Transkript
FORTBILDUNG
Biomarker im Management der Colitis ulcerosa
Neue klinische Praxisleitlinie der AGA
Eine aktuelle Leitlinie der American Gastroenterological Association (AGA) soll Mediziner bei der Anwendung von Biomarkern für ein nicht invasives Monitoring und als Grundlage für Behandlungsentscheidungen im Rahmen der Betreuung von Patienten mit Colitis ulcerosa unterstützen.
American Gastroenterology Association
Die chronisch entzündliche Darmkrankheit Colitis ulcerosa ist durch Phasen schubförmig remittierender Aktivität gekennzeichnet und mit einer erheblichen Morbidität verbunden. In den letzten beiden Jahrzehnten fand bei der Behandlung dieser Erkrankung ein Paradigmenwechsel statt. Das therapeutische Ziel hat sich von der ausschliesslichen Linderung der Symptome zu einer Kombination aus symptomatischer und endoskopischer Remission (Mayo Endoscopic Score [MES]: 0 oder gleichwertig) verlagert. In den meisten randomisierten kontrollierten Studien wurde das Abklingen einer Darmentzündung durch endoskopische Untersuchungen bestätigt. Auch im klinischen Alltag werden bei 45 bis 70 Prozent der Patienten nach Beginn der Therapie endoskopische Beurteilungen der Darmentzündung vorgenommen. Diese proaktive Massnahme führt zwar zu besseren Langzeitergebnissen, ist jedoch mit einem invasiven Eingriff, hohen Kosten und einigem Aufwand verbunden. Daher besteht ein grosser Bedarf an nicht invasiven Biomarkern, die als genaue und verlässliche Surrogate anstelle der Endoskopie zur Beurteilung der Entzündung dienen können. Eine Leitlinie der AGA soll Mediziner jetzt bei der Anwendung von Biomarkern als Surrogattests für die endoskopische Beurteilung im Rahmen des Managements der Colitis ulcerosa unterstützen. Die Leitlinie fokussiert sich auf folgende Biomarker: s C-reaktives Protein (CRP) im Serum s fäkales Calprotectin s fäkales Lactoferrin. Prädiktive Biomarker zur Beurteilung hospitalisierter Patienten mit akuter schwerer Colitis sind nicht Gegenstand dieser Leitlinie.
MERKSÄTZE
� Die in der Leitlinie aufgeführten Biomarker eignen sich zur Überwachung der Krankheitsaktivität im Rahmen des Managements der Colitis ulcerosa.
� Biomarker zur Beurteilung einer akuten schweren Colitis sind nicht Gegenstand dieser Leitlinie.
� Bei einer intestinalen Entzündung gibt es interindividuelle Unterschiede bezüglich der Erhöhung der Biomarkerwerte.
Colitis ulcerosa in symptomatischer Remission
Für Patienten in symptomatischer Remission empfehlen die Experten der AGA eine Überwachungsstrategie anhand einer Kombination aus Biomarkern und Symptomen anstelle einer alleinigen Beurteilung der Symptome. Das Biomarkermonitoring kann in Intervallen von 6 bis 12 Monaten durchgeführt werden. Dazu eignen sich fäkale Marker wie fäkales Calprotectin oder fäkales Lactoferrin. Zum Ausschluss einer aktiven Entzündung empfiehlt die AGA, für diese Patientengruppe als Schwellenwerte ein fäkales Calprotectin < 150 µg/g und Normalwerte des fäkalen Lactoferrins oder des CRP heranzuziehen. Bei Patienten, die nach einer Behandlungsanpassung in den vorangegangenen 1 bis 3 Monaten eine symptomatische Remission erreicht haben, kann zur Erkennung einer endoskopischen Verbesserung (MES: 0 oder 1) ein Schwellenwert des fäkalen Proteins < 50 µg/g anstelle von < 150 µg/g verwendet werden. Ein normaler CRP-Wert ist möglicherweise zum Ausschluss einer mittelschweren bis schweren aktiven Entzündung bei Patienten in symptomatischer Remission weniger aussagekräftig. Dies gilt vor allem für Personen, die kurz nach einer Behandlungsanpassung die symptomatische Remission erreicht haben. War das CRP jedoch zum Zeitpunkt des ersten Schubes erhöht, kann eine Normalisierung des Wertes auf eine endoskopische Verbesserung hindeuten.
