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BERICHT
Hyper- und Hypothyreose
Wann sollte man danach suchen, wie abklären und wie behandeln?
Um Funktionsstörungen der Schilddrüse ging es bei einem Vortrag von Prof. Mirjam Christ-Crain, Universitätsspital Basel, an der medArt in Basel. Die Endokrinologin beantwortete nicht nur häufige Fragen aus der Praxis, sondern sie schärfte auch das Bewusstsein dafür, dass Medikamente wie Lithium, Amiodaron und Checkpoint-Inhibitoren die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigen können.
Von einer manifesten Hyperthyreose sind 0,5 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung betroffen (subklinisch: 1–5%), von einer Hypothyreose 1 bis 2 Prozent (subklinisch: 4–10%). Ein allgemeines TSH-Screening werde angesichts dieser Prävalenzen nicht empfohlen, sagte die Referentin. Ausdrücklich empfohlen wird hingegen, bei entsprechender Symptomatik nach Schilddrüsendysfunktionen zu suchen, vor allem bei Verdacht auf Hypothyreose, deren Symptome allerdings recht unspezifisch sind (Müdigkeit, Kälteempfindlichkeit, Obstipation, Muskelschwäche, Depression, Ataxie, Heiserkeit, unregelmässige Menstruation). «Wenn Sie aber eine Kombination mehrer Symptome haben, lohnt sich eine TSH-Messung», sagte Christ-Crain. Ausserdem empfiehlt sich eine Messung des TSH (thyeroideastimulierendes Hormon) bei auffälligen Laborwerten (Hypercholesterinämie, Hyperprolaktinämie, Anämie, erhöhte Kreatinkinase), bei Risikofaktoren wie einem Struma oder einer positiven Familienanamnese in Bezug auf Schilddrüsenerkrankungen sowie bei Down- oder Turner-Syndrom. Kritisch für die Schilddrüse sind Lithium und Amioda-
ron, sodass bei Patienten mit diesen Medikamenten ebenfalls der TSH-Wert bestimmt werden sollte.
Überfunktion der Schilddrüse
Eine Hyperthyreose ist durch die Beschleunigung aller Stoffwechselvorgänge gekennzeichnet. Typische Symptome sind zum Beispiel Gewichtsverlust, Palpitationen, Tachykardie, systolische Hypertonie, leichter Tremor, vermehrtes Schwitzen, erhöhte Stuhlfrequenz, Nervosität und Hyperaktivität, aber auch Müdigkeit und Muskelschwäche. Die Haut der Patienten fühlt sich meist warm und feucht an. Das gilt für alle Ursachen der Hyperthyreose. Steckt ein Morbus Basedow dahinter, kommen zusätzlich Hautveränderungen (vor allem am Schienbein) sowie Exophthalmus und eine diffus vergrösserte Schilddrüse hinzu. Wenn der TSH-Spiegel < 0,1 mU/l liegt oder nicht nachweisbar ist und das freie Thyroxin (fT4) erhöht, handelt es sich um eine manifeste Hyperthyreose. Bei einer subklinischen Hyperthyreose ist der fT4-Wert normal bei einem TSH-Wert von < 0,1 bis 0,4 mU/l.
KURZ & BÜNDIG
� Ein generelles TSH-Screening wird nicht empfohlen.
� Bei Patienten mit verdächtiger Symptomatik sollte jedoch aktiv nach einer Schilddrüsendysfunktion als möglicher Ursache gesucht werden.
� Amiodaron, Lithium und Checkpoint-Inhibitoren können zu Schilddrüsendysfunktionen führen, sodass die Schilddrüsenwerte bei diesen Patienten regelmässig kontrolliert werden sollten.
� Der TSH-Wert steigt mit dem Alter, sodass sich auch der Grenzwert für die Behandlungsbedürftigkeit bei subklinischer Hypothyreose mit dem Alter erhöht.
� Für die Einnahme von Levothyroxinpräparaten bei Hypothyreose gilt: Hauptsache nüchtern und nicht zusammen mit PPI, Kalzium, Eisen- oder Multivitaminpräparaten.
