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ECCO-Jahrestreffen 2023
Prognose im Visier
BERICHT
Mit der Erweiterung der Therapieoptionen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wird zunehmend nach prognostischen Markern gesucht. Jedoch stecken solche Ansätze bislang zumeist noch in der Versuchsphase. Am Jahrestreffen der European Crohnʼs and Colitis Organisation (ECCO) in Kopenhagen wurde eine Reihe von interessanten neuen wissenschaftlichen Studien vorgestellt.
Der Verlauf eines Therapiestopps bei Patienten mit Morbus Crohn (MC) nach erfolgreicher Behandlung mit einem Biologikum kann sehr unterschiedlich sein und ist mit klinischen Parametern nicht vorhersehbar. Ein belgisches Wissenschaftlerteam suchte nach molekularen Signaturen, um das Risiko eines Anti-TNF-α-Stopps (TNF: Tumornekrosefaktor) respektive die Gefahr eines Rückfalls (relapse) abzuschätzen (1). Dazu wurden in der SPARE-Studie 71 MC-Patienten nach Behandlung mit Infliximab (IFX) in 3 Gruppen eingeteilt: s Non-Relapser (n = 46) s Spät-Relapser (n = 15; Relapse nach > 6 Monaten) s Früh-Relapser (n = 10; Relapse nach < 6 Monaten). Tatsächlich konnte das Risiko, einen frühen respektive einen späteren Relapse zu erleiden, mit einem bestimmten Proteinprofil in Verbindung gebracht werden. So waren 36 Proteine für einen frühen Rückfall und 16 davon abweichende Proteine für den verzögerten Rückfall verantwortlich. «Dies bietet die Chance für ein individualisiertes Therapiemanagement», erklärte Dr. med. Nicolas Pierre von der Universität Liège bei der Vorstellung der Studie. Relapse nach Resektion Ebenfalls aus Belgien stammt eine Untersuchung, bei der bei MC-Patienten nicht das Relapse-Risiko nach Therapiestopp, sondern nach einer ileokolonischen Resektion im Fokus stand (2). Dabei wollte man der Frage nachgehen, ob das Wiederauftreten der Entzündung nach einem chirurgischen Eingriff durch bestimmte Gene getriggert wird. Dafür wurden 6 Monate nach der Operation Mukosaproben bei insgesamt 36 Patienten mit und ohne Relapse genetisch sequenziert. Tatsächlich wurde eine Korrelation zwischen einer gestörten Expression (bzw. eines Polymorphismus) des Gens GPX4 (Glutathionperoxidase 4) und dem Wiederauftreten der Erkrankung gefunden (r = 0,51; p < 0,001). Lässt sich das Risiko für ein Rezidiv nach Operation durch eine präventive Behandlung vermindern? In einer internationalen Studie wurden 80 MC-Patienten und -Patientinnen nach einer ileokolonischen Operation mit zumindest 1 Risikofaktor für das Auftreten eines endoskopischen Rezidivs entweder auf Vedolizumab (VDZ) 300 mg i.v. alle 8 Wochen oder Plazebo randomisiert (3). Nach Woche 24 erfolgte eine Koloskopie. Nur 1 Patient unter Plazebo war rezidivfrei, dagegen kam es von 18 Patienten unter VDZ bei keinem einzigen Teilnehmenden zu einem klinischen Rezidiv – ein Ergebnis, das für eine zukünftige postoperative Rezidivprävention Hoffnung macht. Zellzusammensetzung des angeborenen Immunsystems entscheidend Ist es möglich, das Ansprechen auf bestimmte Medikamente aufgrund der Zellzusammensetzung in der Mukosa vorherzusehen? Hintergrund: Rund 50 Prozent der Patienten mit Colitis ulcerosa (CU) reagieren ungenügend auf eine Behandlung mit VDZ. Paola Pibiri aus Groningen/NL nahm für ihre Untersuchung Mukosaproben von 25 CU-Patienten, und zwar 2 Wochen vor und 14 Wochen nach dem Beginn einer Behandlung mit VDZ (4). Rund 60 Prozent der Teilnehmer waren Responder. «Wir fanden in unserer Studie signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung von Zellen des angeborenen Immunsystems zwischen den Respondern und den Non-Respondern. Das war ein grosses Highlight für uns», sagte die Forscherin. Diese Unterschiede waren sowohl in der Darmschleimhaut als auch im peripheren Blut bereits vor Therapiebeginn zu beobachten, speziell bei dendritischen Zellen, angeborenen lymphoiden Zellen und inflammatorischen Monozyten. Damit sei gezeigt worden, dass das angeborene Immunsystem in grossem Umfang für das schlechte Ansprechen verantwortlich sei, so Pibiri. JAK-Inhibitor oder Steroid? Für eine Reihe neuer und bereits zugelassener Januskinase-(JAK-)Inhibitoren zur Behandlung der CU wurden neue Daten vorgelegt. So zeigte eine randomisierte Head-to-headStudie zwischen dem bereits zugelassenen JAK-Inhibitor Tofacitinib und einem Steroid keine Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit (5). 