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BERICHT
Pneumologie
Neuerungen bei Asthma und COPD
Einige relevante Neuerungen, die sich auf den beiden Gebieten Asthma beziehungsweise chronischobstruktive Lungenerkrankung (COPD) im letzten Jahr ergeben haben, wurden auf dem Allergology and Immunology Update (AIU) in Grindelwald von Prof. Daiana Stolz, Universitätsklinikum Freiburg/D und Universitätsspital Basel, vorgestellt.
Wie Stolz einleitend erklärte, habe sie aus der Vielzahl an neuen Publikationen, die im letzten Jahr zu den Themen Asthma beziehungsweise chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) erschienen seien, einige besonders relevante ausgewählt. So wurde 2022 von der Global Initiative for Asthma (GINA) eine aktualisierte Version ihrer Empfehlungen zum Management und zur Prävention von Asthma herausgegeben (1). Zudem hat die European Respiratory Society (ERS) neue Richtlinien zur Asthmadiagnose publiziert (2).
Neuerungen bei der Asthmadiagnose
Die Spirometrie, vor und nach einer Bronchodilatation, behält sowohl bei der GINA als auch bei der ERS ihren Platz als die wichtigste initiale Untersuchungsmethode bei Personen mit anamnestischen oder klinischen Hinweisen auf Asthma. «Wie die ERS kürzlich kommuniziert hat, ist in verschiedenen Ländern der Zugang zu einer Spirometrie aber nach wie vor schlecht, sogar schlechter als zu einem Thorax-CT», gab Stolz zu bedenken. Eine Spirometrie sollte möglichst vor dem Beginn einer Behandlung mit einem Asthma-Controller durchgeführt werden. Für Erkrankte ohne variable Atemwegsobstruktion unter Controller-Therapie empfiehlt die GINA, die Spirometrie nach einer Unterbrechung der Therapie zu wiederholen (1). Die Dauer dieser Unterbrechung ist dabei abhängig von der Medikation. Bei Erkrankten unter einem SABA (kurz wirksamer Beta-2-Agonist) werden 4 Stunden empfohlen, bei einer Behandlung mit einer Kombination aus einem inhalativen Kortikosteroid (ICS) und einem lang wirksamen Beta-2-Agonisten (LABA) werden 24 (ICS/ LABA 2-mal täglich) beziehungsweise 36 Stunden (ICS/ LABA 1-mal täglich) angegeben (1). Bei einer forcierten Einsekundenkapazität (FEV1) von > 70 Prozent soll die Controller-Therapie reduziert und in 2 bis 4 Wochen eine erneute Kontrolluntersuchung durchgeführt werden. Liegt die FEV1 < 70 Prozent, sollte die Controller-Therapie dagegen für 3 Monate intensiviert werden. Wie Stolz weiter ausführte, unterscheide die ERS in ihren aktuellen Richtlinien zwischen diagnostischen Abklärungen, die im Setting der Primär- beziehungsweise der Sekundärver-
sorgung durchgeführt würden (2). Ergibt die in der Grundversorgung durchgeführte Spirometrie einen Tiffeneau-Quotienten (FEV1/FVC [forcierte Vitalkapazität]) von < 75 Prozent zusammen mit dem Nachweis einer Reversibilität der Obstruktion (12% und 200 ml Verbesserung), ist die Diagnose Asthma gegeben. «So waren wir es bis anhin auch gewohnt», ergänzte die Referentin an dieser Stelle. Sollte keine Obstruktion vorliegen, empfiehlt die ERS eine Bestimmung des Stickstoffmonoxidgehalts in der ausgeatmeten Luft (fraction of exhaled nitric oxide, FeNO). Ab einem FeNO von > 50 ppb wird dabei die Diagnose Asthma gestellt. «Als Pneumologin war ich ein bisschen geschockt, als ich das sah», so Stolz. «Gemäss Literatur weist dieser Cut-off jedoch eine Spezifität von über 90 Prozent auf, was in vielen Fällen ausreicht.» Es sei jedoch wichtig auszuschliessen, dass die Patientin oder der Patient zum Zeitpunkt der Untersuchung an einer akuten Atemwegsinfektion leide. «Wir wissen, dass eine akute Rhinovirusinfektion und insbesondere auch eine akute Infektion mit Parainfluenza 3 mit sehr hohen FeNO-Werten einhergehen», gab sie zu bedenken. Bei einem FeNO-Wert von < 50 ppb empfiehlt die ERS eine Bestimmung der Peak-Flow-(PEF-)Variabilität (2). Liegt diese über 20 Prozent, gilt dies ebenfalls als diagnostisch wegweisend. Bei einer PEF-Variabilität von < 20 Prozent wird als nächster Schritt ein Methacholinprovokationstest durch den Spezialisten empfohlen. Die ERS empfiehlt zudem die Bestimmung der Eosinophilenzahl im Blut. Dies dient nicht zur Diagnose, sondern zur Phänotypisierung des Asthmas. Gleiches gilt auch für eine IgE-Bestimmung.
