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BERICHT
Rauchstopp
Bessere Erfolgsaussichten mit Medikation plus Coaching
Die am häufigsten praktizierte Methode, mit dem Rauchen aufzuhören, ist gleichzeitig die schlechteste, und die wirksamste wird von weniger als 1 Prozent der Raucher genutzt. An der medArt in Basel erläuterte PD Dr. med. Thilo Burkard, was die Erfolgsrate beim Rauchstopp steigert und womit man in der Praxis die vom Markt genommene Substanz Vareniclin ersetzen kann.
Welcher Raucher kennt ihn nicht, den Vorsatz, «ab morgen» mit dem Rauchen aufzuhören? Doch ob «ab morgen», «im neuen Jahr» oder «nach meinem Geburtstag» – der Vorsatz ist äusserst selten von Erfolg gekrönt. Nur in 3 bis 5 Prozent der Fälle sei das der Fall, sagte PD Dr. med. Thilo Burkard, Stv. Chefarzt an der Medizinischen Poliklinik am Universitätsspital Basel. Trotzdem ist es mit 70 bis 83 Prozent die bei weitem häufigste Methode, mit deren Hilfe man versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Die wirksamste Methode ist hingegen die Kombination von Medikamenten mit einem Verhaltenscoaching. Doch sie wird von weniger als 1 Prozent der Rauchstoppwilligen eingesetzt. Wie sollte man nun in der Praxis vorgehen?
Schritt 1: Raucherstatus erfragen
Man geht davon aus, dass 80 Prozent der 2 Millionen Raucherinnen und Raucher in der Schweiz mindestens 1-mal im Jahr einen Arzt konsultieren. Demnach bieten sich jedes Jahr 1,6 Millionen Chancen, einen Patienten auf das Rauchen anzusprechen und für den Rauchstopp zu motivieren. Diese Chance gelte es zu nutzen, so Burkard. Eine hohe Abhängigkeit bestehe dann, wenn mehr als 15 Zigaretten pro Tag geraucht werden oder wenn man sich bereits eine halbe Stunde nach dem Aufstehen die erste Zigarette anzündet.
KURZ & BÜNDIG
� Medikation und Verhaltenscoaching unterstützen den Rauchstopp am besten und sollten deshalb immer in Kombination eingesetzt werden.
� Cytisinpräparate, die in der EU zugelassen sind, können das zurzeit nicht erhältliche Vareniclin ersetzen.
� E-Zigaretten können bei Personen, die mit dem Rauchen nicht aufhören können oder nicht aufhören wollen, zur Risikoreduktion beitragen, aber nur dann, wenn vollständig auf das Rauchen von Tabak verzichtet wird.
Schritt 2: Therapie verordnen
Bei allen Rauchern, auch denjenigen, die angeben würden, nur gelegentlich zu rauchen, sei eine Kurzintervention von 1 bis 2 Minuten sinnvoll, empfahl der Referent. Diese Intervention besteht zunächst in der ärztlichen Empfehlung, aus gesundheitlichen Gründen so rasch wie möglich mit dem Rauchen aufzuhören. Erfolgreich sei man damit in etwa 4 von 100 Fällen, was einer «number needed to treat» von 25 entspreche, sagte Burkard. Hinzu kommt, und hier haben sich die Guidelines neuerdings geändert, dem Raucher sofort eine Therapie anzubieten, nämlich eine Kombination aus Medikamenten und Verhaltenscoaching. Früher habe man empfohlen, zunächst zu ergründen, wie es um die Motivation des Rauchstopps bei einem Raucher bestellt war. Wer als motiviert galt, bekam die Verordnung. Rauchern, die eher unmotiviert wirkten, drückte man eine Broschüre in die Hand. Das sehe man heute anders: «Wir sollten proaktiver werden», sagte Burkard. Bei einem Patienten mit einem zu hohen LDL-Wert frage man ja auch nicht nach der Motivation, sondern man verordne gleich die indizierte Therapie. Hausärzte können die Rauchstopptherapie selbst durchführen (als Konsultation abrechnen) oder den Patienten an einen Internisten mit Erfahrung in der Rauchstopptherapie beziehungsweise an eine Rauchstoppberatung überweisen. Das Verhaltenscoaching ist aufwendig, und es erfordert spezielle Kompetenzen in der motivierenden Gesprächsführung. Hier ist gegebenenfalls die Überweisung an Psychotherapeuten oder an die Berater von www.rauchstopplinie.ch sinnvoll. Die telefonische Beratung und Begleitung der Raucher durch Rauchstopplinie.ch sind kostenlos (0848 000 181). Raucher können auch von ihrem Arzt mit einem Onlineformular direkt überwiesen werden (s. Linktipps). Auch die Website www.stopsmoking.ch ist für Raucher empfehlenswert. Es ist geplant, diese Angebote in den kommenden Jahren als «Nationales Beratungszentrum Rauchstopp» zu bündeln.
Welche Medikamente?