Ursache der Hyperthyreose abklären
Der nächste Schritt ist die Messung von Autoantikörpern gegen den TSH-Rezeptor (TRAK). Wenn die TRAK positiv sind, handelt es sich um Morbus Basedow; ein negativer TRAK-Befund schliesst Morbus Basedow aber nicht aus. Die Szintigrafie erlaubt, zwischen einem TRAK-negativen Morbus Basedow (homogen erhöhte Aktivität), dem Vorliegen von aktiven Schilddrüsenknoten (Autonomie) oder einer Thyreoiditis (keine oder tiefe Aktivität) zu unterscheiden. Unter dem Begriff Thyreoiditis werden verschiedene Formen und Ursachen entzündlicher Prozesse in der Schilddrüse zusammengefasst. Auch Medikamente können eine Thyreoiditis verursachen. Dazu gehören Amiodaron und die Checkpoint-Inhibitoren. Unter Checkpoint-Inhibitoren manifestiert sich diese Nebenwirkung typischerweise 4 bis 6 Wochen nach Therapiebeginn; sie kann aber auch irgendwann im Therapieverlauf auftreten. Deshalb wird empfohlen, zu Beginn der Behandlung sowie alle 3 bis 6 Wochen die Schilddrüsenwerte (TSH, fT4) zu kontrollieren.
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Therapie bei Hyperthyreose
Betablocker sind zur symptomatischen Therapie bei allen Ursachen einer Hyperthyreose geeignet (z. B. Propranolol 40 bis max. 360 mg/Tag). Unumstritten ist die Indikation einer, falls möglich, ursächlichen Behandlung ab einem TSH-Wert < 0,1 mU/l, weil dann das Risiko für Vorhofflimmern und Osteoporose erhöht ist. Die Behandlungsbedürftigkeit bei subklinischer Hyperthyreose (TSH < 0,1 bis 0,4 mU/l) wird hingegen kontrovers diskutiert. Bei jungen, anderweitig gesunden Personen würde Christ-Crain eher abwarten, bei älteren Patienten, insbesondere bei denjenigen mit Vorhofflimmern oder Osteoporose, würde sie eher behandeln. Es sei allerdings immer eine individuelle Entscheidung. Bei Morbus Basedow wird versucht, die Hyperaktivität der Schilddrüse mit Thyreostatika in den Griff zu bekommen. Falls das scheitert, kommen Radiojod oder eine Thyreoidektomie infrage. Bei einem Patienten mit autonomen Schilddrüsenknoten kommen Thyreostatika allenfalls als Überbrückung bis zur definitiven Entfernung der Knoten (Radiojod, Thyreoidektomie) zum Einsatz. Wenn bei älteren Risikopatienten mit autonomen Knoten eine bildgebende Untersuchung mit jodhaltigem Kontrastmittel geplant ist, sollte zuvor der TSHWert bestimmt werden. Liegt er < 0,4 mU/l, müssen 10 bis 20 mg Carbimazol (Néo-Mercazole®) mindestens 2 Stunden vor dem Kontrastmittel und anschliessend für weitere 7 bis 14 Tage gegeben werden. Nach der Exposition sollte der Patient an endokrinologische Spezialisten zur Verlaufskontrolle und zur Beratung des weiteren Vorgehens überwiesen werden. Gegen die Thyreoiditis gibt es keine ursächliche Therapie. Thyreoiditis de Quervain kann sehr schmerzhaft sein, sodass zusätzlich NSAR infrage kommen, selten auch Steroide.
Was tun bei Schilddrüsenproblemen wegen Amiodaron?