78 Patienten mit mässig aktiver CU wurden über 8 Wochen entweder mit Tofacitinib (2-mal 10 mg/Tag) oder Prednisolon (40 mg/Tag mit Reduktion um 5 mg/Woche) behandelt. Der recht harte primäre Endpunkt (Mayo-Clinic-Gesamtscore ≤ 2, endoskopischer Subscore = 0, fäkales Calprotectin < 100 µg/g wurde von 16 Prozent unter Tofacitinib und von 9 Prozent unter Prednisolon erreicht (Unterschied nicht signifikant). Ebenfalls nur ARS MEDICI 9 | 2023 255 BERICHT numerische Unterschiede zeigten sich hinsichtlich der klinischen Remission (42% vs. 37%) und des klinischen Ansprechens (65% vs. 71%). Möglicherweise könnten JAK-Inhibitoren bei moderater CU als First-line-Therapie einen Ersatz für Steroide darstellen, so die Studienautoren. Während allerdings die Prednisolonbehandlung nach einigen Wochen wieder abgesetzt wird, stellt Tofacitinib eine langfristige Therapiemassnahme dar. Wirksam – unabhängig von der Vorbehandlung Wie hält sich der selektive JAK-1-Inhibitor Upadacitinib (UPA) bei Patienten mit moderater bis schwerer CU, deren vorherige Therapie mit Biologika oder konventionellen DMARD (disease-modifying antirheumatic drugs) gescheitert ist? Mittels einer Phase-III-Post-hoc-Analyse wertete eine internationale Forschergruppe die Outcomes von knapp 1000 Patienten aus, die ein inadäquates Ansprechen, einen totalen Wirkverlust oder eine Intoleranz gegenüber bestimmten Biologika (IFX, Adalimumab, Golimumab, VDZ oder Ustekinumab) oder konventionellen Therapien erfahren hatten und anschliessend mit UPA behandelt worden waren (6). Nach 8 respektive 52 Wochen erreichten wesentlich mehr Teilnehmer unter UPA eine klinische Remission als unter Plazebo – und zwar unabhängig von der gescheiterten Vorbehandlung. So befanden sich in allen 4 Subgruppen mehr als 50 Prozent der mit UPA (30 mg) behandelten Patienten in klinischer Remission (Plazebo: 7–25%). Die hohe Wirksamkeit des JAK-Inhibitors sei damit sowohl in der biologikanaiven als auch in der mit Biologika vorbehandelten Gruppe gegeben, so die Studienleiterin Prof. Dr. med. Severine Vermeire von der Universität Leuven (BEL). Ein weiterer JAK-1Inhibitor, dessen Zulassung für die Behandlung von CU-Patienten erwartet wird, ist Filgotinib. In Kopenhagen wurden nun die 4-Jahres-Daten der Phase-IIb/III-SELECTION-LongTerm-Extension-Studie vorgestellt, denen zufolge der JAK-1Inhibitor auch langfristig wirksam und sicher ist (7). So hätten die symptomatische Remission und die gesundheitsbezogene Lebensqualität auch nach 4 Jahren Behandlung gehalten werden können, berichtete Prof. Dr. med. Brian Feagan von der University of Western Ontario in London (CAN). Allerdings kam es zu einer – bei JAK-Inhibitoren bekannten – leicht erhöhten Inzidenz von Herpes-zoster-Fällen, jedoch nicht zu einer erhöhten Inzidenz von kardiothrombotischen Ereignissen. Auch Ustekinumab anhaltend effektiv Gute Langzeitergebnisse wurden in Kopenhagen ebenfalls für die UNIFI-Long-Term-Extension-Studie präsentiert: Auch nach 4 Jahren Behandlung zeigte Ustekinumab eine anhaltend gute Wirksamkeit (8). Die 205 Patienten mit CU hatten den Interleukin-(IL-)12/23p40-Antagonisten Ustekinumab (90 mg) alle 12 oder 8 Wochen subkutan (s.c.) erhalten. Nach 4 Jahren befanden sich insgesamt 58 Prozent in klinischer Remission, 80 Prozent zeigten ein klinisches Ansprechen und 67 Prozent eine endoskopische Verbesserung. «Um es einfach auszudrücken: Ustekinumab ist in der Lage, bei rund zwei Dritteln der Studienpopulation nach 4 Jahren alle bewerteten Outcomes zu halten», erklärte Prof. Dr. med. Silvio Danese von der Universität Mailand (ITA). Hinsichtlich des gut bekannten Sicherheitsprofils traten keine neuen Signale auf. Umstellung auf subkutane IFX-Applikation ohne Nachteile Eine neue Formulierung eines Biosimilars von IFX (Veblo- cema®) wurde kürzlich zur s.c.