Transkript
BERICHT
Highlights vom EULAR 2023
Neues zur Therapie rheumatoider Erkrankungen
Studien zum Einfluss von MTX auf die Spermienqualität, zur Auswirkung von kardiovaskulären Vorerkrankungen bei rheumatoider Arthritis, zur Wirksamkeit von Herpes-zoster-Impfungen, zur Therapie von PsA-betroffenen Nägeln oder zum Stopp der SpA-Progression – das sind nur einige der vielen Highlights, die am diesjährigen europäischen Rheumatologenkongress (EULAR) in Mailand vorgestellt wurden.
Jeder zehnte Mensch ist von einer Autoimmunerkrankung betroffen. Dies geht aus einer neuen, in Mailand vorgestellten Studie hervor, in die elektronische Daten von über 22 Millionen Menschen aus Grossbritannien eingeflossen sind (1). Dabei berücksichtigten die Wissenschaftler die 19 häufigsten Autoimmunerkrankungen. Betroffen von einer oder mehreren Autoimmunerkrankungen waren 10,2 Prozent der Population, davon 13,1 Prozent Frauen und 7,4 Prozent Männer. Interessanterweise stieg die Prävalenz innerhalb des untersuchten Zeitraums (zwischen 2000 und 2019) um 4 Prozent leicht an. Der Anstieg war mit einer Verdoppelung am stärksten bei Morbus Basedow, Zöliakie und dem Sjögren-Syndrom. Diese Zunahme könne einerseits in der höheren Aufmerksamkeit gegenüber diesen Erkrankungen begründet sein, andererseits seien auch Umwelteinflüsse nicht auszuschliessen, so Erstautorin Nathalie Conrad aus Leuven/Belgien. Hingegen verminderten sich während der gleichen Periode die Inzidenzen der Hashimoto-Thyreoiditis (eine chronische Schilddrüsenentzündung) und die der perniziösen Anämie (Morbus Biermer) signifikant. Sozioökonomische Assoziationen zeigten sich bei Morbus Basedow, perniziöser Anämie, rheumatoider Arthritis (RA) und systemischem Lupus erythematodes. Auch saisonale Unterschiede traten auf: Während ein Diabetes mellitus Typ 1 eher im Winter diagnostiziert wurde, wurde eine Vitiligodiagnose eher im Sommer gestellt.
MTX: Behandlung wohl ohne Einfluss auf Spermienqualität
Die Sicherheit von Methotrexat (MTX) bei Männern mit Kinderwunsch wird immer wieder diskutiert. Tatsächlich empfehlen die aktuellen Schweizer Guidelines in solchen Fällen eine lange Auswaschphase für MTX. In einer früheren Studie konnte jedoch gezeigt werden, dass eine MTX-Exposition nicht mit Abnormalitäten oder einem DNA-Schaden bei den Spermien verbunden war (2). Trotzdem blieb bislang die Frage unbeantwortet, ob MTX respektive seine bioaktive
Form Polyglutamat (MTX-PG) in Spermatozoen nachweisbar ist. Auch war unklar, ob die Umwandlung von MTX in MTX-PG durch das Enzym Folylpolyglutamat-Synthetase (FPGS) in den Spermien möglich ist. Luis Fernando Perez-Garcia aus Rotterdam und sein Team konnten in ihrer neuen Untersuchung erstmals zeigen, dass MTX-PG nach MTX-Exposition nicht oder fast nicht in Spermatozoen nachzuweisen ist (3). Überdies zeigte sich, dass die katalytische Aktivität von FPGS in Spermatozoen signifikant geringer ist als in peripheren mononukleären Blutzellen (p = < 0,005). Diese Ergebnisse unterstützten die früheren Resultate, dass MTX die Spermienqualität nicht beeinflusse und damit bei Männern mit Kinderwunsch sicher eingesetzt werden könne, so das Fazit der niederländischen Wissenschaftler. Rheumatoide Arthritis: Kardiovaskuläre Erkrankungen beachten Patienten mit RA und einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung in der Vergangenheit (HxASCVD) haben, wenn sie mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib (TOFA) behandelt werden, im Vergleich zu einer Therapie mit TNF-Inhibitoren ein höheres Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE). Bei Patienten ohne HxASCVD sind die Risiken für ein MACE unter TOFA und TNF-Inhibitoren jedoch vergleichbar (4). In einer Post-hoc-Analyse der