Amiodaron, das «Lieblingsmedikament der Kardiologen», dessen Folgen dann die Endokrinologen ausbaden müssten, so Christ-Crain, enthalte viel Jod (6 mg in einer 200-mg-Tablette). Die grosse Menge anflutenden Jods könne zu einer Überfunktion der Schilddrüse führen, was oft bei einer bereits bestehenden subklinischen Hyperthyreose der Fall sei. In diesem Fall auf jodiertes Salz zu verzichten, bringe übrigens nichts, sagte die Referentin auf Nachfrage. Die Einsparung sei wegen der geringen Jodmenge im Speisesalz im Verhältnis zu dem sehr hohen Jodgehalt des Medikaments irrelevant. Amiodaronpräparate können zudem einen jodunabhängigen, direkt toxischen Effekt auf die Schilddrüse entfalten. Beide Effekte treten häufig gleichzeitig auf. An der Endokrinologie am Universitätsspital in Basel gibt man deshalb Carbimazol (40–60 mg/Tag) plus Prednison (40 mg/Tag), kontrolliert die Schilddrüsenwerte nach 2 Wochen und schleicht die Medikamente je nach Verlauf wieder aus. Ob Amiodaron abgesetzt werden könnte oder nicht, ist mit den behandelnden Kardiologen zu diskutieren. Die Substanz hat eine lange Halbwertszeit, sodass ein Absetzen für die Schilddrüse akut wenig bringt. Bei Patienten mit einer Herzerkrankung, maligner Arrhythmie oder einer sich verschlechternden Herzfunktion solle man rasch eine Thyreoidektomie erwägen, empfahl die Referentin.
Amiodaron kann über den sogenannten Wolff-Chaikoff-Effekt auch eine Hypothyreose verursachen. Das Phänomen beruht darauf, dass die Schilddrüse bei einem hohen Jodspiegel die Hormonsynthese drosselt, sodass es zu einer transienten Hypothyreose kommt, die dann wieder von selbst verschwindet. Bei Patienten mit einer Hashimoto-Thyreoiditis klappt das aber häufig nicht, sodass die Hypothyreose persistiert. Angesichts der einfachen Behandlungsmöglichkeit mit L-Thyroxin ist bei solchen Patienten die Fortführung der Amiodarontherapie kein Problem.
Und die Hypothyreose?
Die mit Abstand häufigste Ursache der Hypothyreose sei in der Schweiz die Hashimoto-Thyreoiditis, sagte Christ-Crain. Charakteristisch sind Antikörper gegen Thyreoperoxidase (TPO). Die Messung der TPO-Antikörper ist bei der Differenzialdiagnose nützlich, wiederholte Messungen sind jedoch sinnlos, weil sie keine therapeutischen Konsequenzen haben. Jodmangel als Ursache für eine Hypothyreose sei in der Schweiz dank der Jodierung des Speisesalzes im Grunde kein Problem mehr. In diesem Zusammenhang wies die Referentin darauf hin, dass Meersalz nur wenig Jod enthalte und nicht als einziges Salz verwendet werden sollte. Die zum Teil bereits genannten Medikamente Amiodaron, Lithium und Checkpoint-Inhibitoren können ebenfalls eine Hypothyreose verursachen.
Therapie bei Hypothyreose
Die Therapie bei Hypothyreose besteht in der Substitution von L-Thyroxin (T4, Levothyroxin). In der Schweiz sind mehrere Produkte mit verschiedenen L-Thyroxin-Dosierungen zugelassen (Eltroxin®, Euthyrox®, Tirosint®). Man beginnt mit einer Dosis von 1,6 µg/kg Körpergewicht und kontrolliert die Werte von TSH und fT4 nach 4 bis 6 Wochen. Im Beipackzettel dieser Medikamente wird betont, dass L-Thyroxin eine halbe Stunde vor dem Frühstück eingenommen werden müsse. Wie eine Studie bereits 2018 ergab, sind jedoch andere Zeitpunkte genauso gut, nämlich 1 Stunde vor der Hauptmahlzeit oder mit mindestens 2 Stunden Abstand vom Nachtessen vor dem Schlafengehen. Sehr wichtig bleibt in jedem Fall, dass Levothyroxin nicht zusammen mit Protonenpumpenhemmern (PPI), Kalzium, Eisen- oder Multivitaminpräparaten eingenommen werden darf.
Subklinische Hypothyreose: Wann behandeln?
