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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Alkohol, Stress und das Herz
Senkt eine alkoholbedingte Stressreduktion das MACE-Risiko?
Mit Bezug auf den Alkoholkonsum zeigte sich bei der Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (MACE: major adverse cardiac event) in verschiedenen Studien eine J- oder U-förmige Kurve. Nützlich scheint demnach pro Tag allenfalls maximal 1 Drink für Frauen und 1 bis 2 Drinks für Männer zu sein; was darüber liegt, erhöht die MACE-Rate. Andere Gesundheitsrisiken steigen hingegen schon ab dem ersten Schluck, sodass in keiner der einschlägigen Studien der Hinweis fehlte, dass man keinesfalls mit dem Trinken anfangen sollte, um dem Herz etwas Gutes zu tun. Im Journal of the American College of Cardiology (JACC) wurde nun eine weitere, gemäss Chefredaktor Dr. Valentin Fuster «kuriose» Studie zum Thema Alkohol und MACE publiziert. Bis anhin führte man die positive Assoziation eines geringen Alkoholkonsums mit der MACE-Rate unter anderem auf eine Steigerung von HDL, das Vermindern des Fibrinogenspiegels, antioxida-
tive Substanzen usw. zurück. Das könne den Effekt aber nicht ausreichend erklären, sagte Fuster in einem Podcast zu der neuen Studie. Deren Autoren widmeten sich der durch Alkohol bedingten mentalen Entspannung als möglichem Wirkmechanismus, denn Stress ist bekanntermassen ein MACE-Risiko. Sie werteten die Daten von 53 065 Teilnehmern einer US-amerikanischen Forschungskohorte aus, der Mass General Brigham Biobank (median 60 Jahre alt, 60% Frauen). 45 Prozent der Teilnehmer konsumierten keinen oder kaum Alkohol (weniger als 1 Drink pro Woche), und 51 Prozent gaben einen leichten bis moderaten Alkoholkonsum (1–14 Drinks pro Woche) an. Im Follow-up-Zeitraum von median 3,4 Jahren wurden 1914 MACE gezählt. Das MACE-Risiko war bei einem leichten bis mässigen Alkoholkonsum erwartungsgemäss geringer als bei den Abstinenten (HR: 0,78; 95%-Konfidenzintervall: 0,72–0,86; p < 0,0001). Von 713 Teilnehmern waren PET-Aufnahmen des Gehirns verfügbar, in denen die Aktivität eines Stress-assoziierten neuronalen Netzwerks (SNA: stressrelated neuronal network activity) sichtbar gemacht wurden. Hier zeigte sich, dass Personen mit leichtem bis moderatem Alkoholkonsum im Vergleich mit Personen, die gar keinen oder kaum Alkohol tranken, eine geringere SNA aufwiesen und ängstliche Personen stärker zu profitieren schienen als Personen ohne Angstproblematik. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass die Verringerung der MACE-Rate bei Personen mit leichtem oder moderatem Alkoholkonsum zum Teil auf eine verminderte Stressaktivität im Gehirn zurückzuführen sei. RBO s Podcast mit Valentin Fuster am 12. Juni 2023, https://www.jacc.org/do/10.1016/podcast-jacc81-24-2/full/ und Mezue K et al.: Reduced StressRelated Neural Network Activity Mediates the Effect of Alcohol on Cardiovascular Risk. J Am Coll Cardiol. 2023;81(24):2315-2325. 356 ARS MEDICI 13 | 2023