alle Autoimmunerkrankungen ist die entzündungshemmende Kost als Grundlage.
Ernährungstherapeutische Möglichkeiten der Entzündungshemmung
Die Überaktivität des Immunsystems, ausgewiesen durch die gesteigerte Reaktivität immunkompetenter Zellen mit vermehrter Bildung proentzündlicher Mediatoren, ist ein Zeichen der Autoimmunerkrankungen. Deren zielgerichtete oder indirekte Ausschaltung (tsDMARD, bDMARD) führt zu einer dauerhaften Besserung bis hin zur vollständigen Remission (7). Initial wird zur Therapie fast immer ein Glukokortikoid eingesetzt, das durch Hemmung der Phospholipase A2 die Bildung der entzündungsfördernden Eicosanoide wirksam unterbindet (Abbildung 2). Die nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) sind die am häufigsten eingesetzten Therapeutika bei RA. Zusammenfassend ist festzustellen, dass kein bisher bekanntes Therapeutikum die RA heilen kann, sondern dass sich die Behandlung auf die Bekämpfung der Entzündung und die daraus entstehenden Schäden beschränkt. Dieses Therapieziel unterstützt die Ernährungstherapie. Sie ist eine wichtige und sinnvolle Ergänzung, mit der es gelingt, die Menge der erforderlichen Medikamente zu begrenzen, um unerwünschte Wirkungen zu vermindern (8). Zur Verminderung der Biosynthese proentzündlicher Folgeprodukte der ARA verwendet die Ernährungstherapie 3 Massnahmen (Abbildung 2): 1. Eine vegetarisch orientierte Kost begrenzt die Präsenz der
Omega-6 ARA in der Zellmembran und deren Verfügbarkeit für die Bildung proentzündlicher Folgeprodukte.
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Tabelle 2:
Empfohlene Zufuhr der relevanten mehrfach ungesättigten Fettsäuren
Mehrfach ungesättigte Fettsäure Empfohlene Zufuhr
Omega-6-Fettsäuren
Arachidonsäure chemisch
80 mg/Tag bzw. 560 mg/Woche*
(20:4, n-6 oder 20:4, n-6)
Precursor proentzündlicher Eicosanoide
Linolsäure
4 g–6 g/Tag
(LA; 18:2, n-6)
Essenzielle Vorstufe der AS, aber nur geringe Umwandlungs-
18 C-Atome
rate, hat keine metabolische Funktion und wird bei unseren
2 Doppelbindungen
Verzehrsgewohnheiten nicht in ARA umgewandelt
Omega-3-Fettsäuren
Eicosapentaensäure (EPA)
Zu Beginn (Monat 1–3)
(20:5, n-3)
900 mg/Tag, anschliessend 300 mg/Tag**
20 C-Atome
5 Doppelbindungen
Precursor antientzündlicher Eicosanoide
a-Linolensäure (ALS) (18:3, n-3) 4 g/Tag
Essenzielle Vorstufe der EPA, geringe Umwandlungsrate,
keine eigene Stoffwechselfunktion
Enthalten in
Tierische Lebensmittel: Fleisch, Wurstwaren, Eier, tierische Fette, Butterkeks, Kuchen, Torten, mit Rahm verfeinerte Saucen, Eis, Käse usw. Öle aus Disteln, Sonnenblumen, Soja, Nachtkerzen, Maiskeime, Kürbiskerne und Weizenkeime
Hering, Sardine, Sardelle, Sprotte, Thunfisch, Makrelen, Aal, Lachs, Dorade, Forelle
Lein- , Leindotter-, Raps,- Soja- und Walnussöl
*ARA wird kaum oxidiert, sondern in die Zellmembran eingelagert, deshalb ist die tägliche Zufuhr nicht relevant, sondern es werden Verzehrempfehlungen für 1 Woche gemacht. **Die Kontrolle des ARA/EPA-Quotienten erfolgt alle 2 bis 3 Monate mit einer entsprechenden Adaptation der Fettsäurenzufuhr, bis der Quotient < 5 ist. 2. Die Omega-3-Eicosapentaensäure (EPA) hemmt kompetitiv die Aktivität der Cyclooxygenase, entsprechend dem Wirkprinzip der NSAR. Dies ist eine reversible Hemmung, die durch eine grössere Menge der ARA in der Kost aufgehoben wird. Deshalb ist immer die ARA-arme vegetarisch orientierte Kost angezeigt. 3. Antioxidanzien sind in fettlöslicher und wasserlöslicher Form als Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe in optimaler Versorgungsmenge für RA-Betroffene zur Beseitigung von Sauerstoffradikalen erforderlich. Die antioxidative Kapazität im Plasma ist bei allen Entzündungsprozessen erniedrigt (9), und die Plasmaspiegel von Vitamin D und E sowie dem Spurenelement Selen sind im Defizit. Selen ist ein wichtiger Bestandteil des Enzyms Superoxiddismutase, das als einziges Antioxidans in der Schilddrüse verhindert, dass eine Entzündung (AIT, HashimotoThyreoiditis) auftritt. Inwieweit diese Dysbalance der pround antientzündlichen Faktoren in