Symptomatische Remission, erhöhte Entzündungsmarker
Für Patienten in symptomatischer Remission, die erhöhte Entzündungsmarker im Stuhl oder im Serum (fäkales Calprotectin > 150 µg/g, erhöhtes fäkales Lactoferrin, erhöhtes CRP) aufweisen, empfiehlt die AGA anstelle einer empirischen Anpassung der Therapie eine endoskopische Bewertung der Krankheitsaktivität. Alternativ kann zunächst auch nach 3 bis 6 Monaten eine erneute Bestimmung der Biomarker vorgenommen werden. Sind die Biomarker bei der Wiederholungsmessung immer noch erhöht, ist eine endoskopische Untersuchung gerechtfertigt.
Symptomatische aktive Colitis ulcerosa
Für Patienten mit symptomatisch aktiver Colitis ulcerosa empfiehlt die AGA eine Bewertung der Krankheitsaktivität anhand einer Kombination aus Biomarkern und Symptomen, um die Behandlung entsprechend anpassen zu können.
ARS MEDICI 9 | 2023
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FORTBILDUNG
Steckbrief
Wer hat die Guideline erstellt? American Gastroenterological Association (AGA)
Wann wurde sie erstellt? 2023
Für welche Patienten? Patienten mit Colitis ulcerosa
Was ist neu? ▲ Monitoring mit CRP, fäkalem Calprotectin und fäkalem Lactoferrin
anstelle der endoskopischen Krankheitsüberwachung ▲ Erörterung der Leistungsfähigkeit der Tests, spezifischer Grenz-
werte und nachgelagerter Implikationen im Zusammenhang mit der Entscheidungsfindung, die für die Verwendung dieser Biomarker von Bedeutung sind
Bei Patienten mit mässigen bis schweren Symptomen, die auf einen Krankheitsschub hindeuten, empfiehlt die AGA fäkales Calprotectin > 150 µg/g, erhöhtes fäkales Lactoferrin oder erhöhtes CRP als Schwellenwerte zur Bestätigung einer aktiven Entzündung und einer informierten Anpassung der Behandlung. Patienten, die grossen Wert auf die Bestätigung einer Entzündung legen, beispielsweise vor bedeutsamen Behandlungsentscheidungen (z. B. Beginn oder Wechsel von immunsuppressiven Therapien), können sich auch für eine endoskopische Untersuchung vor der Therapieanpassung entscheiden. Für Patienten mit leichten Symptomen und erhöhten Entzündungsmarkern im Stuhl oder im Serum (fäkales Calprotectin > 150 µg/g, erhöhtes fäkales Lactoferrin oder erhöhtes CRP) empfiehlt die AGA eine endoskopische Beurteilung der Krankheitsaktivität anstelle einer empirischen Therapieanpassung. Bei Patienten, bei denen vor Kurzem die Behandlung als Reaktion auf einen mittelschweren bis schweren symptomatischen Schub angepasst wurde und bei denen noch geringe Restsymptome vorliegen, können erhöhte Entzündungsmarker im Stuhl oder im Serum zur Anpassung der Behandlung (z. B. der Dosis) herangezogen werden. Für Patienten mit geringfügigen Symptomen und normalen Stuhl- oder Serumentzündungsmarkern (fäkales Calprotectin < 150 µg/g, normales fäkales Lactoferrin, normales CRP) empfiehlt die AGA ebenfalls eine endoskopische Beurteilung der Krankheitsaktivität anstelle einer empirischen Anpassung der Behandlung. Für Patienten dieser Gruppe, die eine endoskopische Untersuchung oder eine empirische Behandlungseskalation vermeiden möchten, kann eine erneute Bestimmung von Biomarkern nach 3 bis 6 Monaten eine geeignete Alternative sein. Insgesamt gibt die AGA derzeit aufgrund unzureichender Evidenz keine Empfehlung ab, ob eine biomarkerbasierte oder eine endoskopische Überwachungsstrategie zur Verbesserung der langfristigen Outcomes bevorzugt werden sollte.
