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STUDIE REFERIERT
Männer mit Hypogonadismus
Ist das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter Testosteronsubstitution erhöht?
Daten zur kardiovaskulären Sicherheit einer Testosteronersatztherapie (TET) waren bis anhin widersprüchlich. Nun kommen die Autoren einer prospektiven Studie bei älteren Männern mit Hypogonadismus zum Schluss, dass eine TET über knapp 2 Jahre bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse einer Plazebotherapie nicht unterlegen ist.
New England Journal of Medicine
Eine TET kann bei Männern mit Hypogonadismus die damit einhergehenden, störenden Symptome verbessern. Retrospektive Daten über die mit einer TET assoziierten potenziellen kardiovaskulären Risiken waren widersprüchlich, und prospektive randomisierte Studien zu dieser Fragestellung mit genügend statistischer Power lagen bis anhin nicht vor. Nun wurde dazu in den USA die prospektive, multizentrische, verblindete, plazebokontrollierte Nichtunterlegenheitsstudie TRAVERSE durchgeführt (1). 5204 Männer (45- bis 80-jährig) mit einem Testosteronserumspiegel < 300 ng/ dl und mindestens 1 Symptom eines Hypogonadismus (z. B. verminderte Libido, verminderte spontane Erektionen, Energielosigkeit oder Müdigkeit, verschlechterte Stimmung oder Depression, Verlust von Achsel- oder Schamhaaren, Rückgang der Rasierhäufigkeit oder Flush-Symptomatik) sowie einer vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankung (klinisch oder angiografisch belegte koronare, zerebrale oder periphere Gefässerkrankung) oder mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko wurden analysiert. Die Hälfte der Studienteilnehmer war über 65 Jahre alt, mehr als die Hälfte hatte eine vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung. Für den zusammengesetzten primären Endpunkt wurde das Erstauftreten eines gravierenden kardiovaskulären Ereignisses (Tod aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen, nicht tödlicher Herzinfarkt oder nicht tödlicher Schlaganfall) erfasst. Für den sekundären Endpunkt wurde zusätzlich die Durchführung einer Koronarangiografie zur Revaskularisation miteinbezogen. Tod jeglicher Ursache war der dritte Endpunkt. Rund 2600 Patienten, die mindestens 1 Dosis Testosteron erhalten hatten, applizierten täglich 1,62 Prozent transdermales Testosterongel, 2603 Patienten wendeten ein Plazebogel an. Die durchschnittliche Behandlungsdauer war in beiden Gruppen ähnlich lang (TET: 21,8 ± 14,2 Monate; Plazebo: 21,6 ± 14,0 Monate) und die Abbruchrate vergleichbar hoch (61,4 vs. 61,7%). In der Testosterongruppe kam es bei 7,0 Prozent und in der Plazebogruppe bei 7,3 Prozent der Patienten zu einem kardialen Ereignis im Rahmen des primären Endpunktes (Hazard Ratio: 0,96; 95%Konfidenzintervall: 0,78–1,17; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit). Die Sensitivitätsanalyse, in der alle kardiovaskulären Ereignisse bis 365 Tage nach der letzten Dosis analysiert wurden, bestätigte die Resultate. Bezüglich des sekundären Endpunkts gab es ebenfalls keine klinisch relevanten Unterschiede. Das Gesamtüberleben war in beiden Gruppen identisch. In der Testosterongruppe fiel eine erhöhte Inzidenz von Lungenembolien (LE; 0,9% vs. 0,5% respektive 24 vs. 12 Ereignisse) auf, jedoch nicht für tiefe Venenthrombosen. Zudem waren in der Testosterongruppe interventionsbedürftige Arrhythmien häufiger (5,2 vs. 3,3%, entsprechend 134 vs. 87 Ereignissen), der PSA-Wert stieg stärker an (0,20 ± 0,61 ng/ml vs. 0,08 ± 0,90 ng/ ml), und der systolische Blutdruck nahm über 6 Monate zu (im Durchschnitt + 0,3 mmHg vs. – 1,5 mmHg). Zusammenfassend führte in dieser prospektiven Studie die 2-jährige Anwendung einer transdermalen TET bei älte- ren Männern mit Hypogonadismussymptomen im Vergleich zu Plazebo nicht zu einem häufigeren Auftreten von gravierenden kardiovaskulären Ereignissen. Offene Fragen Die Dauer der TET in dieser Studie war mit etwa 22 Monaten im Median rela- tiv kurz, wenn man davon ausgeht, dass sich arteriosklerotische Koronarverän- derungen über Jahrzehnte entwickeln. Es bleibt unklar, ob gegebenenfalls eine längere TET zu vermehrten kardiovas- kulären Ereignissen geführt hätte. Wie im Editorial zur Publikation der TRAVERSE-Studie im «NEJM» disku- tiert, ist zudem festzuhalten, dass der Anstieg des Testosteronspiegels in der Verumgruppe in dieser Studie moderat war (2). Der Median der Testosteron- spiegel in der Testosterongruppe lag mit 326–386 ng/dl zudem deutlich unter den von der American Urological Associa- tion empfohlenen Normalwerten von 450–600 ng/dl. Es stellt sich die Frage, ob die Resultate mit Erreichen der Ziel- normwerte anders ausgefallen wären. Inwieweit die erhöhten Östrogenspiegel in der Testosterongruppe für einige der erfassten Nebenwirkungen, insbeson- dere für die erhöhte Inzidenz von LE, verantwortlich sind, bleibt weiter abzu- klären. sirg s Quellen: 1. Lincoff AM et al.: Cardiovascular Safety of Testosterone-Replacement Therapy. N Engl J Med. 2023;389:107-117. 2. Orwoll E: Safety of Testosterone-Replacement Therapy in Older Men. N Engl J Med. 2023;389:177-178. Interessenlage: Die Studie wurde von AbbVie, Acerus Pharmaceuticals, Endo Pharmaceuticals and Upsher-Smith Laboratories unterstützt. 510 ARS MEDICI 19 | 2023