-Applikation zugelassen. Wel- che Vorteile hat ein solcher Wechsel? Sind Wirksamkeit, Si- cherheit und Patientenakzeptanz weiterhin gewährleistet? In einer spanischen Studie wurden 60 Patienten eingeschlossen, davon 63 Prozent mit MC und 37 Prozent mit CU. Sie hatten durch eine intravenöse (i.v.) IFX-Therapie über mindestens 6 Monate eine klinische Remission erreicht (9). Die Teil- nehmer, die im Mittel bereits 5,7 Jahre mit IFX behandelt worden waren, wurden anschliessend auf eine s.c.-Behandlung mit IFX (120 mg alle 2 Wochen) umgestellt. Bei keinem dieser Patienten war innerhalb des ersten Jahres nach der Umstel- lung ein klinischer Rückfall zu verzeichnen. Eine deutliche Veränderung zeigte sich bei den Wirkspiegeln. Sie lagen vor Beginn der Umstellung unter der i.v.-Therapie bei 3,9 µg/dl, 1 Jahr nach der Umstellung hingegen bei 16,8 µg/dl (p = 0,007). Welche Konsequenzen dies haben könnte, ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Ins- gesamt wurde die Umstellung gut vertragen; es zeigten sich nur wenige allergische Reaktionen. Auch die Akzeptanz war beachtlich: 1 Jahr nach Umstellung hielten noch 83 Prozent der Patienten der s.c.-Therapie die Treue. Die spanischen Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die Umstellung von i.v. auf s.c. sicher, wirksam und gut akzeptiert war und überdies ein höherer Wirkspiegel erreicht werden konnte. Auch in einer amerikanischen plazebokontrollierten, rando- misierten Phase-III-Studie zeigte sich in allen gemessenen Parametern, dass s.c. appliziertes IFX-Biosimilar (CT-P13SC) Plazebo überlegen ist (10). Für die Patienten bedeutet eine solche Darreichungsform eine deutlich höhere Flexibilität.s Klaus Duffner Quelle: Jahrestagung der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), 1. bis 4. März 2023 in Kopenhagen Referenzen: 1. Pierre N et al.: Distinct biological profiles associated with the risk of short- term relapse and mid/long-term relapse in Crohn’s disease patients stopping infliximab. ECCO 2023; OP02. 2. Verstockt S et al.: Sequencing-based gene network analysis reveals a profound role for ferroptosis key gene GPX4 in post-operative endoscopic recurrence in Crohn’s disease. ECCO 2023; OP01. 3. D’Haens G et al.: Prevention of postoperative recurrence of Crohn’s disease with vedolizumab: first results of the prospective placebo-controlled randomised trial REPREVIO. ECCO 2023; OP14. 4. Pibiri P et al.: High-dimensional single-cell analysis identifies cellular signatures associated with response to vedolizumab therapy in ulcerative colitis. ECCO 2023; OP05. 5. Singh DM et al.: Tofacitinib versus corticosteroids for induction of remission in moderately active ulcerative colitis (ORCHID): a prospective randomized open-label pilot study. ECCO 2023; DOP44. 6. Vermeire S et al.: Efficacy of upadacitinib in ulcerative colitis: a phase 3 post hoc analysis of biologic- and anti-TNF-inadequate response patients. ECCO 2023; OP04. 7. Feagan BG et al.: Efficacy and safety outcomes up to ~4 years of treatment with filgotinib 200 mg among patients with ulcerative colitis: results from the SELECTIONLTE study. ECCO 2023; OP35. 8. Danese S et al.: Efficacy of ustekinumab for ulcerative colitis through 4 years: final clinical and endoscopy outcomes from the UNIFI long-term extension. ECCO 2023; OP15. 9. Caballol OB et al.: Switch from intravenous to subcutaneous infliximab in patients with inflammatory bowel disease: efficacy, safety and patients’ acceptance. ECCO 2023; P488. 10. Colombel JF et al.: Subcutaneous infliximab (CT-P13 SC) as maintenance therapy for Crohn’s disease: a phase 3, randomised, placebo-controlled study (LIBERTY-CD). ECCO 2023; DOP86. 256 ARS MEDICI 9 | 2023