Was ist bei der Anwendung der Biomarker zu beachten?
Ergänzend zu ihren Empfehlungen weisen die AGA-Experten auf verschiedene Aspekte hin, die bei der Nutzung von Bio-
markern zur Verlaufs- und Behandlungskontrolle bei Colitis
ulcerosa berücksichtigt werden sollten:
s Testleistung und Spezifität von Biomarkern: CRP, fäkales
Calprotectin und fäkales Lactoferrin können auch auf-
grund nicht intestinaler Infektions- oder Entzündungsur-
sachen erhöht sein. Bei Patienten mit erhöhten Biomarker-
werten und Krankheitssymptomen sollte eine Stuhl-
untersuchung auf Clostridioides difficile und andere ente-
rale Erreger vorgenommen werden, um andere Ursachen
für Magen-Darm-Infektionen auszuschliessen.
s Behandlungsziel und Biomarkerleistung: Die Leistung der
Biomarker in dieser Leitlinie spiegelt ihre Fähigkeit wider,
eine mittelschwere bis schwere endoskopische Entzündung
auszuschliessen (MES: 2 oder 3 [oder gleichwertig]). Zur
Erkennung intensiverer Behandlungsziele wie einer endos-
kopischen Remission (MES: 0) oder einer histologischen
Remission können Biomarker weniger gut geeignet sein. Des
Weiteren sind Biomarker bei Patienten mit leichten Sympto-
men mitunter suboptimal zum Nachweis einer geringfügigen
endoskopischen entzündlichen Aktivität (MES: 1).
s Einfluss der Erkrankungsschwere auf die Leistung der Bio-
marker: Bei Patienten mit ulzerativer Proktitis oder be-
grenzter segmentaler Erkrankung können Biomarker mit
einer geringeren Genauigkeit im Hinblick auf den Nach-
weis endoskopischer Entzündungen assoziiert sein.
s Interpretation der Leistung von Biomarkern im Hinblick
auf die Anpassung der Behandlung: Bei der Anwendung
aller Biomarker sollten nachgelagerte Auswirkungen be-
rücksichtigt werden. Dazu gehört auch das Risiko im Zu-
sammenhang mit den sich daraus ergebenden Behandlungs-
entscheidungen (Behandlungsanpassung mit geringem
Risiko vs. Behandlungsanpassung mit hohem Risiko). Die
Schwellenwerte für die Testleistung (akzeptable Raten
falsch positiver und falsch negativer Ergebnisse) können je
nach der erwogenen Behandlungsanpassung variieren.
s Inter- und Intra-Assay-Testvariabilität: Fäkale Calprotec-
tintests sind nicht beliebig austauschbar. Daher sollte für
einen bestimmten Patienten immer der gleiche Test zum
Vergleich der Ergebnisse über die Zeit verwendet werden.
Da fäkale Calprotectinmesswerte eines einzelnen Patien-
ten innerhalb eines Stuhls und eines Tages erheblich
schwanken können, ist die Zuverlässigkeit einer einzelnen
Messung möglicherweise begrenzt. Bei unsicheren oder
unerwarteten Ergebnissen kann daher eine Wiederholung
der fäkalen Calprotectinbestimmung oder eine endosko-
pische Untersuchung zur Bestätigung erforderlich sein.
s Interindividuelle Heterogenität des Ansprechens von Bio-
markern: Bei Patienten mit Darmentzündungen bestehen
interindividuelle Unterschiede im Hinblick auf die Erhö-
hung der Biomarkerwerte, und bei einer Untergruppe von
Patienten korrelieren die Biomarker nur unzureichend mit
der endoskopischen Aktivität.
s
Petra Stölting
Quelle: Singh S et al.: AGA Clinical Practice Guideline on the Role of Biomarkers for the Management of Ulcerative Colitis. Gastroenterology. 2023;164:344-372.
Interessenlage: Die referierte Leitlinie wurde von der AGA finanziert. 2 der 10 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Die verbleibenden 8 Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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