Wenn der TSH-Wert erhöht (> 4,0 mU/l)* und das fT4 normal ist, spricht man von einer subklinischen Hypothyreose. Eine einzige Messung reicht nicht aus, weil transiente subklinische Hypothyreosen nicht so selten sind. Sie träten zum Beispiel auch bei schweren Erkrankungen auf, wie ChristCrain anhand des Fallbeispiels einer älteren Patienten nach einem stationären Aufenthalt infolge einer Pneumonie erläuterte: «Seien Sie vorsichtig bei der Interpretation von Schilddrüsenwerten bei kranken Patienten!» Deshalb ist es wichtig, erhöhte TSH-Werte nach einem ersten Befund nach 2 bis 3 Monaten zu überprüfen und erneut zu messen. Falls der TSH-Wert dann immer noch erhöht ist, empfahl die Referentin folgendes Vorgehen:
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s TSH < 7 mU/l: Eine Behandlung ist prinzipiell nicht indiziert; allenfalls kann sie bei Symptomen für 6 Monate ausprobiert werden.*
s TSH 7–10 mU/l: Therapie bei Symptomen.* s TSH > 10 mU/l: Therapie empfohlen. Die Grenzwerte für eine Behandlung* sind altersabhängig, denn die TSH-Werte sind bei älteren Personen generell höher. Es werde im Prinzip nicht empfohlen, einen älteren Patienten mit einem TSH < 7 mU/l zu behandeln, sagte die Referentin in der Fragerunde. Das Risiko einer Überbehandlung und damit das Risiko für Osteoporose und Vorhofflimmern seien dann höher als der Nutzen für den Patienten. Es sprächen nur sehr schlechte Daten dafür, dass sich die Symptome eines Patienten mit einem TSH-Wert < 7 mU/l durch die Behandlung verbesserten. Auch in der Schwangerschaft sollte im Allgemeinen nicht auf Hypothyreose gescreent werden, ergänzte Christ-Crain auf Nachfrage. Der aktuelle Konsens zu diesem kontrovers diskutierten Thema sei, dass allenfalls bei Schwangeren mit Risikofaktoren (älter, Infertilitätsbehandlung, Schilddrüsendysfunktion in der Anamnese) nach einer Hypothyreose gesucht werden sollte. Die Behandlung erfolgt auch in der Schwangerschaft mit L-Thyroxin. Die Referentin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass mit dem Eintritt einer Schwangerschaft bei einer Frau, die wegen Hypo
thyreose bereits L-Thyroxin erhalte, die Dosis sofort erhöht
werden müsse, weil der Bedarf stark ansteige; die Schild
drüsenwerte sollten im Verlauf dieser Schwangerschaft regel-
mässig überprüft werden.
s
Renate Bonifer
Quelle: Prof. Mirjam Christ-Crain: «Schilddrüsendysfunktion», Vortrag an der medArt Basel am 21. Juni 2023.
*Gemäss der neuen S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) gelten folgende, nach Alter gestaffelten TSH-Werte als erhöht: • > 4,0 mU/l bei 18- bis 70-Jährigen • > 5,0 mU/l bei über 70- bis 80-Jährigen • > 6,0 mU/l bei über 80-Jährigen. Die Grenzwerte für die Behandlung bei einer Hypothyreose werden in dieser Leitlinie wie folgt definiert: • TSH ≤ 10 mU/l, fT4 normal und asymptomatisch: unabhängig vom Alter
nicht substituieren • TSH > 10 mU/l, fT4 normal und ≤ 75 Jahre: substituieren, abhängig von
Symptomatik und Patientenwunsch, Therapieverzicht unter TSH-Kontrolle möglich (bis < 20 mU/l) • TSH erhöht aber < 20 mU/l, fT4 normal und > 75 Jahre: Verzicht auf Substitution möglich. Mehr dazu in ARS MEDICI 2023;113(14-16):404-406 und Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM): Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. S2k-Leitlinie. AWMF-Register-Nr. 053046; DEGAM-Leitlinie Nr. 18; Stand: 04/2023.
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