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BERICHT
An KHK denken
Patient klagt über erektile Dysfunktion – wie weiter?
zVg
Bei erektiler Dysfunktion spielt die Interaktion zwischen Hausarzt und Urologe eine wichtige Rolle. Denn einerseits kann dem Patienten mit effizienten Therapien geholfen werden. Andererseits sollte aber gleichzeitig auch eine koronare Herzkrankheit abgeklärt werden, wie PD Dr. Askhan Mortezavi, Urologie, Universitätsspital Basel, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel ausführte.
Erektile Dysfunktion ist schambehaftet. Auch
24 Jahre nach der Einführung der PDE-5-Hem-
mer würden nur etwa 25 Prozent der Betroffe-
nen mit einem Arzt darüber sprechen, und dies
im Durchschnitt erst nach 2 Jahren, berichtete
Mortezavi. Tritt die erektile Dysfunktion
grundsätzlich in allen Altersklassen auf, nimmt
sie jedoch in der zweiten Lebenshälfte ab etwa
60 Jahren mit steigendem Alter zu. Bei über
Askhan Mortezavi
70-Jährigen ist etwa die Hälfte der Männer davon betroffen, bei 75-Jährigen sind es etwa
drei Viertel (1). Das ist relevant für die Lebensqualität, denn
mehr als die Hälfte der Männer über 70 Jahre gibt an, ein se-
xuelles Interesse zu haben (1), und ist auch sexuell aktiv (2).
Organisch oder psychogen?
Eine erektile Dysfunktion liegt bei einer mehr als 6 Monate bestehenden oder wiederholt auftretenden Unfähigkeit vor, eine ausreichende Erektion für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu erreichen und/oder aufrechtzuerhalten. Die Ursache könne psychogener Natur sein; meist sei sie rein organisch oder gemischt, so der Referent. Als Unterscheidungsmerkmal dient beispielsweise die morgendliche Erektion, die bei organischer Ätiologie ausbleibt, bei psychogenen Ursachen jedoch vorhanden ist (Tabelle 1). Bei Männern mit organisch bedingter erektiler Dysfunktion sind in 40 Prozent der Fälle vaskuläre Störungen dafür verantwortlich, die zu einem verminderten Perfusionsdruck führen. Bei 30 Prozent besteht eine Diabeteserkrankung mit neuropathischen Komplikationen, und bei 15 Prozent
KURZ & BÜNDIG
� Sexualität ist auch für ältere Menschen wichtig. � Erektile Dysfunktion und kardiovaskuläre Erkrankungen
haben gemeinsame Risikofaktoren. � Bei Patienten mit erektiler Dysfunktion soll eine KHK abge-
klärt werden.
führen Nebenwirkungen von Medikamenten zu diesen Symptomen (3). Sehr häufig ist eine erektile Dysfunktion als Erstmanifestation einer systemischen Gefässerkrankung ein Vorläufer einer koronaren Herzerkrankung (KHK). Das zeigte eine Untersuchung von 300 Patienten mit akuten Thoraxschmerzen und angiografisch dokumentierter KHK. Bei den Patienten, die zusätzlich eine erektile Dysfunktion hatten (49%), trat die KHK bei den meisten nach etwa 3 Jahren (38,8 Monate) nach den ersten Symptomen der erektilen Dysfunktion auf (4). Aus einer Metaanalyse mit 12 prospektiven Kohortenstudien geht weiter hervor, dass bei Männern mit einer erektilen Dysfunktion, verglichen mit solchen ohne erektile Dysfunktion, ein signifikant höheres Risiko für eine KHK (1,46), für einen Hirnschlag (1,35) und für Tod jeglicher Ursache (1,19) besteht (5).