unserer Kost auf die steigende Inzidenz der Autoimmunerkrankungen Einfluss hat, ist (noch) nicht entschieden (10). Ernährungstherapie – Komponenten der entzündungshemmenden Kost, ADA-Massnahmen Die 3 Komponenten der entzündungshemmenden Kost sind in Abbildung 2 dargestellt. Sie werden zusammengefasst als ADA-Massnahmen (all-dietary antiinflammatory means) bezeichnet. Es ist eine pflanzenbetonte Kost, die sich nur hinsichtlich der Zufuhr der Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren und des Bedarfs an Antioxidanzien von den DGE-konformen Empfehlungen für eine gesunde Kost unterscheidet. Die Konzentrationen der ARA im Lipidom des Menschen stammt zum überwiegenden Teil aus dem Verzehr von Produkten tierischer Provenienz und verstärkt Entzündungspro- zesse. Der Pro-Kopf-Verzehr liegt derzeit bei 200 bis 400 mg/ Tag. Wir haben den Bedarf an ARA in der Nahrung mit etwa 80 mg/Tag ermittelt (12). Diese nutritive Zufuhr lässt die Konzentration der ARA nicht ansteigen, da sie für metabolische Prozesse (z. B. Bildung essenzieller Eicosanoide, Signaltransduktionswege) verbraucht wird. ADA-Massnahmen für die Begrenzung der ARA sind: pro Woche nicht mehr als 2 Fleischmalzeiten und 4 Eigelb. Darin enthalten ist auch das mit Backwaren aufgenommene Eigelb (Tabelle 2). In grünen Pflanzen entstehen die Linol- (Omega-6) und die a-Linolensäure (Omega-3). Beide mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind für den Menschen essenziell und können nicht ineinander umgewandelt werden. Die bei uns üblichen Speiseöle sind meist reich an Linolsäure, während a-Linolensäure in nennenswerten Mengen nur im Raps-, WeizenkeimLeindotter- und Leinöl vorkommt. ADA-Massnahmen sind die Verwendung von Omega-3-reichen Ölen und 2 Fischmahlzeiten pro Woche, 1 davon mit fettem Fisch (Tabelle 2). Aus den pflanzlichen Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren (18 C-Atome) können im tierischen Organismus (auch vom Menschen) die Eicosafettsäuren (20 C-Atome) gebildet werden. Die Biosynthese der EPA kann durch eine ARA-arme Kost gefördert werden (13). Um die Anreicherungsphase zu verkürzen, werden in den ersten 2 bis 3 Monaten 900 mg/Tag EPA empfohlen. Diese Menge wird meist nur mit Fischölkapseln erreicht. Antioxidanzien können Sauerstoffradikale nur entfernen, wenn lipidlösliche und wasserlösliche Antioxidanzien in der richtigen Menge verfügbar sind. Die pflanzenbetonte Kost für Rheumabetroffene bietet mit ihrem hohen Gehalt an wasserlöslichen Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen ausreichende Mengen. Vorausgesetzt, dass reife (regionale) Produkte präferiert werden. Ausnahme ist das Spurenelement Selen, das zur Funktion der Superoxiddismutase erforderlich ARS MEDICI 21 | 2023 607 FORTBILDUNG Vermindert das Risiko für Autoimmunkrankheit ▲ regelmässige Bewegung ▲ nicht Rauchen ▲ Alkohol in Massen (Frauen: 10 g, Männer: 20 g) ▲ Zeit haben ▲ Aktion und Entspannung im Wechsel ▲ ausreichend soziale Kontakte: Familie, Freunde ... Steigert das Risiko für Autoimmunkrankheit ▲ Bewegungsmangel ▲ Rauchen ▲ riskanter Alkoholkonsum ▲ Stress, Hektik ▲ geregelter Tagesplan mit Zeit für Ruhepausen und Entspannung ▲ sozialer Rückzug, Vereinsamung, Enttäuschungen ... Abbildung 3: Der Lebensstil hat als Risikofaktor für die Manifestation und den Verlauf von Autoimmunerkrankungen Bedeutung. Die Abbildung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Zigarettenrauchen ist als sicherer Risikofaktor für eine frühe Manifestation, einen schweren Verlauf und gravierende Gelenkschäden bei den von rheumatoider Arthritis Betroffenen identifiziert; für die anderen aufgeführten Faktoren gibt es nur Beobachtungsstudien. ist, wie auch Vitamin E, dessen Plasmaspiegel bei entzündlichen Erkrankungen im Plasma erniedrigt ist (13). Eine Supplementierung mit bis zu 200 mg pro Tag wird empfohlen. Gleiches gilt für das Selen, für das eine Supplementierung von 50 µg/Tag empfohlen wird, wenn nicht selenreiche Produkte (z. B. K okosprodukte) regelmässig verzehrt werden (13). fokussierten FFT (www.ernaehrungsrechner.de) möglich, und die Ernährung kann damit adaptiert werden. Das kann initial vom Arzt, dann von der Ernährungsfachkraft oder dem Patienten selbst durchgeführt werden. Beurteilen des Erfolgs Die Ernährungsfachkraft teilt dem Arzt den erreichten Grad der Compliance des Patienten mit sowie die Möglichkeiten des Patienten, die Ernährungsvorschläge umzusetzen. Nach 2 bis 3 Monaten erhebt der Arzt klinische (DAS 28) und laborchemische Entzündungswerte (15) und adaptiert die Ernährungs- und Pharmakotherapie. Eine weitere Verlaufskontrolle ist entsprechend der Werte angezeigt. Die entzündungshemmende Kost kann nicht mit den üblichen Computerprogrammen geprüft werden, da die Werte für ARA und EPA nicht konsequent bei allen Lebensmitteln hinterlegt sind. Dies wird mit dem Ernährungsrechner erreicht, bei dem der durchschnittliche Verzehr der relevanten Fettsäuren während 1 Woche geprüft wird. Die Bestimmung des Fettsäurespektrums im Blut (vorzugsweise Erythrozytenmembranen > Plasmaphospholipide > ersatzweise Nüchternplasma) nach 3 Monaten zeigt, ob der Quotient der ARA/EPA unter 5 gefallen ist und somit eine Entzündungshemmung erwartet werden kann (13). Wenn das nicht der Fall ist, erfolgen eine Korrektur entsprechend den Empfehlungen des Ernährungsrechners und eine Kontrolle des ARA-EPA-Quotienten in 3 Monaten.
Ablauf der Kostumstellung
In der Praxis gelingt die Kostumstellung im Team am besten, das aus dem behandelnden Arzt und einer Ernährungsfachkraft besteht (14). Zunächst wird die Vollwertigkeit der Ernährung vom Arzt mit einem Ernährungsprotokoll oder einem «food frequency table» (FFT) abgeschätzt. Die computergestützte Auswertung des Ernährungsprotokolls wird von einer Ernährungsfachkraft erstellt. Die Prüfung der für die Entzündungshemmung relevanten Fettsäuren ist mittels des
www.ernaehrungsrechner.de
Info
Die Dihomo-gamma-Linolensäure, eine Omega-6-Fettsäure mit 3 Doppelbindungen (20:3, n-6), entsteht im tierischen Organismus (auch im Menschen) aus Gammalinolensäure. Sie ist die direkte Vorstufe der ARA im Stoffwechsel, hat aber entgegengesetzte Wirkung: Sie wirkt entzündungshemmend. Das Vorkommen der Gammalinolensäure ist auf einige Öle (Borretsch: ca. 20% der darin enthaltenen Fettsäuren), Schwarze Johannisbeere (ca. 14%), Nachtkerze (ca. 10%), Hanf (ca. 3%) beschränkt. Die Dosierung zur Entzündungshemmung entspricht der EPA. Es gibt aber nur 2 Studien, die Dihomo-gammaLinolensäure untersucht haben. Deshalb wird hier die Supplementierung nicht besprochen; jedoch können die (teuren) Öle in Salaten die Wirkung der EPA unterstützen (13).
Lebensstil und Umwelt
Derzeit ist es noch nicht möglich, individuelle Empfehlungen
für einen vor Autoimmunerkrankungen schützenden Lebens-
stil zu geben, obwohl sich Anhaltspunkte aus Beobachtungs-
tudien ableiten lassen (Abbildung 3). Für die RA wurde Rau-
chen als Risikofaktor erkannt, der bei genetisch disponierten
Personen den Ausbruch der Erkrankung fördert und deren
Verlauf ungünstig beeinflusst (16). Die Lebensstilfaktoren
manifestieren ihre Wirkung über die epigenetische Program-
mierung. Einen hervorragenden Überblick über diese Zu-
sammenhänge bietet das Buch von Teperino (14). Ernährung,
Lebensstil und Umwelt verändern unsere Gene entsprechend
den aktuellen Bedingungen. Damit hat die Epigenetik der
Menschheit wahrscheinlich das Überleben auch unter den
extremen Bedingungen auf der Erde ermöglicht. Da die epi-
genetische Prägung im Gegensatz zur genetischen Determi-
nierung steuerbar ist, ergeben sich daraus Möglichkeiten für
die Prävention und die personalisierte Ernährung. Leider sind
wir derzeit noch nicht in der Lage, das individuelle Risiko
einer Person durch ihren Lebensstil und die Einwirkung von
Ernährung, Chemikalien oder Umweltbelastungen abzu-
schätzen.
s
Prof. Dr. med. Olaf Adam Ernährungsmedizin Physiologikum der Ludwig-Maximilians-Universität Goethestrasse 31 D-80336 München E-Mail:olaf.adam@lrz.uni-muenchen.de
Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
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