Transkript
STUDIE REFERIERT
Protonenpumpeninhibitoren und Krebs
Magenkrebsrisiko nicht bestätigt
Das Risiko für die Entwicklung eines Magenkarzinoms beim Gebrauch von Protononenpumpeninhibitoren wurde durch einen systematischen Review mit Metaanalyse von unkontrollierten und randomisiert kontrollierten Studien evaluiert. Ein Magenkrebsrisiko wurde im Gegensatz zu früheren Untersuchungen nicht bestätigt. Diese könnten das Risiko aufgrund von Datenverzerrungen überschätzt haben.
AP&T Alimentary Pharmacology & Therapeutics
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) sind seit Jahrzehnten das Mittel der Wahl gegen durch Magensäure hervorgerufene Erkrankungen des oberen Verdauungstraktes und gehören zu den meistverschriebenen Medikamenten der Welt. Studien haben in den letzten 20 Jahren verschiedene Nebenwirkungen dargestellt; auch gibt es kontroverse Daten zu erhöhter genereller Sterblichkeit. Insbesondere das Magenkrebsrisiko wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Magenkrebs war 2020 weltweit mit beinahe 800 000 Todesfällen die vierthäufigste Krebstodesursache.
Kritik an Auswahl der Vergleichsgruppen
Frühere Studien haben ein erhöhtes Risiko für Magenkrebs bei Behandlung mit PPI gezeigt; als verantwortlich dafür werden die mit ihrer Einnahme einhergehende Hypergastrinämie und deren Auswirkungen diskutiert. In diesen Studien wurden als Vergleichsgruppe üblicherweise Patienten gewählt, die nie zuvor PPI erhalten hatten. Genau diese Wahl der Vergleichsgruppe wurde jedoch kritisiert, weil solche Patienten die Magenbeschwerden, die mit PPI adressiert werden und die ihrerseits ein Magenkrebsrisiko bergen, nicht haben – und daher in dieser Population auch unabhängig von einer Behandlung mit PPI oder Plazebo ein niedrigeres Magenkrebsrisiko zu erwarten wäre. Dies führe zu einer Datenverzerrung (confounding), welche den Verum-Arm solcher Studien benachteilige, so Piovani et al.
In der vorliegenden Metaanalyse wurden deshalb Daten zu einer Vergleichsgruppe untersucht, die zwar dieselben Magenbeschwerden hat, aber anstelle von PPI mit Histamin-2-Rezeptor-Antagonisten (H2RA) behandelt wurde; darunter ist die Inzidenz einer Hypergastrinämie sehr viel niedriger. Dies sollte das intrinsische Magenkrebsrisiko zwischen den zwei Gruppen ausgleichen und zu aussagekräftigeren Aussagen führen.
Sorgfältige Analyse soll Datenverzerrung verhindern
Um dieses Bild klarer und spezifischer zu machen, haben die Autoren eine umfangreiche Literatursuche (Medline/ PubMed, Embase und Scopus) nach randomisiert kontrollierten Studien (RCT) und auch nicht randomisierten Beobachtungsstudien zum Magenkrebsvorkommen beim Einsatz von PPI gegenüber H2RA unternommen. Diese Studien wurden nach vorgegebenen Qualitätskriterien sortiert und zur weiteren Auswertung selektioniert. Dies ist hier besonders wichtig, weil betroffene Patienten wegen der identischen Indikation eventuell abwechselnd mit beiden Kategorien von Arzneimitteln behandelt wurden / im Kontakt waren, was die Daten und Ergebnisse verfälschen könnte. Entsprechend wurde das Risiko einer Falschklassifikation ermittelt. Auch wurde auf systematische Fehler getestet, die von den verschiedenen Patientenpopulationen herrühren könnten, und die Qualität und Sicherheit der Evidenz der Daten jeder Studie abgeschätzt.
Daten von mehr als 6 Millionen Patienten
Schlussendlich verblieben 12 Beobachtungsstudien mit über 6 Millionen Patienten (11 554 Magenkrebsfälle) sowie 2 plazebokontrollierte Studien mit 498 Patienten (1 Magenkrebsfall) für eine detaillierte Metaanalyse. Diese Studien wurden nach der Verlässlichkeit der Daten sowie nach der Wahrscheinlichkeit von systematischen Fehlern und Datenverzerrungen sortiert und in den entsprechenden Untergruppen der Metaanalyse unterworfen.
Schlussanalyse umfasste 2,5 Millionen Patienten
Die Analyse der verlässlichsten 6 Studien mit insgesamt 2,5 Millionen Patienten und 7372 Magenkrebsfällen ergab keine statistisch gesicherte Assoziation zwischen PPI und Magenkrebs. Dieses Resultat wurde auch mit einer Sensitivitätsanalyse als robust bestätigt. Ebenso wurde kein Zusammenhang mit der PPI-Dosis oder mit der Dauer der Behandlung gefunden.
Einordnung früherer Resultate
Die Autoren erklären auch, warum bei vorgängigen Beobachtungsstudien durch Datenverzerrungen ein anderes Ergebnis resultierte, als es in der vorliegenden Arbeit gefunden wurde. Auch einige der Autoren der vorhergehenden Publikationen hatten einen diesbezüglichen Verdacht geäussert. Beobachtungsstudien sind per definitionem eher von Datenverzerrungen betroffen als randomisierte, prospektive Studien. Im vorliegenden Fall wäre es jedoch wegen
268
ARS MEDICI 9 | 2023
STUDIE REFERIERT
der Seltenheit und der langen Latenzzeit einer Magenkrebserkrankung sehr schwierig und auch kostspielig, eine entsprechende RCT-Studie zum Thema durchzuführen, die einen genügenden Zeitraum abdeckt (mehrere Jahre pro Patient).
Beruhigung für Patienten mit Langzeitindikation
Bis dahin bezeichnen die Autoren ihre Ergebnisse vor allem für all jene Patien-
ten als beruhigend, bei denen eine Indikation für eine Langzeit-PPI-Anwendung besteht und die eine dauerhafte und wirksame Magensäuresuppression benötigen, um schwerwiegende gesundheitliche Folgen zu vermeiden. Auch wenn sich Anzeichen für eine Überversorgung mit PPI mehren und deren unnötiger Einsatz reduziert werden sollte, sollte die Entscheidung zum Absetzen eines PPI einem kürzlichen Vorschlag der American Gastroenterological As-
sociation zufolge allein darauf beru-
hen, ob die Indikation zur Anwendung
fehlt – und nicht auf der Sorge um
PPI-assoziierte unerwünschte Wirkun-
gen.
Mue s
Quelle: Piovani D et al.: Meta-analysis: Use of proton pump inhibitors and risk of gastric cancer in patients requiring gastric acid suppression. Aliment Pharmacol Ther. 2022;00:1–13; https://doi. org/10.1111/apt.17360.
Interessenlage: Alle Autoren der Studie deklarieren keine Interessenkonflikte.
270
ARS MEDICI 9 | 2023