Therapieoptionen
Klagt der Patient über eine erektile Dysfunktion, sollten ergänzend zur Behandlung dieser Symptome auch kardiometabolische Parameter wie beispielsweise Blutdruck und Blutzucker kontrolliert werden. Denn die Risikofaktoren einer erektilen Dysfunktion sind die gleichen wie für vaskuläre Erkrankungen: Hypertonie, Diabetes, Dyslipidämie, Rauchen, übermässiger Alkoholkonsum und Übergewicht. Ist bereits eine KHK vorhanden, muss bei instabilem Zustand (NYHA III–IV) vorerst von einer sexuellen Aktivität abgesehen werden. Denn diese benötige etwa gleich viel Energie wie Fensterputzen oder Staubsaugen, so der Referent. Wird eine Therapie der erektilen Dysfunktion initiiert, sollte vorher die Erwartungshaltung des Patienten erfragt werden. Bei den meisten Männern stünden Verlässlichkeit und Sicherheit im Vordergrund; Wirkdauer und Preise seien ihnen weniger wichtig, so Mortezavi. Die First-line-Therapie besteht aus dem Einsatz von PDE-5-Hemmern. Dazu gehören Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil und Avanafil (Tabelle 2). Sildenafil, Vardenafil und Avanafil haben eine kurze Halbwertszeit (zwischen 3 und 6 h) im Vergleich zu Tadalafil (17,5 h). Die Wirkung setzt in der Regel zwischen einer halben und 2 Stun-
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BERICHT
Tabelle 1:
Ätiologie der erektilen Dysfunktion
psychogen organisch
plötzlicher Beginn
schleichender Beginn
unmittelbar vollständiger Verlust progressive Verschlechterung
situationsbedingte Dysfunktion
globale Dysfunktion
morgendliche Erektion erhalten
morgendliche Erektion nicht
vorhanden
Quelle: A. Mortezavi, FOMF 2023, Basel
den nach Einnahme ein; die Ausnahme bildet Avanafil, das bereits nach 15 bis 30 Minuten zu wirken beginnt. Hinsichtlich Nebenwirkungen sind die PDE-5-Hemmer in der Regel gut verträglich: Alle 4 Präparate können Kopfschmerzen auslösen; unter Sildenafil kann es zusätzlich zu Sehstörungen und Flushs kommen, unter Tadalafil zu Rückenschmerzen und Reflux.
Wenn ein PDE-5-Hemmer nicht wirkt
Bevor die Therapie wegen Wirkungslosigkeit abgebrochen wird, empfiehlt der Experte, mit dem Patienten einige Punkte zu überprüfen. Für einen Effekt braucht es zwingend eine sexuelle Stimulation, die eine Freisetzung von NO induziert. Eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme verzögert bei Sildenafil und Vardenafil den Wirkeintritt. Die Dosis muss vielleicht gesteigert werden. Im Gegensatz zu den bedarfsweise eingesetzten PDE-5-Hemmern kann Tadalafil (5 mg) täglich ein-
genommen werden, womit eine spontane Sexualfunktion
möglich wird.
Für ein optimales Ergebnis braucht es aber Übung, das heisst
etwa 9 bis 10 Versuche. Wenn nach mindestens 4 Versuchen
kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden, kann von
Non-Response gesprochen werden. In diesem Fall kann ein
Therapieversuch mit einem anderen PDE-5-Hemmer unter-
nommen und bei weiterer Erfolglosigkeit und entsprechen-
der Klinik ein Testosteronmangel ausgeschlossen werden.
Bringen orale Therapien nicht den gewünschten Erfolg, kann
eine transurethrale Medikation (Prostaglandin E1) oder eine
Penisinjektionstherapie mit Alprostadil zum Einsatz kom-
men. Als Ultima Ratio gibt es noch die Option eines chirur-
gisches Penisimplantats.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Erektile Dysfunktion», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 27.1.2023 in Basel.
Referenzen: 1. Bucher T: Sexualität in der zweiten Lebenshälfte. Z Sexualforsch.
2003;16(3):249-270. 2. Rosen R et al.: Lower urinary tract symptoms and male sexual dysfunc-
tion: the multinational survey of the aging male (MSAM-7). Eur Urol. 2003;44(6):637-649. 3. Goldstein I: Male sexual circuitry. Working group for the study of central mechanisms in erectile dysfunction. Sci Am. 2000;283(2):70-75. 4. Montorsi F et al.: Erectile dysfunction prevalence, time of onset and association with risk factors in 300 consecutive patients with acute chest pain and angiographically documented coronary artery disease. Eur Urol. 2003;44(3):360-365. 5. Jackson G: Erectile dysfunction and coronary disease: evaluating the link. Maturitas. 2012;72(3):263-264.
Tabelle 2:
PDE-5-Hemmer im Vergleich
Sildenafil
Cmax
0,8–1 h
Tmax 2,6–3,7 h
Wirkbeginn
30–60 min
Halbwertszeit
3–5 h
fettiges Essen
verzögerte Aufnahme
Nebenwirkungen
Kopfschmerzen 12,8%
Reflux
4,6%
Gesichtsflush
10,4%
Rückenschmerzen
nein
Sehstörung
ja
Nitrate kontraindiziert
ja
Quelle: A. Mortezavi, FOMF 2023, Basel
Tadalafil 2 h 17,5 h 30–120 min 17,5 h kein Effekt
Vardenafil 0,9 h 3,9 h 30–60 min 4,5 h verzögerte Aufnahme
Avanafil 0,5–0,75 h 6–17 h 15–30 min 5h kein Effekt
14,5% 16%
12,3%
4%
4,1%
12%
ja nein
nein
selten
ja ja
9,3% unüblich 3,7% < 2% nein ja ARS MEDICI 10+11 | 2023 295