ORALSurveillance-Studie hat eine internationale Forschergruppe nun diese Situation näher untersucht (5). Die eingeschlossenen RA-Patienten hatten entweder 2-mal täglich TOFA (5 oder 10 mg) oder TNF-Inhibitoren erhalten. Nach 6 Monaten zeigten sich die Odd Ratios (OR) für eine Remission bei Teilnehmern ohne HxASCVD-Historie unter TOFA höher als unter TNF-Inhibitoren. Bei Patienten mit einer solchen Vorbelastung waren die Remissionsraten unter beiden Substanzen ähnlich; allerdings seien die erhöhten kardiovaskulären Risiken zu beachten (4), so die Autoren. Die Ergebnisse dieser Studie würden jetzt eine genauere Risikostratifizierung für den Einsatz von TOFA erlauben. 396 ARS MEDICI 14–16 | 2023 BERICHT Höheres Mortalitätsrisiko unter Kortikosteroiden nach Myokardinfarkt In einer früheren Studie wurde bereits gezeigt, dass Patienten mit RA nach einem Myokardinfakt (MI) häufiger versterben als MI-Patienten ohne Rheuma, und zwar innerhalb sowohl von 1 Monat als auch von 1 Jahr nach dem Ereignis. In einer grossen schwedischen Registerstudie, basierend auf den Daten von knapp 200 000 Patienten mit akutem Myokardinfarkt zwischen 2006 und 2017, wurden rund 3700 RA-Betroffene detektiert und nach ihrer Anti-RA-Medikation gruppiert (6). Sowohl bei RA- als auch bei Nicht-RA-Patienten lag das Mortalitätsrisiko unter Kortikosteroiden nach einem ersten MI signifikant höher als unter anderen Medikamenten (OR: 1,61 und 1,66). In der RA-Gruppe war die Behandlung mit konventionellen DMARD und TNF-Inhibitoren mit einem besseren Überleben assoziiert (OR: 0,81 und 0,72). Gute Herpes-zoster-Impfantwort bei UPA/MTX-Therapie Die Behandlung mit JAK-Inhibitoren ist bei rheumatoiden Erkrankungen mit einer erhöhten Inzidenz von Herpes zoster (HZ) assoziiert. In einer am EULAR vorgestellten Subanalyse einer internationalen Phase-III-Studie wollte man nun die Wirksamkeit und Sicherheit des rekombinanten HZ-Totimpfstoffs bei RA-Patienten testen, die mit einer Kombination aus dem JAK-Inhibitor Upadacitinib (UPA; 15 mg/Tag) und MTX behandelt wurden (7). Die mit UPA/MTX behandelten Teilnehmer (n = 93; mittleres Alter: 62 Jahre) erhielten 2 Dosen der Vakzine. Eine zufriedenstellende humorale Antwort liess sich nach 4 Wochen bei 64 Prozent und nach 16 Wochen bei 88 Prozent der Teilnehmer feststellen. Es wurden innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung keine ernsthaften Nebenwirkungen registriert. Damit wiesen 9 von 10 der mit UPA und MTX behandelten RA-Patienten eine zufriedenstellende Immunantwort auf, so die Forscher. Eine gleichzeitige Behandlung mit Steroiden hatte keinen negativen Effekt auf das Ergebnis der Zosterimpfung. Überdies wurde eine Studie zur Langzeitsicherheit von UPA bei RA-Patienten vorgestellt (8). Für die Untersuchung wurden 6 randomisierte Studien des SELECT-Programms gepoolt; interessanterweise beinhalteten sie auch Vergleichsgruppen mit Adalimumab (ADA). Nach 6,5 Jahren Behandlung wurden bei den mit UPA behandelten Patienten keine neuen Sicherheitsaspekte identifiziert. Die Nebenwirkungsraten bei UPA und ADA waren ähnlich, mit Ausnahme der Herpes-zoster-Raten, der Kreatininphosphokinasewerte und der Inzidenz von nicht melanozytärem Hautkrebs (unter UPA numerisch höher als unter ADA). Baricitinib gegenüber TNF-Hemmer überlegen Werden bei RA-Patienten die Therapieziele nicht mit konventionellen DMARD erreicht, können Biologika oder JAK-Inhibitor eingesetzt werden. In Mailand wurde eine Real-World-Studie vorgestellt, bei der csDMARD-refraktäre RA-Patienten in einer Treat-to-Target- Strategie entweder mit dem JAK-Inhibitor Baricitinib (BARI; n = 97) oder mit TNF-Inhibitoren (n = 102) behandelt wurden (9). Nach 12 Wochen wurde der primäre Endpunkt erreicht: BARI