GINA-Behandlungsempfehlungen
«Seit 2019 empfiehlt die GINA als zu bevorzugenden Reliever nicht mehr ein SABA allein, sondern die Kombination aus einem ICS und dem LABA Formoterol», führte Stolz weiter aus. Im Update werden für die Behandlung von Jugendlichen ab 12 Jahren und Erwachsenen, ausgehend vom verwendeten Reliever, 2 unterschiedliche Pfade beschrieben (1) (Abbildung). Pfad 1, mit niedrig dosiertem ICS-Formoterol, gilt als der bevorzugte Pfad. Pfad 2, mit SABA als Reliever, stellt die «alternative» (nicht bevorzugte) Strategie dar. Im Vergleich zu Pfad 1 wird diese Strategie als weniger wirksam
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BERICHT
Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren
Überprüfung Symptome Exazerbationen Nebenwirkungen Lungenfunktion Patientenzufriedenheit
Assessment Bestätigung der Diagnose, wenn erforderlich Symptomkontrolle und modifizierbare Risikofaktoren Komorbiditäten Inhalationstechnik und Compliance Patientenpräferenzen und -ziele
Anpassung Behandlung modifizierbarer Risikofaktoren und Komorbiditäten Nicht pharmakologische Strategien Asthmamedikation (Anpassung nach oben/unten/zwischen den Pfaden) Schulung und Training
Pfad 1: Controller und bevorzugter Reliever
ICS/Formoterol als Reliever senkt Exazerbationsrisiko im Vergleich zu SABA-Reliever
Stufen 1–2 niedrig dosiertes ICS/Formoterol bei Bedarf
Stufe 3
niedrig dosiertes
ICS/Formoterol zur Erhaltung
Stufe 4
mittelgradig dosiertes
ICS/Formoterol zur Erhaltung
Stufe 5*
Zugabe von LAMA
Überweisung zur Phänotypevaluierung Erwägen von hoch dosiertem ICS/Formoterol, ± anti-IgE, anti-IL5/5R, anti-IL 4R, anti-TSLP
RELIEVER: Niedrig dosiertes ICS-Formoterol bei Bedarf
Pfad 2: Controller und alternativer Reliever
Vor Erwägung eines Regimes mit SABA-Reliever
Therapieadhärenz gegenüber täglichem Controller sicherstellen
Stufe 1
ICS bei jeder SABAApplikation
Stufe 2
niedrig dosiertes ICS zur Erhaltung
Stufe 3
niedrig dosiertes ICS/LABA zur Erhaltung
Stufe 4
mittelgradig/ hoch dosiertes ICS/LABA zur Erhaltung
RELIEVER: SABA bei Bedarf
Stufe 5*
Zugabe von LAMA
Überweisung zur Phänotypevaluierung. Erwägen von hoch dosiertem ICS/Formoterol, ± anti-IgE, anti-IL5/5R, anti-IL 4R, anti-TSLP
Andere Controller-Optionen für jeden Pfad (limitierte Indikationen oder weniger Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit)
niedrig dosiertes ICS bei jeder Applikation von SABA oder täglich LTRA oder Zugabe von HDM-SLIT
mittelgradig dosiertes ICS oder Zugabe von LTRA oder HDM-SLIT
Zugabe von LAMA oder LTRA oder HDM-SLIT oder Wechsel zu hoch dosiertem ICS
Zugabe von Azithromycin (Erwachsene) oder LTRA; Zugabe von niedrig dosiertem OCS, Nebenwirkungen berücksichtigen
* siehe GINA-Guide für schweres Asthma Abkürzungen: HDM: Hausstaubmilben, SLIT: sublinguale Immuntherapie, LTRA: Leukotrienantagonist, ICS: inhalative Kortikosteroide, OCS: orale Kortikosteroide, TSLP: «thymic stromal lymphopoietin»
Abbildung: Empfehlungen der Global Initiative for Asthma (GINA) für die Asthmatherapie bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren (1)
hinsichtlich der Reduktion schwerer Exazerbationen beurteilt. Die Datenlage, die dies unterstützt, erweitert sich laufend. So präsentierte Stolz die Resultate einer Metaanalyse von 4 randomisierten, kontrollieren Studien mit insgesamt über 9500 Personen mit Asthma (3). Diese ergab, dass die Bedarfstherapie mit der Kombination ICS/Formoterol im Vergleich zu einer alleinigen SABA-Therapie die Rate an schweren Exazerbationen um 55 Prozent reduzierte. «Die Kombination weist die gleiche Wirksamkeit auf wie die tägliche Behandlung mit einem ICS und eine SABA-Bedarfstherapie. Wir können damit also die Steroidexposition reduzieren, ohne das Risiko für schwere Exazerbationen zu erhöhen», erläuterte die Rednerin. Die Metaanalyse lieferte zudem Hinweise darauf, dass ICS-Formoterol im Vergleich zu SABA allein das Risiko für Hospitalisationen aufgrund von Exazerbationen um 65 Prozent zu reduzieren vermag.