Aus Studien ist bekannt, dass Vareniclin (Champix®) plus Nikotinersatz (Pflaster plus kurz wirkames Präparat wie
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Mundspray usw.) den Rauchstopp am besten unterstützt. Allerdings wurde Vareniclin 2021 weltweit durch den Hersteller vom Markt genommen, und es ist offen, ob es jemals wieder im Handel sein wird. Eine Alternative ist Bupropion (Zyban®) plus Nikotinersatz. Sollte das Medikament nicht verfügbar sein, wie es in der Vergangenheit nach Erfahrung des Referenten öfters vorgekommen sei, kann man auf Wellbutrin® in der entsprechenden Dosierung ausweichen (Packung mit 150-mg-Tabletten); es ist für Depressionen zugelassen, enthält aber denselben Wirkstoff. Eine gute Alternative zu Vareniclin sei Cytisin, das besser als Nikotinersatz und fast so gut wie Vareniclin wirke, sagte Burkard. Cytisin ist ein natürliches Alkaloid des Goldregens. Wie Vareniclin, das dem Cytisin strukturell ähnelt, ist es ein partieller Agonist am neuronalen Acetylcholin-α4β2-Rezeptor. Das Nebenwirkungsprofil ist vergleichbar (Übelkeit, Dyspepsie, trockener Mund). Relevante Interaktionen sind nicht bekannt, jedoch ist wegen der renalen Elimination der Substanz bei schwerer Niereninsuffizienz Vorsicht geboten. In den ehemaligen Ostblockländern ist Cytisin seit 1964 zur medikamentösen Unterstützung des Rauchstopps unter verschiedenen Handelsnamen wie Desmexan® oder Asmoken® zugelassen, und es wird dort sowie in Kanada als OTC-Präparat abgegeben. In der EU ist Cytisin zur Rauchstoppunterstützung mittlerweile ebenfalls zugelassen, nicht aber in der Schweiz. Burkard empfahl, Cytisinpräparate von seinem Apotheker über internationale Apotheken bestellen zu lassen und diese nicht selbst via Internet zu beziehen, um eine gute Qualität des Arzneimittels sicherzustellen.
Schritt 3: engmaschiges Follow-up
Wie wichtig die Betreuung beim Rauchstopp sei, erläuterte der Referent anhand einer Basler Studie, in der man die Kombination von Vareniclin mit Dulaglutid testete (1). Die Probanden bekamen zusätzlich zu Vareniclin jede Woche eine Injektion mit dem GLP-1-Analogon oder mit Plazebo. Da-
Linktipps
www.stopsmoking.ch
hinter stand die Überlegung, dass GLP-1-Analoga nicht nur die Gewichtszunahme bei einem Rauchtopp bremsen, sondern auch das Suchtverhalten als solches positiv beeinflussen könnten. Nach 3 Monaten war die Gewichtszunahme, wie erwartet, mit Dulaglutid geringer. Die Abstinenzrate war in beiden Gruppen gleich und mit 64 Prozent sehr hoch. Diese hohe Erfolgsquote führte Burkard nicht zuletzt auf das wöchentliche, engmaschige Follow-up zurück: «Es hat sich wieder einmal bestätigt: Je enger das Follow-up, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit dem Rauchen aufhören kann.» Als Zeitpunkte für das Follow-up während einer Rauchstopptherapie empfahl er die Wochen 1, 2, 4 und 8 sowie die Monate 3, 6 und 12 nach Beginn der Therapie. Die Follow-up-Termine dienen nicht nur zur Kontrolle, sondern man kann dann auch Verhaltensstrategien für Risikosituationen festigen oder die Rauchstoppmedikation anpassen.
Mangelhafte Tabakprävention in der Schweiz
Burkard kritisierte die mangelhafte Tabakprävention in der
Schweiz. 20 bis 25 Prozent der Schweizer Bevölkerung
rauchten, mit steigender Tendenz bei den Jugendlichen, wäh-
rend der Anteil in Neuseeland, mit einer sehr restriktiven
Gesetzgebung, nur 8 Prozent betrage.
In einem 2021 durchgeführten Vergleich von 37 europäi-
schen Ländern bezüglich der gesetzlichen Regeln rund um
den Tabakkonsum (Preise für Tabakprodukte, Werbever-
bote, Rauchverbote, Warnaufschriften auf Tabakpackungen,
Massnahmen gegen illegalen Tabakhandel usw.) belegte die
Schweiz mit Rang 36 den vorletzten Platz (2). Auf den ersten
3 Plätzen standen Irland, das Vereinigte Königreich und
Frankreich. Italien lag auf Platz 18, Österreich auf Platz 26
und Deutschland auf Platz 34 des Rankings.
s
Renate Bonifer
Quelle: PD Dr. med. Thilo Burkard: «Rauchstopp». Vortrag an der medArt Basel am 21. Juni 2023.
Literatur: 1. Lengsfeld S et al.: Effect of dulaglutide in promoting abstinence during
smoking cessation: a single-centre, randomized, double-blind, placebocontrolled, parallel group trial. EClinicalMedicine. 2023;57:101865. 2. Joossens L et al.: The Tobacco Control Scale 2021 in Europe. Brussels: Smoke Free Partnership, Catalan Institute of Oncology; 2022. http://www.tobaccocontrolscale.org/TCS2021
www.rauchstopplinie.ch
Direktlink zur Zuweisung zum Coaching an Rauchstopplinie.ch:
https://www.rosenfluh.ch/qr/zuweisung
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