war hinsichtlich der ACR50-Response den TNF-Inhibitoren nicht nur «nicht unterlegen», sondern überlegen. Zudem wurde von 74 Prozent der mit BARI behandelten Patienten eine DAS28-Remission (DAS28-CRP < 0,6) erreicht, während dies unter TNF-Hemmern bei 46 Prozent der Fall war (p < 0,001). Zwar seien die Daten solcher vergleichenden Studien aus der klinischen Praxis sehr wertvoll und informativ, so Sofia Ramiro aus Leiden/NL in einem Kommentar zu dieser Studie. Trotzdem dürfe man nicht vergessen, dass diese Untersuchung nicht verblindet gewesen sei und dadurch subjektive Einflüsse theoretisch denkbar seien. PsA: Bimekizumab nach gescheiterter TNF-Therapie Zu der mittlerweile recht breiten Palette an Wirkstoffen zur Behandlung der Psoriasisarthritis (PsA) kommt in naher Zukunft der monoklonale Antikörper Bimekizumab (BKZ) hinzu. Das ist ein dualer Interleukin-17-(IL-17-)Inhibitor, der sowohl IL-17A als auch IL-17F hemmt. In Mailand wurde eine britisch-niederländisch-amerikanische Phase-III-Studie mit rund 400 Patienten präsentiert, die unter PsA litten und mindestens 1 gescheiterte Behandlung mit einem TNFInhibitor hinter sich hatten (10). Sie erhielten alle 4 Wochen subkutan BKZ (160 mg) oder Plazebo. Nach 16 Wochen erreichten signifikant mehr Teilnehmer unter BKZ den zusammengesetzten Endpunkt aus verschiedenen PsA- und Psoriasisindizes/-scores als unter Plazebo. Eine «minimal and very low disease activity» (MDA) zeigten nach 16 Wochen 16,6 Prozent unter Plazebo und 44,2 Prozent unter BKZ. Nach 52 Wochen erreichte fast die Hälfte der mit BKZ Behandelten (47,2%) eine MDA. Nachdem die Plazebopatienten nach 16 Wochen ebenfalls auf BKZ gewechselt waren, erlangte nach 52 Wochen rund ein Drittel (33,1%) eine MDA. Zudem wurde in Mailand eine sehr umfangreiche Sicherheitsanalyse mit über 4000 Patienten und knapp 10 000 Patientenjahren zum IL-23-Inhibitor Guselkumab vorgelegt (11). Grundlage waren die 11 wichtigsten plazebokontrollierten Studien der klinischen Phasen II und III quer durch die Psoriasis und PsA. Die gepoolten Sicherheitsdaten waren in der Guselkumab- und Plazebogruppe sehr ähnlich, und zwar hinsichtlich ernsthafter Nebenwirkungen, zum Therapieabbruch führender Nebenwirkungen oder Infektionen. Die Raten an ernsthaften Infektionen waren – wie insgesamt die ernsthaften Nebenwirkungen – sehr gering und für Guselkumab und Plazebo vergleichbar. Damit stellte die IL-23-Inhibiton quer durch diese breite Studienpopulation ein sicheres Wirkprinzip dar. Weniger Nagelbeteiligung mit Ixekizumab Bei Patienten mit PsA liegt die Prävalenz einer Nagelbeteiligung bei 41 bis 93 Prozent. Diese Nagelentzündungen sind wiederum mit Inflammationen der Interphalangealgelenke verbunden. In einer neuen Analyse der SPIRIT-H2H-Studie wollte man bei 354 entsprechend doppelt betroffenen PsA-Patienten die Wirkung des IL-17A-Inhibitors Ixekizumab (IXE) und des TNF-Hemmers ADA auf diese beiden Komorbiditäten untersuchen (12). Nach 24 Wochen Therapie wiesen im Vergleich zu ADA signifikant weniger mit IXE behandelte Patienten eine Nagelbeteiligung (NAPSI-Score: > 0; p < 0,05) und numerisch weniger entzündete Interphalangealgelenke auf. Auch die Schmerzempfindlichkeit der Gelenke war unter IXE numerisch geringer. Auch zur Wirksamkeit des oralen Phosphodiesterase-4-Hemmers Apremilast wurde eine neue Untersuchung vorgelegt, 398 ARS MEDICI 14–16 | 2023 BERICHT und zwar bei PsA-Patienten mit aktiven Entzündungen an den peripheren Gelenken plus Enthesitis (13). In der PhaseIV-Studie MOSAIC erhielten 122 Patientinnen und Patienten über 48 Wochen entweder Apremilast allein oder in Kombination mit MTX. Die Untersuchung mit dem GanzkörperMRA zeigte im MRI-WIPE-Score («whole-body scoring system for inflammation