In Bezug auf den Einsatz von LAMA (lang wirksame Muskarinantagonisten) wird von der GINA darauf hingewiesen, dass diese aufgrund des erhöhten Risikos für schwere Exazerbationen nicht als Monotherapie (d. h. ohne ICS) eingesetzt werden sollen (1). Aktuelle Daten bestätigten zudem, dass die Zugabe eines LAMA zu ICS/LABA nur eine geringe Verbesserung der Lungenfunktion erreicht, ohne Auswirkungen auf Symptome und Lebensqualität (4). «Diese Kombination sollte also nicht Erkrankten verschrieben werden, die als alleiniges Symptom über Dyspnoe klagen», kommentierte Stolz. Im Vergleich zu ICS/LABA führt die Tripeltherapie auch nur zu einem leichten Rückgang der Exazerbationen. Patientinnen und Patienten mit Exazerbationen sollten daher mindestens eine mittlere Dosis ICS/ LABA erhalten, bevor ein zusätzlicher LAMA in Betracht gezogen wird (2).
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BERICHT
COPD – Einteilung in 5 verschiedene Typen
Das zweite Thema des Vortrags von Stolz war ein Update zur chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Einleitend wies sie auf die hohe Mortalität hin, die mit dieser Erkrankung einhergeht. «Jedes Jahr kommt es zu über 3 Millionen COPD-bedingten Todesfällen», berichtete sie: «Je nach geografischer Region erreicht die COPD eine Prävalenz von bis zu 12 Prozent der erwachsenen Bevölkerung.» Da sich in den letzten Jahren an diesen Zahlen nicht viel geändert hat, wurde eine Lancet-Kommission ins Leben gerufen, die mögliche Wege zur Elimination der COPD vorgeschlagen hat (5). «Eine der wichtigsten Botschaften dieser Publikation ist, dass die COPD – im Gegensatz zu Asthma – eine sehr heterogene Erkrankung darstellt, die mehrere Kompartimente der Lunge, nicht nur das Parenchym, betrifft», berichtete Stolz. Daher könne eine Spirometrie womöglich nicht alle Veränderungen erfassen, die mit einer COPD einhergingen. Zudem wisse man heute, dass etwa 50 Prozent der Menschen mit COPD eine normale Abnahme der Lungenfunktion aufwiesen. Allerdings starten diese Personen bereits mit einem schlechteren Ausgangswert, da sie in ihrer Jugend gar nie die maximale Lungenfunktion erreicht haben, zum Beispiel aufgrund von frühgeburtlich bedingten Schäden oder schweren Atemwegsinfektionen in der Kindheit (6). Die Lungenfunktion bei jungen Menschen, die zu früh geboren wurden, wird jedoch nicht routinemässig getestet. Die Überwachung von Patienten nach solch frühen Lebensereig-
nissen könnte die Grundlage für eine möglichst frühe Diag-
nose einer COPD bilden und zu neuen krankheitsmodifizie-
renden Behandlungen führen.
Die Kommission schlug schliesslich auch vor, COPD in 5 ver-
schiedene Typen einzuteilen, je nach Hauptrisikofaktor (Ge-
netik, frühe Lebensereignisse, Lungeninfektionen, Belastung
durch Tabakrauch und Luftverschmutzung), um auf das Po-
tenzial von Frühintervention und Prävention aufmerksam zu
machen.
s
Therese Schwender
Quelle: 25th Allergy and Immunology Update (AIU), 27. bis 29. Januar 2023 in Grindelwald.
Referenzen: 1. Global Initiative for Asthma (GINA): Global Strategy for Asthma Ma-
nagement and Prevention. Update 2022. Online verfügbar unter: https:// ginasthma.org/gina-reports/, zuletzt aufgerufen am 10. März 2023. 2. Louis R et al.: European Respiratory Society Guidelines for the Diagnosis of Asthma in Adults. Eur Respir J. 2022;2101585. 3. Crossingham I et al.: Combination fixed-dose beta agonist and steroid inhaler as required for adults or children with mild asthma. Cochrane Database Syst Rev. 2021;5(5):CD013518. 4. Kim LHY et al.: Triple vs Dual Inhaler Therapy and Asthma Outcomes in Moderate to Severe Asthma: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA. 2021;325(24):2466-2479. 5. Stolz D et al.: Towards the elimination of chronic obstructive pulmonary disease: a Lancet Commission. Lancet. 2022;400(10356):921-972. 6. Lange P et al.: Lung-Function Trajectories Leading to Chronic Obstructive Pulmonary Disease. N Engl J Med. 2015;373(2):111-122.
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