Transkript
STUDIE REFERIERT
Sportparadox
Ist Ausdauersport schlecht für die Koronarien?
Bis anhin galt, wer Sport treibt, reduziert sein Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Die belgische Master@Heart-Studie, die die Entwicklung der Koronarsklerose bei Ausdauersportlern mit derjenigen bei Nichtsportlern verglich, bringt diese Gewissheit nun kräftig ins Wanken. Personen mit hoher kardiorespiratorischer Fitness scheinen bezüglich der Plaquebelastung nämlich keinen Vorteil zu haben, im Gegenteil.
Frühere Studien implizierten eine relative Immunität für ischämische Herzerkrankungen bei regelmässig betriebenem Ausdauersport. Jüngere Untersuchungen fanden bei hoch trainierten Athleten eine höhere Prävalenz für Koronarsklerose als bei gesunden Nichtathleten. Angaben zur Prävalenz von stabileren kalzifizierten Plaques und weniger stabilen gemischten Plaques fehlten dazu aber. Die nun veröffentlichte belgische Studie ging deshalb der Frage nach, inwiefern sich lebenslang betriebener Ausdauersport vor- oder nachteilig auf Plaquezahl und -zusammensetzung auswirkt, mit dem Ziel, eine Erklärung für das vermutlich tiefere Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Personen mit hoher kardiorespiratorischer Fitness zu finden.
Als primärer Endpunkt war die in der Computertomografie sichtbare, quantifizierte Prävalenz von Koronarplaque (kalzifiziert, nicht kalzifiziert, gemischt).
Paradoxes Resultat
Das Resultat war unerwartet. Die gesamthafte Plaquebelastung bei den lebenslangen Ausdauerathleten war höher als bei den Kontrollen. Die Verteilung der verschiedenen Plaquetypen erwies sich aber als ähnlich: Am häufigsten kamen kalzifizierte Plaques, gefolgt von gemischten und nicht kalzifizierten Plaques vor. Die Prävalenz für einen Koronarstenosegrad von ≥ 50 Prozent war bei den lebenslangen Athleten höher als bei Späteinsteigern, ebenso jene für einen Koronarstenose-
grad ≥ 50 Prozent in einem proximalen Segment. Vulnerable Plaques waren dagegen in allen 3 Gruppen selten, mit der tiefsten Prävalenz bei lebenslangen Ausdauersportlern.
Dosis-Wirkungs-Beziehung?
Bei gleicher gesundheitlicher Ausgangslage ohne klassische Risikofaktoren für Atherosklerose hatten die Intensivsportler im Vergleich zu den Späteinsteigern und Nichtsportlern keinen zusätzlichen Schutz gegen die KHK. Im Gegenteil, die lebenslangen Ausdauerathleten hatten im mittleren Alter mehr Koronarplaque als die Nichtsportler, inklusive nicht kalzifizierte und gemischter Plaques in proximalen Segmenten und einen Stenosegrad von
Drei Gruppen im Vergleich
An der prospektiven Beobachtungsstudie nahmen 191 Personen teil, die das ganze Leben lang Ausdauersport betrieben, und 191 Personen, die damit erst nach dem 30. Altersjahr begannen, sowie 176 Personen als Kontrollgruppe, die noch nie Ausdauersport betrieben hat. Alle Teilnehmer waren Männer, im Median 56-jährig (± 6 Jahre), kardiovaskulär gesund und ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, Übergewicht, Diabetes, Dyslipidämie und Rauchen. Als Ausdauersport galt Radfahren ≥ 6 Stunden/Woche, Laufen ≥ 6 Stunden/ Woche oder Triathlon ≥ 8 Stunden pro Woche, dies während mindestens 6 Monaten vor Studienbeginn. Als Nichtsportler galt, wer seit jeher ≤ 3-mal/ Woche körperlich aktiv war.
Nachgefragt bei Prof. Dr. med. Matthias Wilhelm Chefarzt und Ärztlicher Leiter Medizinbereich Rehabilitation und Sportmedizin, Berner Reha Zentrum, Spital Tiefenau, Inselspital, Universitätsspital Bern
Wie muss man dieses Resultat einordnen?
Die Ergebnisse erstaunen keinesfalls. Es gibt konsistente Beobachtungsdaten, die zeigen, dass hochvolumiger/intensiver Ausdauersport keinen grösseren Überlebensvorteil bringt. Für die Klinik bedeutet das: Sport ist ein Hobby wie Lesen oder Gitarre spielen. Für die Herzkreislaufgesunden reichen die von der WHO empfohlenen 150 bis 300 min/Woche in mindestens moderater Aktivität, wie auch immer diese durchgeführt wird. Eine aus meiner Perspektive mögliche Erklärung, die ich aber nicht beweisen kann, ist die Inflammation, die mit hochintensivem Ausdauersport verbunden ist wie beim Jungfraumarathon*. Wenn das kumuliert, ohne ausreichende Regeneration, könnte das atherogen wirken.
* Wilhelm M et al.: Inflammation and atrial remodeling after a mountain marathon. Scand J Med Sci Sports. 2014;24(3):519-525.
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≥ 50 Prozent – alles etablierte Risikofaktoren für eine ischämische Herzerkrankung. Die Späteinsteiger lagen meist dazwischen. Damit zeichnet sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung ab: Je länger der Ausdauersport betrieben wird, desto höher ist die Plaquebelastung. Das tiefere Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei hoch trainierten Ausdauerathleten im Vergleich zu Nichtsportlern fusst somit nicht auf einer vorteilhafteren Plaquezusammensetzung. Das wirft für die Autoren die Frage auf, ob kardiovaskuläre Ereignisse bei Intensivsportlern tatsächlich seltener sind, und wenn ja, wie sich dieses Paradox er-
klärt. Die Autoren stellen folgende Vermutungen an: Vulnerable Plaques, die das höchste Risiko für kardiale Ereignisse bergen, seien bei den Intensivsportlern trotz höherer Plaquebelastung genauso selten gewesen wie in den anderen beiden Gruppen. Zudem sei es bekannt, dass Ausdauerathlethen über grössere Koronararterien und ein grösseres vasodilatatorisches Potenzial verfügten, was zu einem tieferen PlaqueGefäss-Verhältnis und damit zu einer weniger signifikanten Stenose führen könne. Dass intensive Ausdauersportler eine grössere Plaquebelastung aufweisen, könnte an der Ernährung liegen. Diese unterscheide sich von den ande-
ren Gruppen durch die hochkalorische
und proteinreiche Zusammensetzung.
Als Limitation der Studie muss aller-
dings die nur männliche Teilnehmer-
struktur gelten. Diese wurde jedoch
aufgrund des viel tieferen KHK-Risikos
für Frauen so gewählt. Alle Teilnehmer
waren zudem weiss, die Resultate kön-
nen demnach nicht auf andere Ethnien
übertragen werden.
VH s
Quelle: De Bosscher R et al.: Lifelong endurance exercise and its relation with coronary atherosclerosis. Eur Heart J. 2023;ehad152.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie deklarieren keine Interessenkonflikte.
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