in peripheral joints and entheses») signifikante Verbesserungen der peripheren Entzündungen nach 24 Wochen um –3,49 (–5,46, –1,52) und nach 48 Wochen um –4,06 (–6,39, –1,72) Punkte. SpA: Head-to-head – keine Unterschiede bei Abnahme der Röntgenprogression In Mailand wurden Daten der ersten randomisierten Headto-head-Studie (SURPASS) für die radiografische axiale Spondyloarthritis (r-axSpA) vorgestellt. Die Forscher verglichen 2 Dosierungen des humanen monoklonalen Antikörpers Secukinumab (SECU; 150 und 300 mg) und ein Biosimilar von ADA (40 mg) im Verhältnis 1:1:1 (14). Die Patienten besassen mit einem erhöhten CRP und/oder Syndesmophyten (Einschlusskriterien) ein von vornherein hohes Risiko für eine weitere Röntgenprogression. Der primäre Endpunkt (Anteil der Patienten ohne Röntgenprogression in Woche 104) wurde von 66,1 Prozent (SECU 150 mg), 66,9 Prozent (SECU 300 mg) und 65,6 Prozent (ADA) erreicht. Mit anderen Worten: Zwischen den Studienarmen konnte über 2 Jahre hinweg kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Trotzdem enthält SURPASS eine sehr wichtige Botschaft: Bei rund zwei Dritteln der Patienten konnte die Progression eines röntgenologisch nachweisbaren Strukturschadens gestoppt werden. Geografische phänotypische Unterschiede bei axSpA Interessante globale Einblicke in die unterschiedlichen Phänotypen der axSpA gab eine durch internationale Patientenorganisationen unterstützte weltweite Patientenbefragung (15). In dieser wurden 5557 Patienten aus 5 geografischen Regionen (Nordamerika, Lateinamerika, Europa, Asien und Afrika) in 27 Ländern online zu ihrer Erkrankung und ihrem klinischen Phänotyp befragt. Die Teilnehmer waren bei Sym- ptombeginn 25 bis 30 Jahre alt, wobei die Diagnoseverzöge- rung in Südafrika am längsten und in Asien am geringsten war. In Asien zeigte sich die Prävalenz einer HLA-B27-Posi- tivität am höchsten und in Lateinamerika am niedrigsten. Eine SpA-Familiengeschichte wurde am häufigsten in Eu- ropa und am seltensten in Asien festgestellt. Die Krankheits- aktivität (BASDAI) betrug im Durchschnitt 5,4, wobei in Südafrika die höchsten und in Asien die tiefsten Werte zu verzeichnen waren. Extramuskuloskelettale Manifestatio- nen traten hingegen weniger häufig in Europa auf. Fast 50 Prozent der Teilnehmer waren bereits mit Biologika behan- delt worden, die meisten davon in Nordamerika. s Klaus Duffner Referenzen: 1. Conrad N et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 5. EULAR 2023, OP0007. 2. Perez-Garcia LF et al.: Ann Rheum Dis 2022;81(1): 84. 3. Perez-Garcia LF et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 147. EULAR 2023, OP0224. 4. Charles-Schoeman C et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82: 119-29. 5. Buch MH et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 27. EULAR 2023, OP0043. 6. Skielta M et al.: Ann Rheum Dis 2023; EULAR 2023, OP0024. 7. Winthrop K et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 148. EULAR 2023, OP0225. 8. Cohen SB: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 709. EULAR 2023, POS0826. 9. Voshaar MO et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 713. EULAR 2023, POS0830. 10. Coates L et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 1775. EULAR 2023, AB1099. 11. Coates L et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 1134. EUAR 2023, POS1538. 12. Mcgonagle D et al.: Ann Rheum Dis 2023: 82 (1): 1124. EULAR 2023, POS1526. 13. Østergaard M et al.: Ann Rheum Dis 2023: 82 (1): 2000. EULAR 2023, AB1535. 14. Baraliakos X et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1), 2023: 38. EULAR 2023, OP0059. 15. Poddubnyy D et al.: Ann Rheum Dis 2023; 82 (1): 123. EULAR 2023, OP0187. ARS MEDICI 14–16 | 2023 399